Eine Wernadskijsche Neubewertung galaktischer Zyklen und der Evolution

Um Klima, Wetter und die Kreisläufe des Wassers auf unserem Planeten zu verstehen, muß man, wie Lyndon LaRouche wiederholt betont hat, bei unserer Galaxis beginnen.((„Neue Perspektiven für die kalifornische Wasserkrise – Ein Memorandum für den nächsten US-Präsidenten”, FUSION 1/2015, S. 6–12.))

Aufzeichnungen über die größten Klimaveränderungen während der letzten halben Milliarde Jahre decken sich mit dem sich verändernden galaktischen Umfeld, das unser Sonnensystem durchläuft – ein Zeichen dafür, daß die Galaxis einen sehr starken Einfluß auf den Klimawandel der Erde hat.((Siehe „Celestial driver of Phanerozoic climate?”, Nir Shaviv and Ján Veizer, GSA Today, Juli 2003.))

Die Bedeutung hiervon läßt sich unter zwei Aspekten betrachten.

Auf der einen Seite könnte ein Anhänger der modernen Schule des wissenschaftlichen Reduktionismus darin ein vielleicht interessantes Phänomen sehen, das aber keine allgemeinen Auswirkungen auf unser Verständnis der Kausalität im Universum hätte.

Auf der anderen Seite wird ein Denker, der nicht unter den lähmenden Auswirkungen der von David Hilbert und Bertrand Russell angeführten Zerstörung der Wissenschaft((Mehr über die zerstörerische Rolle von Hilbert und Russell siehe Jason Ross’s Vortrag auf einer Konferenz des Schiller-Instituts in New York am 16. Mai 2015 (auf englisch) und „Den Kosmos vermessen! Der Ausweg aus Hilberts ,Zeta-X-Funktion‘” von Lyndon H. LaRouche jr., FUSION 2/2010.)) (mathematischer Reduktionismus) leidet, hierin einen Anhaltspunkt sehen, um eine neue Sicht auf die Ursachenhierarchie im Universum zu gewinnen – ganz nach der wissenschaftlichen Methode von Nikolaus von Kues (in seinem Werk De docta ignorantia) und Johannes Kepler.

Aus Anlaß der ersten Übersetzung von Wladimir Wernadskijs Schrift von 1930 „Die Erforschung des Lebens und die Neue Physik” wollen wir hier einem anderen Anhaltspunkt folgen, der es ebenfalls erforderlich macht, unser Verständnis der Galaxis zu erweitern.((Wladimir Wernadskij, „Die Erforschung des Lebens und die Neue Physik”, auf deutsch übersetzt von Dr. Wolfgang Lillge, in FUSION 1/2015, S. 23–45.))

Untersuchungen haben ergeben, daß es in der evolutionären Entwicklung tierischen Lebens während der letzten 540 Mio. Jahre auf der Erde mehrere Zyklen gegeben hat, die in Periode und Phase der zyklischen Bewegung unseres Sonnensystems durch unsere Galaxis entsprechen.

Auch dies läßt sich unter zwei Aspekten betrachten.

  1. Im Rahmen des heute vorherrschenden Russelschen Reduktionismus sucht man nach einem „Auslöschungsmechanismus”, um zu erklären, wie es in verschiedenen galaktischen Umgebungen zur beschleunigten Ausrottung von Arten gekommen sein kann, wodurch sich Nachweise dieser kosmischen Fluktuationen in den evolutionären Gang eingeprägt haben.
  2. Mit einer von der Krankheit des Reduktionismus freien Sicht können wir statt dessen auf Wernadskijs Erkenntnisse blicken, die er in seinem Aufsatz „Die Erforschung des Lebens und die Neue Physik” von 1930 dargestellt hat.

Als Student von Dmitri Mendelejew und als leidenschaftlicher Gegner des Russellschen Einflusses auf die russische und sowjetische Wissenschaft bieten Wernadskijs Hypothesen über Leben im Kosmos eine wichtige Grundlage, um den wechselnden Ausdruck irdischen Lebens und des umfassenden galaktischen Systems zu untersuchen.

Damit öffnet sich ein weiterer Weg, um zu verstehen, was unser Sonnensystem, unsere Erde und die sich darin abspielenden Prozesse zusammenfassen.

Das Yepun-Teleskop der ESO, einem der vier Unit-Teleskope des Very Large Telescope (VLT), hat mit Hilfe eines Laserstrahls einen künstlichen Stern hoch oben in der Erdatmosphäre erzeugt, der als künstlicher Referenzstern für die adaptive Optik benutzt werden kann. Mittels dieser Technik können Astronomen bei der Beobachtung der Zentralregion der Milchstraße schärfere Beobachtungsergebnisse erhalten. Quelle: ESO/Yuri Beletsky

Wichtige Belege erkennen

Fossilienfunde hinterlassen eine Karte der evolutionären Entwicklung des komplexen irdischen Lebens, die einen Gesamtanstieg in der Zahl einzelner Tierarten (noch deutlicher der Gattungen) während der letzten 540 Mio. Jahre zeigt (am deutlichsten bei Meereslebewesen). Diesem Gesamtanstieg ist jedoch jeweils ein kleinerer periodischer Anstieg und Abfall in der Zahl der Gattungen überlagert. Erste Hinweise darauf gehen in die 1980er Jahre zurück,((„Periodic Extinction of Families and Genera”, Raup and Sepkoski, 1986, Science, Vol. 231, Issue 4740.)) doch neuere Analysen (mit vollständigeren Fossilienfunden) haben den Nachweis für einen Zyklus der Zu- und Abnahme von Gattungen im Laufe der Zeit verfestigt.((„Cycles in fossil diversity”, Rohde and Muller, March 10, 2005, Nature, Vol. 434.)) Besonders interessant dabei ist, daß diese Zyklen mit Periode und Phase zyklischer Bewegungen unseres Sonnensystems durch die Milchstraßen-Galaxie übereinstimmen (Abbildung 1).

Abbildung 1. Fossilienvielfalt im Meer. Nach Rohde & Muller, 2005

Bestehende Erklärungsversuche für diese Korrelation zwischen galaktischer Aktivität und Evolution des Lebens beruhen auf einer Abfolge von dominoähnlichen Effekten, die sich aus der Annahme eines „Auslöschungsmechanismus” ergeben. Man sucht nach Wegen, wie eine erhebliche Zahl einzelner Tiere durch kosmische Prozesse umkommen können (entweder direkt oder durch bestimmte Umwelteinflüsse mit dem gleichen Effekt), was wiederum zur Ausrottung ganzer Arten führen könnte. Wenn die Tötungsrate stark und anhaltend genug ist, kommt es zur Auslöschung einer Vielzahl verschiedener Arten, was zum Verschwinden ganzer Gattungen und dann Familien und schließlich zu einer „Massenextinktion” führt.((Der anfängliche Versuch, einen solchen Auslöschungsmechanismus zu definieren, ging davon aus, daß energiereiche Strahlung, die man in verschiedenen Teilen der Galaxis antrifft, mehr Lebewesen schädigt und tötet, wenn sich das Sonnensystem in einer solchen Gegend befindet, was dann zu höheren Extinktionsraten führt (”Do extragalactic cosmic rays induce cycles in fossil diversity?” Medvedev and Melott, 2007). In einem jüngeren Erklärungsversuch regte ein anderer Wissenschaftler an, daß die Ausrottungen die Folge von Kometeneinschlägen auf der Erde wären, zu denen es regelmäßig kommt, wenn das Sonnensystem die dichteren Regionen der Galaxis durchquert. Dabei können die Bahnen von Kometen, die sich in den Außenbezirken unseres Sonnensystems verstecken, gestört und einige von ihnen in Richtung der inneren Planeten abgelenkt werden. Siehe „Disc dark matter in the Galaxy and potential cycles of extraterrestrial impacts, mass extinctions and geological events”, Michael R. Rampino, 18. Feb. 2015, Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, Vol. 448, Issue 2.)) Die Annahme, daß steigende Extinktionsraten oder sogar Massenextinktionen durch eine solche aufsteigende Kausalität erklärt werden könnte, ist keine evidenzbasierte Verallgemeinerung, sondern vielmehr das Produkt bestimmter reduktionistischer Ansichten und Vermutungen. Tatsächlich ist das Phänomen der Massenextinktionen nur sehr unzulänglich verstanden.((Zum Beispiel wird in einem sehr ausführlichen Papier von Richard Bambach (2006) erneut dargelegt, was über Extinktionen und Massenextinktionen in den letzten 540 Mio. Jahren bekannt ist. Seine letzten beiden Schlußfolgerungen sind aufschlußreich: „Massenextinktionen sind vielgestaltig und variieren in Intensität, Selektivität und Zeitablauf. Sie sind in Wirkung oder Ursache nicht homogen.” Und weiter: „Wissen über Zeitabläufe und geographische und umweltbedingte Verteilung der Folgen ist unzulänglich. Derzeit gibt es für kein Extinktionsereignis eine Übereinkunft über die unmittelbaren Todesursachen.” Siehe „Phanerozoic Biodiversity Mass Extinctions”, Richard K. Bambach, Annual Review of Earth and Planetary Sciences, Vol. 34 (May 2006), pp. 127–55.)) Aus Fossilienfunden ist bekannt, daß es (geologisch betrachtet) relativ rasche Übergänge geben kann, wo viele Arten, Gattungen und Familien verschwinden und durch neue Formen ersetzt werden – wobei allerdings diese dramatischen (und raschen) Veränderungen im Zusammenhang einer bereits laufenden langsameren Fluktuationsrate erfolgen. Wie und warum dies so geschieht, ist noch nicht genau verstanden.

Anstatt davon auszugehen, daß man sich einem reduktionistischen Denkrahmen fügen muß, wählen wir deshalb hier einen anderen Ansatz.

Vielleicht am wichtigsten für diesen neuen Ansatz ist die Erkenntnis, daß es bei diesen Zyklen nicht nur um Extinktionen geht, sondern um Extinktionen und Neuentstehungen (die Entstehung neuer Arten, Gattungen und Familien).

Wie es in einem Papier hierüber von Melott und Bambach von 2013 heißt, ergebe sich der Nachweis für einen Zyklus im Prozeß der evolutionären Entwicklung des Lebens auf der Erde „aus der kohärenten Wechselwirkung von auslöschenden und erzeugenden Fluktuationen, wodurch ein stärkeres Signal entsteht, als eines von beiden allein erzeugen würde oder könnte.”((„Analysis of periodicity of extinction using the 2012 geological timescale”, Melott and Bambach, 2013, Paleobiology.)) Man muß deshalb auch die Frage stellen, warum es regelmäßige Phasen gibt, die durch die Entstehung neuer Gattungen geprägt sind.

Einfach gesagt, es geht um mehr als nur einen Auslöschungsmechanismus. Wir untersuchen einerseits die anti-entropische Entwicklung des Lebens auf der Erde und andererseits die Beziehung unseres Sonnensystems zu unserer Galaxis – und wir fragen, warum Zyklen in beiden Systemen so gut miteinander korreliert sind. Die Arbeiten Wernadskijs bieten eine neue Grundlage zur Untersuchung dieser Beziehung aus einer Sicht von oben.

Wernadskijs „Erforschung des Lebens und die Neue Physik”

Wernadskij selbst sagt, daß wir nicht wissen, was Leben wirklich ist. Doch seine Arbeit liefert eine wichtige Unterscheidung zwischen der Erforschung von Lebensprozessen und Leben selbst. Er untersuchte Lebensprozesse als Lebensäußerungen bzw. als besondere Ausdrucksformen des Lebens, ohne anzunehmen, daß dieser spezifische Ausdruck allein Leben selbst definiert. Diese wichtige Unterscheidung schafft den erforderlichen Rahmen, um Eigenschaften und Merkmale des Lebens selbst richtig zu erforschen – herauszufinden, was bestimmten Ausdrücken und Erscheinungsformen zugrunde liegt.

Genau diesen Ansatz wählte Wernadskij in seinem Aufsatz von 1930 „Die Erforschung des Lebens und die Neue Physik”. Bei seiner Untersuchung der erkennbaren Eigenschaften von Lebensprozessen – wie sie in ihrem Vorkommen im biogeochemischen Medium der Biosphäre studiert werden können – teilte er die Eigenschaften in zwei Bereiche ein:

  1. Jene Eigenschaften, die man mit dem planetaren (biogeochemischen) Medium verbindet, in dem lebende Prozesse auf der Erde erscheinen;
  2. jene von lebenden Prozessen gezeigten Eigenschaften, die sich nicht den Merkmalen und Eigenschaften dieses planetaren Rahmens zuordnen lassen und damit die allgemeinere Situation des Lebens im Kosmos aufzeigen.((Zusammengefaßt aus Abschnitt 10 von „Die Erforschung des Lebens und die Neue Physik”, siehe Anmerkung 4.)) Wernadskij fährt nach der zweiten Liste mit einer Schlußfolgerung fort, die die heutigen Reduktionisten aus der Fassung bringen dürfte: „Diese Liste ist nicht vollständig, aber sie zeigt nachweislich, daß sich Leben im Kosmos in anderen Formen äußert, als gewöhnlich von der Biologie dargestellt.”

Da Lebensprozesse nicht bloß ein geochemisches Phänomen sind, sondern Ausdruck eines Lebensprinzips als solches, das sich im Zusammenhang mit einem geochemischen Medium zeigt, sollte man sich daran machen, im Kosmos nach anderen Ausdrücken dieser nichtplanetaren Eigenschaften des Lebens zu suchen.

Wernadskij widmet den gesamten zweiten Teil seines Aufsatzes den zwei nichtplanetaren Eigenschaften des Lebens, die seiner Ansicht nach am fruchtbarsten sind, um zu erforschen, wie „sich Leben im Kosmos in anderen Formen äußert, als gewöhnlich von der Biologie dargestellt.”

„Ich möchte mich hier mit zwei Phänomenen befassen, die die wichtige Rolle zu klären erlauben, welche die Erforschung des Lebens in dem von der neuen Physik geschaffenen wissenschaftlichen Weltbild spielt – besonders mit Blick auf die Dissymmetrie des Raums von Lebewesen und die biologische Zeit. Im ersten Fall handelt es sich um neue Eigenschaften, die man bei lebenden Organismen beobachtet (ein besonderer Zustand des physikalischen Raums), und im zweiten Fall um neue Eigenschaften der physikalischen Zeit.”((Abschnitt 11, ebenda.))

In den Abschnitten 11–16 seines Aufsatzes beschäftigt sich Wernadskij zunächst mit der „Dissymmetrie des Raums von Lebewesen” gefolgt von einem Abschnitt über biologische Zeit (Abschnitt 17).

Wernadskijs Aufsatz – worin er ein Prinzip des Lebens als solches von den besonderen Ausdrucksformen lebender Prozesse hier auf der Erde unterscheidet und darauf dringt, andere potentielle Ausdrücke dieses Prinzips im Kosmos zu erforschen – schafft eine entscheidende, nichtreduktionistische Grundlage, um die Korrelation von Extinktions- und Neuentstehungszyklen in der Fossiliengeschichte mit den zyklischen Bewegungen unseres Sonnensystems durch unsere Galaxis zu untersuchen – d. h. die potentielle Beziehung zwischen dem antientropischen Entwicklungsprozeß von Lebensvorgängen auf der Erde und den Prozessen des kosmischen Systems unserer Galaxis zu erforschen.

Wie wir sehen werden, ist hierbei Wernadskijs Konzept dissymmetrischer Raumzustände entscheidend.

Kosmische Dissymmetrie

In einem ein Jahr später gehaltenen Vortrag machte Wernadskij einige interessante Bemerkungen über das galaktische System. Unter Verweis auf frühere Untersuchungen über die Verteilung von „Spiralnebeln” (wie Spiralgalaxien damals genannt wurden) vermutete Wernadskij, daß deren Orientierung Ausdruck einer „dissymmetrischen” Eigenart des Kosmos sein könnte.

Versteinerte Überreste einer Seesternart (Dipsacaster africanus), die vor etwa 150 Mio. Jahren ausgestorben ist. Die Fossilie wurde im marokkanischen Taba gefunden. Quelle: Didier Descouens

„Die Spiralform von Nebeln und einigen Sternenhaufen zeigt die wahrscheinliche Gegenwart entsprechender dissymmetrischer Phänomene im Kosmos. Wenn unter den Spiralnebeln rechtshändige Spiralen eindeutig vorherrschen, wie zahlreiche Photographien beweisen, oder wenn in bestimmten Teilen des Universums rechtshändige Spiralnebel konzentriert sind und in anderen linkshändige Spiralnebel, wird die Existenz dissymmetrischer Räume im Kosmos mehr als wahrscheinlich. Diese Dissymmetrie erscheint analog zu der, die wir im vom Leben durchdrungenen Raum beobachten, d. h. daß dieser enantiomorphe Vektoren besitzt, und daß beide Vektoren – linke und rechte – gleichzeitig, aber nicht in gleicher Zahl vorkommen können; die rechtshändigen Vektoren herrschen dort oft vor.”((Aus einem Vortrag von Wladimir Wernadskij „On the Conditions of the Appearance of Life on Earth” (Über die Bedingungen des Erscheinens von Leben auf der Erde) (1931), auf englisch in „150 Years of Vernadsky”, 21st Century Science & Technology, Anthologie, Volume 1.))

Jüngste Untersuchungen zeigen, daß Wernadskij mit seiner Feststellung über die großräumige Verteilung von Galaxien auf etwas Interessantes gestoßen ist;((Auch wenn unklar ist, was Wernadskij 1931 unter „Spiralnebeln” (Spiralgalaxien) genau verstanden hat, so hat 80 Jahre später ein Professor der Universität von Michigan, Michael Longo, eine Studie veröffentlicht, in der er zeigt, daß Spiralgalaxien tatsächlich eine bevorzugte Orientierung haben, abhängig davon, aus welcher Richtung man sie betrachtet. Auf Grundlage eines Datensatzes von 260.000 genau bestimmter Spiralgalaxien fand Longo heraus, daß man in einer bestimmten Richtung (etwa 10° von der Drehachse unserer Galaxis) mehr linkshändige als rechtshändige Galaxien sieht. In einer weiteren Studie, diesmal mit Blick aus der südlichen (nicht der nördlichen) Hemisphäre, zeigte Longo, daß in der entgegengesetzten Richtung das Gegenteil der Fall war: Dort gibt es mehr rechtshändige als linkshändige Galaxien. Das ist eine bemerkenswerte Feststellung, die Wernadskij mit Sicherheit höchst bedeutsam gefunden hätte. Siehe „Detection of a Dipole in the Handedness of Spiral Galaxies with Redshifts z ~0.04”, Michael J. Longo, Physics Letters B, 699, pp. 224–229 (2011).)) uns interessieren jedoch hier die potentiellen dissymmetrischen Merkmale einer einzigen Galaxie – der unseren.

Damit eine einzelne Galaxie eine eigene Dissymmetrie – d. h. eine eigene Händigkeit – zeigen kann, muß es eine tatsächliche Unterscheidung zwischen oben und unten (Norden und Süden) geben,((Ansonsten erschiene eine Spiralgalaxie rechtshändig, wenn man sie von einer Seite beobachtet, und gleichzeitig linkshändig, wenn man sie von der andere Seite beobachtet. Der Links-Rechts-Unterschied wäre also nur vom Standort des Beobachters abhängig und wäre kein Eigenwert des galaktischen Systems selbst, solange nicht die eine von der anderen Seite durch etwas unterschieden wäre.)) eine Unterscheidung, die die globale Charakteristik des galaktischen Systems insgesamt ausdrückt.

Wenn man vor allem aber aus Wernadskijscher Sicht von potentiellen kosmischen Äußerungen eines dissymmetrischen Raums ausgeht, wie man ihn in Lebewesen ausgedrückt sieht, dann sollte sich vielleicht die Oben-Unten-(Nord-Süd-)Unterscheidung, welche die Dissymmetrie einer Spiralgalaxie definiert, am stärksten in der Reaktion lebender Prozesse äußern. Das heißt, es würde Sinn ergeben, daß der wichtigste Beleg für den eigenen dissymmetrischen Raum einer Galaxie die Reaktion lebender Prozesse auf den Einfluß dieses dissymmetrischen Raumes wäre.

Halten wir diesen Gedanken fest und vergegenwärtigen wir uns einmal, was wir über die Beziehung unseres Sonnensystems zur Galaxie wissen.

In seiner Bahn um das Zentrum unserer Galaxie überquert unser Sonnensystem auch die galaktische Ebene in einer Art Auf- und Abbewegung, Auf Grundlage vorliegender Messungen und Analysen beträgt der Zyklus dieser Auf- und Abbewegung von der Mittelebene über einen Höchstpunkt zurück zur Mittelebene etwa 30 (26–37) Mio. Jahre bzw. von einem Höchstpunkt zum gegenüberliegenden Höchstpunkt ebenfalls 30 Mio. Jahre oder von einem Höchstpunkt zur Gegenseite und zurück zur gleichen Seite 60 Mio. Jahre (Abbildung 2).

Abbildung 2. Graphische Darstellung des zeitlichen Verlaufs der Aufund Abbewegung des Sonnensystems durch die Mittelebene unserer Galaxis.

Die meisten Forscher meinen, die Bedingungen nördlich oder südlich der galaktischen Ebene müßten generell ähnlich sein, und deshalb sollte jede Spur, die diese wechselnde galaktische Umgebung in der Erdgeschichte hinterläßt, eine Periodizität von 30 Mio. Jahren ausdrücken.

Dies trifft zumindest auf einen abiotischen Prozeß, das Klima, zu, bei dem man einen 30-Mio.-Jahre-Zyklus festgestellt hat.((Siehe „Is the Solar System’s Galactic Motion Imprinted in the Phanerozoic Climate?”, Nir Shaviv, Andreas Prokoph, und Ján Veizer; Scientific Reports, Article number: 6150 doi:10.1038/srep06150, published Aug. 21, 2014.))

Die evolutionäre Entwicklung des Lebens auf der Erde zeigt allerdings eine Fluktuation von etwa 62 Mio. Jahren.((Es wurden auch Hinweise auf andere Zyklen gefunden, aber dieser ist klar und unmißverständlich, wie aus dem Papier hervorgeht, worin seine Existenz erstmals beschrieben wurde: „… Der 62-Mio.-Jahre-Zyklus ist kein unterschwelliges Signal. Er ist bereits in den Rohdaten sichtbar, vorherrschend in den kurzlebigen Arten und nachdrücklich bestätigt durch statistische Analyse.” Siehe ”Cycles in fossil diversity”, Rohde und Muller, March 10, 2005, Nature, Vol. 434.)) Wie oben bereits erwähnt, erscheint dieser Zyklus der Artenvielfalt am deutlichsten, wenn nicht nur Extinktionen, sondern Extinktionen zusammen mit Neuentstehungen (dem Auftreten neuer Gattungen) untersucht werden, eine Paarung, die einen zwingt, über die reduktionistische Suche nach einem Auslöschungsmechanismus hinauszugehen.

Als Beleg für eine Beziehung zwischen Prozessen unseres galaktischen Systems und der evolutionären Entwicklung des Lebens auf der Erde mag somit nicht nur gelten, daß man sich über oder unter der galaktischen Ebene befindet, sondern daß es Merkmale der einen gegenüber der anderen Seite gibt. Im reduktionistischen Lager nimmt man das als Beleg dafür, die Verbindung zwischen diesem galaktischen Prozeß und der Evolution lebender Prozesse auf der Erde anzuzweifeln (trotz der eindeutigen Korrelation), da die Reduktionisten keinen Grund sehen, einen Unterschied zwischen der Nord- und der Südseite anzunehmen.((Zum Beispiel: „Die Sonne pendelt derzeit alle 52–74 [Mio. Jahre] auf und ab über die galaktische Ebene, aber plausible Reaktionen scheinen bei jeder Mitteleben-Querung (nämlich alle 26–37 Mio. Jahre) aufzutreten” (Rohde, Muller; „Cycles in fossil diversity”, 2005); und: „Deswegen haben diese 60-Mio.-Jahre-Periodizitäten wahrscheinlich nichts mit dem hier diskutierten 30-Mio.-Jahre-Zyklus zu tun, es sei denn, es gibt eine sehr große Nord-Süd-Asymmetrie im Verhältnis zur galaktischen Ebene („Is the Solar System’s Galactic Motion Imprinted in the Phanerozoic Climate?”, Shaviv, Prokoph, Veizer, 2014).)) Aber aus der Wernadskijschen Sicht wird diese Unterscheidung, die als Grundlage ihrer Zweifel dient, für uns zu einem wichtigen Bezugspunkt.

Eine physische Unterscheidung zwischen einer Seite der Galaxis und der anderen ist für unsere Wernadskijsche Hypothese einer dissymmetrischen Besonderheit im physischen Raum des galaktischen Systems erforderlich – woraus sich der entscheidende Nachweis zur Definition einer eigenen Händigkeit des Systems (unabhängig vom eigenen Standort) ergibt.

Bei einem evolutionären Zyklus von nicht 30, sondern 60 Mio. Jahren (und bei der richtigen Phase) ergibt sich der notwendige Beweis für eine Unterscheidung, der das Potential eines inhärenten Unterschieds zwischen nördlicher und südlicher Seite unserer Galaxis und damit ihrer inhärenten Dissymmetrie zeigt. Dabei trifft es sich sehr gut, daß es Schwankungen in der evolutionären Entwicklungsgeschichte lebender Prozesse auf der Erde sind, die den entscheidenden Beweis liefern, um eine eigene Dissymmetrie unseres galaktischen Systems zu definieren – ein Beleg für das galaktische Merkmal eines dissymmetrischen Raums, auf das lebende Prozesse auf der Erde reagieren.((Es sei daran erinnert, daß Wernadskij zu untersuchen forderte, wie „sich Leben im Kosmos in anderen Formen äußert, als gewöhnlich von der Biologie dargestellt.”))

Raumzeit der Antientropie

In der von Wernadskij verwendeten Terminologie und Methode könnte dies ein Ausdruck der dissymmetrischen Raumzeit-Charakteristik unseres galaktischen Systems sein.((Wernadskij beschäftigte sich häufig mit den Raumzeit-Eigenschaften lebender Prozesse, die er als entscheidend ansah, um Lebensphänomene zu erforschen und zu verstehen. Er sah es als erforderlich an, die Raumzeit lebender Prozesse mit einem polaren Vektor als dissymmetrisch zu betrachten. Siehe besonders hierzu seinen Aufsatz „Die Erforschung des Lebens und die Neue Physik” a. a. O. und seine Aufsatzreihe über Probleme der Biogeochemie, davon auf deutsch erschienen: „Über die Unterschiede zwischen lebenden und nichtlebenden Naturkörpern in der Biosphäre”, in FUSION 3/1999.))

Dies ist nicht der erste Anhaltspunkt dafür, daß wir zum Studium galaktischer Systeme eine neue Raumzeit-Konzeption brauchen, die dem galaktischen System eigen ist.((Beobachtungen, die bei galaktischen Systemen unstimmige Messungen der Rotverschiebung zeigen (d.h. Rotverschiebungswerte, die keinen derzeit akzeptierten Ursachen von Rotverschiebungen zugeordnet werden können, wie expandierende Universen, Rezessionsgeschwindigkeit oder relativistische Effekte) könnten – obgleich höchst umstritten – als mögliche Belege für besondere Raumzeit-Charakteristiken angenommen werden, welche einzelnen galaktischen Systemen eigen sind (siehe „Quasars, Redshift ans Controversies”, Halton Arp, 1988, Cambridge University Press).)) Wernadskijs Arbeitsrichtung stößt uns darauf, daß wir unser Denken der Raumzeit-Charakteristik lebender Prozesse (im Gegensatz zur reinen unbelebten Physik) öffnen sollten, wenn wir tatsächlich versuchen wollen, zu verstehen, daß der Kosmos ein eigenes Lebensprinzip und darin galaktische Systeme enthält.

Aufgrund dieser offenbaren Beziehung zwischen der revolutionären Entwicklung des Lebens auf der Erde und den Prozessen unseres galaktischen Systems ergibt sich die Option, die Untersuchungsrichtung umzukehren – die durch die Evolution ausgedrückten Charakteristika dahingehend zu betrachten, daß sie uns etwas über die Natur unseres galaktischen Systems als Ganzem aussagen.

Wie Wernadskij in seinem Vortrag über Evolution von 1928((Wladimir I. Wernadskij, „Über die Evolution der Arten und die lebende Materie”, Übersetzung einer Rede Wernadskijs vor der Gesellschaft der Naturforscher in Leningrad am 5. Februar 1928, FUSION 2/2013.)) richtig feststellte, gibt es in der evolutionären Entwicklung des Lebens auf der Erde eine deutliche Richtung – die zunehmende Energieflußdichte des Systems Biosphäre –, was Wernadskij sein „zweites biogeochemisches Prinzip” nennt:

„Dieses biogeochemische Prinzip, das ich als zweites biogeochemisches Prinzip bezeichnen will, kann folgendermaßen formuliert werden: Die Artenevolution, die zur Schaffung neuer, stabiler Lebensformen führt, muß sich in Richtung auf eine Zunahme der biogenetischen Wanderung von Atomen in der Biosphäre bewegen…

[Das zweite biogeochemische Prinzip] zeigt meiner Meinung nach mit unfehlbarer Logik, daß es eine bestimmte Richtung gibt, in der die Evolutionsprozesse notwendigerweise erfolgen… Jede Evolutionstheorie muß diese bestimmte Richtung der Evolutionsprozesse in Betracht ziehen, welche erst im Zuge der Weiterentwicklung der Wissenschaft zahlenmäßig bewertet werden können. Es scheint mir aus mehreren Gründen unmöglich zu sein, von Evolutionstheorien zu sprechen, ohne auch die grundlegende Frage der Existenz einer bestimmten Richtung in den Evolutionsprozessen während aller geologischen Zeitalter in Betracht zu ziehen. Insgesamt genommen finden sich in den Annalen der Paläontologie keine Anzeichen chaotischer Erschütterungen mal in die eine, mal in eine andere Richtung, sondern von einem Phänomen, dessen Entwicklung auf festgelegte Weise immer in eine Richtung abläuft, in die einer Zunahme des Bewußtseins, des Denkens und der Erzeugung von Formen, die die Wirkung des Lebens auf die Umwelt vergrößern.”((Nach Wernadskijs Analyse in „Die Erforschung des Lebens und die Neue Physik” (siehe Anmerkung 4) sollte man in diesem zweiten biogeochemischen Prinzip auch eine nichtplanetare Eigenschaft des Lebens sehen.))

Seit Wernadskijs Zeit hat sich die Karte der Evolution des Lebens erheblich erweitert. Während die neuen Erkenntnisse sehr stark Wernadskijs zweitem biogeochemischen Prinzip entsprechen,((Siehe zum Beispiel: „Macro-Ecological Revolutions: Mass Extinctions as Shadows of Anti-Entropic Growth”, Benjamin Deniston, EIR, 23. März 2012.)) sind wir noch weit davon entfernt, das Prinzip zu verstehen, nach dem diese Karte erstellt wurde.

In der Beschäftigung damit stießen wir auf die Prozesse unseres eigenen galaktischen Systems – denn die makroevolutionären Pulsationen im Zusammenhang mit der antientropischen Entwicklung lebender Prozesse auf der Erde schlagen im Einklang mit den dissymmetrischen Eigenschaften unserer Galaxie, wie sie auf unser Sonnensystem einwirken.

Anstatt die Entwicklung des Lebens auf der Erde nur als rein irdisches Phänomen aufzufassen, könnte diese ein Ausdruck des antientropischen Charakters unserer Galaxie sein, womit wir zu der Ausgangsfrage zurückkommen: Wie läßt sich die kausale Rolle unseres galaktischen Systems in der hierarchischen Ordnung des Universums verstehen?

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