Musik und Staatskunst: Von der Organisation des Raumes

29. August 2007 – Vorbemerkung des Autors: Vor allem Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und Franz Schubert haben Musik komponiert, die im Rückblick implizit einer Riemannschen Auffassung der erkennbaren physikalischen Raumzeit entspricht. Nichtsdestoweniger verbreiten sich nach wie vor einschlägige Lügengeschichten mit gegenteiligem Inhalt, einige in Gestalt angeblich wissenschaftlicher Erläuterungen von Johannes Keplers Entdeckungen; ein besonders abstoßender Fall aus jüngster Zeit, der mit Wikipedia zusammenhängt, findet sich sogar auf der NASA-Webseite.((Am 25. Mai 2007, Monate nach dem Erscheinen der Original-Webseite der LaRouche-Jugendbewegung (LYM) im Dezember 2006, bemerkte die LYM einen offensichtlich schlampigen und oberflächlichen Plagiatsversuch, eine erbärmlich inkompetente Fälschung, die auf derselben NASA-Webseite auftauchte, auf der die LYM-Abhandlung bereits Monate zuvor erschienen war. Ein direkter Vergleich der wichtigsten Teile des Originals und der Fälschung nach thematischen Abschnitten läßt keinen Raum für Zweifel an der Schlußfolgerung der LYM in dieser Angelegenheit. Der wissenschaftlich inkompetente Artikel, der viele Monate nach dem ersten Erscheinen des LYM-Berichts veröffentlicht wurde, ist ein erbärmliches Machwerk, dessen anonyme Urheberschaft nach einem Abklatsch des schändlichen Schwindels von Maupertuis aus dem 18. Jahrhundert über das Prinzip der geringsten Wirkung roch, ein Schwindel, gegen den sich sogar der Leibniz-Hasser Voltaire verwahrte.))


Im vorliegenden Bericht gehe ich auf ein wichtiges, verwandtes Thema ein; mit meinen Ausführungen bringe ich die Diskussion der ontologischen Grundidee des Kepler-Riemann-Raums auf ihre notwendige, noch tiefere Ebene.

Im Hauptteil dieses Berichts weiter unten wird deutlich, daß die Organisationsform, die sich als Gravitationsprinzip in Keplers Sonnensystem ausdrückt, nur kompetent verstanden werden kann, wenn man die gewöhnlich angenommene reale Existenz einer einfach sichtbaren Raumzeit ablehnt, was für jedes ehrliche und kompetente Verständnis von Keplers Werk als Ganzem auch heute noch entscheidend ist.

Diese Ablehnung, wie ich sie in diesen einleitenden Bemerkungen lediglich zur Veranschaulichung darlege, muß nachdrücklich erfolgen, um so der separaten funktionalen Existenz einer einfach sichtbaren oder einfach hörbaren Raumzeit zu widersprechen. Statt dessen muß sich die Erkenntnis durchsetzen, daß gerade der offenbar absolute Widerspruch zwischen den beiden gegensätzlichen, naiven Vorstellungen von Sinnesgewißheit, dem Sehen und dem Hören (wie im übrigen auch bei bei dem „Welle-Teilchen-Paradox“), die notwendige Grundlage ist, um die physikalische Wissenschaft im allgemeinen, aber insbesondere das Studium von Keplers Werk kompetent ausüben zu können.

Der Widerspruch zwischen diesen beiden Sinnen (wie auch den anderen Sinnen), liefert, wenn diese methodisch in der experimentellen Wissenschaft als Mannigfaltigkeit kombiniert werden, eine einheitliche Vorstellung, die einen höheren qualitativen Geisteszustand darstellt, als er heute sogar unter vielen Fachleuten verbreitet ist. Dieser Geisteszustand geht über die Oberflächlichkeit der Sinneswahrnehmungen als solcher hinaus: Ein höherer, visuell-auditiver Standpunkt, der dann zur Hauptkomponente der einheitlichen Realitätserfahrung wird. Diese Annäherung, die visuell-auditive Mannigfaltigkeit, dient somit, wie in Keplers Weltharmonik, als Ersatz für das naive Verständnis von Sinneserfahrungen.

Diese Mannigfaltigkeit dient, wenn sie in einer aufgabenorientierten Suche nach einem das Universum umfassenden Prinzip verwendet wird, als einheitliche, nur dem Menschen eigene Vorstellung, wie sie sonst nur der Person des Schöpfers bekannt ist. Das muß so verstanden werden, daß damit die Mittel entdeckt werden sollen, mit denen das Verhalten der gegebenen Form des Universums verändert werden können, entweder in Teilen oder möglicherweise in größerem Umfang. Die für diese höhere, schöpferische (d. h. antientropische) Konzeption erforderliche Methode muß daher die naive Orientierung des philosophischen Reduktionismus ersetzen, der sich nur an einer statistischen Wiederholbarkeit orientiert und sich innerhalb fester Grenzen einer ontologisch nicht existierenden Annahme von Sinnesgewißheit bewegt.

Der entscheidende Unterschied zwischen dem menschlichen Geistesverhalten und demjenigen, das für die Sinnesmannigfaltigkeit im Verhalten der Tiere spezifisch ist, ist der einzigartige Daseinszweck des Menschen und seine Fähigkeit, tatsächlich etwas zu erschaffen. Diese willentliche Absicht übersetzt sich in die reale Fähigkeit, gegen das Verbot des oligarchischen olympischen Zeus zu verstoßen, daß der Mensch mit seinem Wissen scheinbar wundersame Entdeckungen nützlicher universeller Prinzipien vollbringt, um daraus Kenntnisse zu ziehen, wie der Mensch insbesondere das Verhalten des Menschen selbst verändern und damit seine Macht als Gattung innerhalb des Universums erhöhen muß.

So ist der sprichwörtliche Satan, verkörpert durch den olympischen Zeus und sein Pantheon, der idealisierte Prototyp des Oligarchen im wirklichen Leben, der die Menschen zu Tieren degradiert. Aus diesem Grund dient Zeus zusammen mit Apollo und Dionysos, den beiden bösartigen Lakaien des Delphi-Kults, den Dichtern und anderen schöpferischen Denkern als das satanische Urbild des imperialistischen Tyrannen, der den Menschen als Tier unter Tieren erscheint – wie eine Kreatur aus H. G. Wells‘ fiktivem Roman Die Insel des Dr. Moreau, der Männer und Frauen, seine Untertanen und andere Opfer zu tierischen Verhaltensformen degradiert. So trug der nietzscheanische Dionysos von Delphi ebenso wie der Kongreß für Kulturelle Freiheit nach dem Zweiten Weltkrieg, die Existentialisten der „Frankfurter Schule“ und der ehemalige Freiburger Naziprofessor Martin Heidegger zur Zerstörung der Kultur in Europa bei. Ähnlich wirkte das vollkommen irrationalistische Dogma von der „autoritären Persönlichkeit“ des Kults um Theodor Adorno, Hannah Arendt und anderen in den USA.((Goethe hat in seinem Der Groß-Cophta auf diese Weise versucht, Zeus darzustellen, und der Romantiker Hugo Wolf vertonte Goethes Gedicht Prometheus, allerdings auf eine mir nicht genehme Weise, trotz der Bemühungen des großartigen Baritons Friedrich Schorr und der Hugo-Wolf-Gesellschaft.))

So gesehen hat der Fall Zeus tiefgreifende Auswirkungen auf den entgegengesetzten Standpunkt der klassischen Musikkomposition und deren Aufführung; diese Auswirkungen haben aber auch eine entsprechend tiefgreifende Bedeutung für das Verständnis der physikalischen Wissenschaft im allgemeinen und für die physikalische Ökonomie im besonderen. Die systematische Zerstörung der klassischen Musikkultur sowie auch des klassischen Dramas durch den widerlichen Existentialismus der Kreise um die Paris Review in der Nachkriegszeit – Teddy Goldsmith, John Train und andere oder Stephen Spender – ist ein wichtiges Beispiel dafür.

Kompetente Wissenschaft und klassische Kunst beginnen erst dann, wenn die naive Sinnesgewißheit von Quasi-Analphabeten aufgegeben wird. Auch die Sinne, wie vor allem das Sehen und Hören, müssen wie andere wissenschaftliche Instrumente auch lediglich als eingebaute Geräte betrachtet werden, die dem Neugeborenen mitgeliefert werden – Geräte, die eingesetzt werden sollten, um gesellschaftlich reproduzierbare Entdeckungen universeller physikalischer Prinzipien nachzuvollziehen.

Die Tatsache der reichen geistigen Entwicklung einer Helen Keller, die weder sehen noch hören konnte, sollte jeden nachdenklichen Menschen daran erinnern, daß nur der menschliche Geist selbst der Sitz des Wissens von brauchbaren Erkenntnissen über unsere Umwelt ist, selbst wenn der in einem Ort ohne Seh- oder Hörvermögen gefangene Geist nur auf indirektem Wege erreichbar ist.

In der Tat erzeugte sie in ihrem Geist ein funktionsfähiges soziales Abbild des Universums, welches in seiner Funktion der Karte des sozialen Lebens einer Person mit vollem Seh- und Hörvermögen entsprach. Sie entwickelte ihre eigene Karte, die für ihr Funktionieren als soziales menschliches Wesen denselben Zweck erfüllte, als wäre ihr geistiges Erfahrungsabbild in sozialer Hinsicht die eines sehenden und normal hörenden Menschen gewesen. Diese funktionale Karte hat sie sich zu diesem Zweck erzeugt – im Sinne von „erschaffen“. Sie brauchte dazu Hilfe, ja. Sie bedurfte dieser Hilfe unbedingt, ja. Aber trotz allem hat sie eine solche Karte in sich erschaffen.

Das Denkmal von Carl Gustav Gauß und Wilhelm Weber in Göttingen. Bild: Wikipedia

Der Punkt, den ich hier anspreche, läßt sich auch auf die Zusammenarbeit von Carl Friedrich Gauß und Bernhard Riemann mit Wilhelm Weber über das wahre Prinzip der Elektrodynamik übertragen – im Gegensatz zu der späteren Auffassung des törichten (und auch bösartigen) Hermann Grassmann. Weber und andere erzeugten Erkenntnisse über eine Reihe experimentell beweisbarer Prinzipien – eine „Landkarte“, die von dem entwickelten, souveränen Erkenntnisvermögen des individuellen menschlichen Geistes hervorgebracht wurde.((Mitte des letzten Jahrhunderts haben Carl Friedrich Gauß und Wilhelm Weber im Anschluß an die früheren Arbeiten André-Marie Ampères eine Revolution in der Physik eingeleitet – eine Revolution, deren wirklicher Hintergrund und Inhalt jedoch der heutigen wissenschaftlichen Welt fast völlig unbekannt ist. Nicht nur hat das einheitliche Konzept elektrodynamischer Wirkung, das hinter Wilhelm Webers berühmtem Gesetz von 1846 steht, praktisch alle damals bekannten Erscheinungen der Elektrizität und des Magnetismus in sich vereinigt; wichtiger noch, Gauß und Weber haben zum ersten Mal einen streng abgeleiteten Weg aufgezeigt, um die experimentelle und theoretische Physik von der „Körperwelt“ makroskopischer, sichtbarer Phänomene auf den mikroskopischen Bereich der Atomphysik zu erweitern. Webers Entdeckung einer aus der elektrodynamischen Wirkung selbst hervorgehenden kritischen Länge und kritischen Geschwindigkeit war in vielerlei Hinsicht ein bedeutender Vorläufer von Plancks revolutionärer Entdeckung ein Vierteljahrhundert später, während sie gleichzeitig in Form des berühmten Weber-Kohlrausch-Versuchs von 1856 die Grundlage für die elektromagnetische Theorie des Lichtes legte. Siehe auch J. Tennenbaum, „Die elektrodynamische Revolution von Gauß und Weber“, FUSION, Nr. 1, 1997.)) Die größten Bewunderer einer naiven Wissenschaft haben diese damals aus einem entscheidenden Experiment entstandene Karte bis heute nicht akzeptiert!

Sobald die notwendige methodische Verbesserung zur Beurteilung der Erfahrungen vorgenommen wurde, stand eine revolutionäre Veränderung in der Art und Weise an, wie man sich nicht nur den Raum als solchen, sondern die physikalische Raumzeit vorstellen mußte. Hermann Minkowskis berühmtes Argument aus dem Jahr 1907 ist ein berühmtes Beispiel hierfür; aber, wie ich hier darstellen werde, müssen wir viel tiefer gehen als damals der ansonsten fähige Minkowski, der der fehlerhaften Konzeption einer nicht-euklidischen physikalischen Geometrie von Lobatschewski und nicht der von Riemann folgte. Für das Verständnis dieser Tatsache werden sich Bach, Mozart und Beethoven als sehr hilfreich erweisen.

Die dringend notwendige Reform für die Definition wissenschaftlicher Erkenntnis muß unbedingt darauf beruhen, daß eine kompetente physikalische wissenschaftliche Methode untrennbar mit der großen musikalischen Reform Johann Sebastian Bachs verbunden ist. Ich meine Bachs Reform, die auch von den großen klassischen Komponisten nach ihm weiterentwickelt wurde. Dies ist das Medium der wahren Prinzipien von Poesie und Drama; dies ist die wissenschaftliche Einsicht in die wahre, dynamische Rolle des Individuums innerhalb der Gesellschaft. Da jede wahre oder relative Grundlagenentdeckung für die menschliche Erfahrung neu ist, ist eine Wissenschaft ohne klassische poetische Ausdrucksweise (wie der Ironie) keine wahre Wissenschaft.((John Keats‘ Ode auf eine griechische Urne ist ein Meisterwerk, das für diesen Zweck herangezogen werden kann. Wie jedes entdeckte naturwissenschaftliche Prinzip ist die Idee des Gedichts so groß und mächtig wie das Universum, wenn man sie erkennt; sie findet sich aber nirgends in einem der Wörter oder Sätze selbst. Es ist ein schönes Beispiel für ein vollkommenes, ontologisch infinitesimales, wirksames Sein.))

Betrachten wir nun aus diesem Grund die Funktion dessen, was wir als den Grundcharakter der sozialen Entwicklung klassischer Musik kennen, wie sie von Johann Sebastian Bach – dem Bach der Bachs – geschaffen wurde.

Johann Sebastian Bach 1746, Gemälde von Elias Gottlob Haussmann.

Ich verfasse diesen Bericht als Werk meines Gewissens, mit dem ich an einen großen Musiker unserer Zeit und einen jahrzehntelangen, sehr lieben Freund erinnern möchte, dessen Gesellschaft ich nach wie vor sehr vermisse. Er würde meinen obigen Vorschlag wahrscheinlich mit seinem typischen Lachen begrüßen, das sonst nur wirklich kreativen künstlerischen Denkern, die ich kannte, eigen sind; ich meine, daß der verstorbene Wissenschaftler und Autor C. P. Snow, berühmt durch sein Werk Die zwei Kulturen, nach diesen meinen Zeilen nun in stiller Zufriedenheit ruhen kann.

1. Mozarts KV 475

In allen überzeugenden Äußerungen klassischer Musik und ihrer Aufführung findet sich nichts, was nicht explizit, gleichsam axiomatisch, im Werk Johann Sebastian Bachs wurzelt. Es gibt keine wirklich „klassische“ musikalische Komposition oder deren kompetente Aufführung, in der sich nicht Bachs „kolumbusartige“ Entdeckung der Wohltemperierung des florentinischen Belcanto der menschlichen Singstimme fortsetzt. (Zugegeben, seine Musik wird nicht immer auf diese Weise aufgeführt.)

Diese Entdeckung äußert sich am klarsten in der immer noch zentralen Rolle von Bachs sogenanntem „Königlichen Thema“ in so wichtigen Werken wie Mozarts Fantasie KV 475, insbesondere in den methodischen Verfeinerungen, die sich aus Mozarts Anwesenheit bei den sonntäglichen Treffen in der Wiener Residenz des Barons Gottfried van Swieten ergaben, einem Bach-Verehrer und ehemaligen Botschafter am Hof Friedrichs des Großen, auf denen über die Werke und Methoden von Bach und Händel gesprochen wurde. Van Swieten hatte eine große Sammlung von Bach-Handschriften aus dem Berlin Friedrichs des Großen nach Wien mitgebracht sowie auch einschlägige Werke von Händel. Mozarts Fantasie KV 475 gehört zusammen mit seinen großen Streichquartetten aus der gleichen Zeit zu den entscheidenden Kompositionen seiner Verbindung mit jenem sonntäglichen Salon, der seinerseits durch seinen nachwirkenden Einfluß auf die größten Komponisten und ausführenden Musikkünstler jener Zeit einen unsterblichen Platz einnimmt.

Das sich in diesem Werk ausdrückende Muster durchzieht auch die übrigen Werke Mozarts und Beethovens und erscheint in mitreißender Überzeugungskraft in den großartigen Werken aus den letzten Monaten in Schuberts Leben, insbesondere in seiner großen Klaviersonate in c-Moll (D 958), worin Schubert die Mozartsche Darstellung des sogenannten Königlichen Themas aufgreift. Diese Mozartsche Behandlung ist auch die spezifische, sozusagen signierte Zuschreibung des gesamten Opus 111 von Beethoven.((Es gibt drei hervorstechende Merkmale dieses Opus 111 – einer Komposition, die ich mehr als jede andere Soloklavierkomposition Beethovens geliebt habe, und zwar über den größten Teil meines Erwachsenenlebens hinweg, Merkmale, die für den Bericht, den ich hier schreibe, von besonderer Bedeutung sind. 1. Der Anfang, der bereits das gesamte Mozarts KV 475 zugrunde liegende Konzept ausdrückt, das aber vor allem ein wirklicher Schöpfungsakt ist (mein wesentliches Thema in diesem Bericht), der kühn die physische Raumzeit der Bühne definiert, in der die Aufführung der Komposition als Ganzes wie in ihrem eigenen Universum enthalten ist. 2. Der letzte Teil der abschließenden Coda, der sich an den kühnen Übergang im dritten Satz von Beethovens Opus 106 anlehnt, der Brahms inspirierte. Sie stellt den Teil der Coda von Opus 111 dar, in dem Mozart mit einem expliziten, zentralen Zitat aus Mozarts KV 475 glorifiziert wird, und zu 3. der fast göttlichen Affirmation von Beethovens persönlicher Hommage an Mozart im Schluß führt. Alle großen Komponisten der Klassik sind J. S. Bachs Revolution gefolgt, indem sie sich in eine ähnliche Richtung bewegen und dabei eine quasi Riemannsche Konzeption der universellen physikalischen Raumzeit verwendet haben, eine Konzeption, die auch ich seit langem vertrete.)) Dieser Gedanke hat mein eigenes Denken über Musik und das damit verbundene Thema meines Fachgebiets, die psychologische Organisation des physisch-ökonomischen Raums, immer stärker beherrscht, seit ich im Januar 1946 zum ersten Mal eine von HMV (His Master’s Voice) aufgenommene Aufführung einer Tschaikowski-Sinfonie unter Wilhelm Furtwänglers Dirigat hörte, als ich in einem Ersatzteillager der US-Armee außerhalb von Kalkutta, Indien, untergebracht war. Es war nicht die Sinfonie selbst, sondern Furtwänglers Dirigat in impliziter Anlehnung an das Leibnizsche Infinitesimal, was Furtwängler manchmal als „Spielen zwischen den Noten“ bezeichnete, das mich bei dieser Gelegenheit fast vom Stuhl gehauen hat. Mozarts KV 475, worin dasselbe implizite Prinzip wahrer menschlicher Kreativität zum Ausdruck kommt, ist seit etwa der gleichen Zeit praktisch das Zentrum meines Erlebens aller klassischen Kompositionen seit Bach, so wie es auch Beethoven, Schubert und andere erlebt haben. Furtwänglers Art zu dirigieren, ist beispielhaft für das, was für die Aufführung aller klassischen Kompositionen erforderlich ist – auch für befriedigende Ergebnisse von Werken, die nicht vollkommen klassisch sind.((In Furtwänglers Händen wurde die Aufnahme der Tschaikowski-Sinfonie zu einem wahren Juwel schöpferischer „Sauberkeit“.))

Anzumerken sei, daß ich in demselben Zeitraum, wo ich mich in dem Ersatzteillager aufhielt, zum ersten Mal mit der schon erwähnten großen Klaviersonate Schuberts in c-Moll vertraut wurde, und zwar obwohl ich mir schon vorher mit einiger Leidenschaft der Anspielung auf den Beginn von KV 475 an vielen anderen Stellen in Beethovens Werken bewußt war, wie z. B. in der ziemlich offensichtlichen konzeptionellen Anlage in der Eröffnung des Opus 57 in f-Moll („Appassionata“) und später nicht nur in dem großartigen Opus 106, sondern am deutlichsten im gesamten Opus 111, das mich rückblickend bis zum heutigen Tag packt.((Und das sogar in einer nicht so schönen Aufnahme von Wilhelm Kempff, die aber nach dem Krieg in den 1940er Jahren die einzige verfügbare Aufnahme war.)) Die gleiche Erfahrung machte ich mit der Schubert-Sonate in c-Moll und der großartigen Neunten Sinfonie von Schubert, die von Robert Schumann vor dem Verstauben bewahrt und von Felix Mendelssohn uraufgeführt wurde. Die Aufführung dieser Sinfonie nach dem Zweiten Weltkrieg unter Furtwänglers Leitung bestärkte mich in meiner Meinung über Schuberts Stellung als einem Komponisten, der Beethoven am nächsten steht.((Wie ich bereits an anderer Stelle erwähnt habe, gibt es einen gewissen Qualitätsunterschied zwischen den großen klassischen Komponisten und Dichtern vor dem Tod von Beethoven und Schubert und den großen klassischen Komponisten und Dichtern, die später als erwachsene Künstler auftraten. Schubert verkörpert, wie Percy Shelley in seiner Eine Verteidigung der Poesie und auch Heinrich Heine den Schatten glorreicher historischer Momente ihrer klassischen Tradition, jedoch mit einigen Unsicherheiten, die den sozialen Druck der aufkommenden Dekadenz der Romantik widerspiegeln. Das Problem derjenigen, die um die Zeit des Wiener Kongresses und der Metternich-Dekrete oder etwas früher erwachsen wurden, ist von Heinrich Heine in seinem Werk Die romantische Schule aufschlußreich dargestellt. Der jakobinische Terror, die napoleonische Tyrannei und das Übel von Fürst Metternichs (vor allem sexuellen) Wiener Kongreß markierten eine Welle ansteckender moralischer und intellektueller Degeneration, ein Makel, der sich als kontrollierende, korrumpierende, dynamisch begrenzende, tragische kulturelle Matrix über den größten Teil des Europas des 19. Jahrhunderts ausbreitete. Franz Liszt und Richard Wagner verkörpern die moralische und intellektuelle Entartung klassisch ausgebildeter Talente, die sich auf eine verzweifelte Flucht vor der klassischen Kunst gemacht haben; aber auch alle noch immer großen und loyalen klassischen Komponisten und Dichter der Generation von Shelley und Heine litten in unterschiedlichem Maße, wie Heine selbst die Auswirkungen der von Wien ausgehenden kulturellen Dynamik im Gefolge des Jakobinerterrors, Napoleons und des Wiener Kongresses auf sich selbst offenbart. Die Kunst und in hohem Maße auch die Wissenschaft spiegeln die überaus dynamische Beziehung zwischen schöpferischem Denken und dem Publikum wider, auf das ihre Produktionen wirken.))

Das Maria-Theresien-Denkmal in Wien mit Baron van Swieten im Vordergrund, direkt hinter ihm Wolfgang Amadeus Mozart als Kind und rechts daneben Joseph Haydn. Bild: Wikipedia

Alle vorangegangenen Überlegungen zur Musik sind an dieser Stelle für die Diskussion über die Universalität der Idee des Raumes für die klassische Kunst und Wissenschaft von größter Bedeutung. Jede wirklich große klassische Komposition basiert im Grunde auf einer tiefen, und zwar implizit zutiefst Riemannschen psychologischen Organisation der musikalischen Raumzeit, wie sie in Furtwänglers Dirigieren „zwischen den Noten“ zum Ausdruck kommt. Nach dieser Sichtweise muß man das Spielen von Noten als untergeordnet betrachten, und zwar nach dem verbindenden Prinzip der pythagoreischen, platonischen, Leibnizschen und Riemannschen physikalischen dynamis (Dynamik), wie es große Komponisten wie Bach, Mozart und Beethoven tun. Alles, was diese großen Komponisten geschaffen haben, war in der Tat ein großer moralischer Akt, die Schaffung eines geistigen Bildes von einer Ausdehnung, die uns in Qualität und Form als Riemannsche physikalische Raumzeit bekannt ist. Innerhalb dieses Raumes geht die Erforschung und Entwicklung dieses so definierten Gebietes mit erfolgreichen Schritten voran und bringt die Wissenschaft zu einem neuen Höhepunkt, weil dies der Ausdruck eines höchst befriedigenden Gefühls inhärenter Vollständigkeit, der Ganzheit dieser Entwicklung ist.

Moses Mendelssohn (links) im Gespräch mit Lavater. Dahinter stehend Gotthold Ephraim Lessing. Gemälde von Moritz D. Oppenheim.

Diese Kulturrevolution der Anhänger von Gottfried Wilhelm Leibniz und Johann Sebastian Bach, die von dem großen Abraham Kästner in Zusammenarbeit mit seinem Schüler und Freund Gotthold Ephraim Lessing und Lessings Freund, dem großen Genie Moses Mendelssohn, eingeleitet wurde, schuf Ende des 18. Jahrhunderts den Kontext für die klassische Revolution in der europäischen Kultur und damit den unverzichtbaren Kontext für die Amerikanische Revolution von 1776.((Weniger bekannt ist heute die wichtige historische Tatsache, daß Moses Mendelssohn den Lehrplan für die Ausbildung des berühmten Gerhard von Scharnhorst an der Militärschule von Mendelssohns Freund und großem Bewunderer Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe entwickelte. Lassen wir einmal Napoleon Bonaparte beiseite. Die revolutionären Militärführer jener Zeit kamen nicht aus der Infanterie oder Kavallerie, sondern aus sich intellektuell nahestehenden Bereichen wie der Ingenieurwissenschaft von Lazare Carnot (Frankreichs „Autor des Sieges“) und der Artillerie von Scharnhorst. Es war die Verbesserung der Artillerie und ihres Einsatzes durch die École polytechnique von Carnots Partner Gaspard Monge, die – und nicht der Angeber Savigny – entscheidend zu Napoleons Siegen beitrug. Nach Waterloo und dem (überaus sexuellen) Wiener Kongreß, als Scharnhorst tot war und der Herzog von Wellington Frankreich besetzt hielt, setzte Wellington den britischen Bourbonen auf den französischen Thron; das Bildungsprogramm der École polytechnique wurde von dem Schurkenpaar Laplace und Cauchy zunichte gemacht, und Frankreichs größtes militärisches Genie jener Zeit, der „Autor des Sieges“ und führende Wissenschaftler Lazare Carnot, wurde ins Exil geschickt, um die letzten Jahre seines Lebens unter Beibehaltung seines vollen früheren militärischen Ranges in Magdeburg zu verbringen, immer noch geehrt als ehemaliges Mitglied der École polytechnique, damals unter Alexander von Humboldt. Als Sadi Carnot später französischer Staatspräsident wurde, wurden Lazares sterbliche Überreste mit allen von Deutschland gewährten militärischen Ehren zur letzten Ruhestätte im Pariser Panthéon überführt. Nur wenige scheinen sich heute daran zu erinnern, wie viel Deutschland und Frankreich in diesem Zusammenhang auch dem orthodoxen Juden Moses Mendelssohn zu verdanken haben, der zusammen mit Kästners Schützling Gotthold Ephraim Lessing eine führende Rolle in der klassischen Renaissance im Deutschland des 18. Jahrhundert und darüber hinaus spielte. Wenn wir nicht solch glänzenden Ereignissen gerecht werden, wie könnte man dann jemals Gerechtigkeit von uns erwarten?)) Die Rettung von Shakespeares Werk vor der Entstellung in den virtuellen und realen Bordellen des Londoner Liberalismus des 18. Jahrhunderts und die von Kästner bewirkte Rettung von Shakespeares Werk, wie sie sich auch im Genie von Kästners Schützling Lessing und auch im besten Teil von Johann Wolfgang von Goethe sowie im überragenden Genie Friedrich Schillers und seines Kreises widerspiegelt, ermöglichten die Gründung der großen amerikanischen Republik, die sich um die Leitfigur des Wissenschaftlers und wahren Prometheus seiner Zeit, des Weltbürgers und Patrioten, Benjamin Franklin, gruppierte.

Benjamin Franklin (links) liest einen Entwurf der Unabhängigkeitserklärung. Rechts von ihm John Adams und Thomas Jefferson. Gemälde von Jean Leon Gerome Ferris.

Nicht nur die bedrohte amerikanische Republik, sondern die gesamte Zivilisation hängt heute in einem Maße, das keine Ausflüchte zuläßt, von der Kenntnis der großen kulturellen Revolutionen in Europa ab, insbesondere der Renaissance des 15. Jahrhunderts, deren Zentrum der großartige Dom von Florenz war, und das damit verbundene Erbe jenes Kardinals Nikolaus von Kues, der nicht nur die Entdeckung Amerikas, sondern auch seine Nachfolger wie Leonardo da Vinci, Johannes Kepler und Leibniz sowie den wichtigen Westfälischen Frieden von 1648 inspiriert hat, ohne den die Gründung unserer Republik nicht möglich gewesen wäre. Bei alledem sind das Werk und das Erbe Johann Sebastian Bachs nicht nur entscheidend, sondern kulturell von viel größerer Bedeutung, als selbst die besten heute lebenden Künstler vermuten.

Ohne die gebührende geschichtliche Berücksichtigung des gesamten Spektrums der wichtigen, eng miteinander verbundenen Entwicklungen in Wissenschaft und klassischer Kunst und ihrer Zusammenhänge sehen wir mit offenen Augen die Realität nicht, lernen vielleicht viel, wissen aber fast nichts.

2. Unser Leben im politischen Raum

MySpace((MySpace ist ein 2003 gegründetes, mehrsprachiges werbefinanziertes soziales Netzwerk.)) hat nie wirklich existiert, außer als ein Ort, sozusagen als zweite Tavistock-Klinik, wo tote Seelen von Rupert Murdochs elektronischen Totengräbern wie Gefangene verscharrt werden. Nur unser politischer Raum existiert tatsächlich und lebt.

In den Vorbemerkungen zu meiner Schrift Schluß mit der Selbsttäuschung!((Lyndon LaRouche, „Zur Lage der Nation: Schluß mit der Selbsttäuschung!“, in Neue Solidarität, Nr. 36–38, 2007. Auf englisch erschienen unter dem Titel „The End of Our Delusion!“ in Executive Intelligence Review, 31. August 2007.)) habe ich darauf gedrungen, die Demokratische Partei der USA und andere müßten sich darüber klar werden, daß es für das Überleben sowohl unserer Republik als auch der Welt insgesamt an dem jetzigen Punkt der existentiellen Wirtschaftskrise erforderlich ist, sofort unsere Denkweise über Wirtschaft aufzugeben, die das Schicksal unserer Republik in den letzten Jahrzehnten gelenkt und ruiniert hat, insbesondere seit die Flut vorsätzlicher Dekadenz zwischen 1968 und 1972 voll einsetzte. In diesem Bericht, den ich am 3. August [2007] verfaßt habe, unterstrich ich die notwendigen Maßnahmen, um der Bedrohung Einhalt zu gebieten, die von dem fortgeschrittenen und sich beschleunigenden Zusammenbruch der derzeitigen Weltwirtschaftssysteme ausgeht. Ich habe darauf gedrungen, daß eine weise US-Regierung diese Überlegungen zum Anlaß nehmen sollte, eine Politik zu betreiben, die heute den meisten als revolutionäre Veränderung in der Denkweise über Wirtschaft erscheinen müßte. Ich spreche von revolutionären Veränderungen, die ganz offensichtlich eine Abkehr von der ruinösen Praxis der letzten Jahrzehnte darstellen und voll und ganz mit der Verfassungstradition unserer Republik im Einklang stehen – einer Tradition, die auf unsere Ursprünge in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zurückgeht und die noch in meiner eigenen gelebten Erfahrung gegenwärtig ist, als ich als Jugendlicher und als Erwachsener während des Krieges die Umstände des von Präsident Franklin Roosevelt organisierten Aufschwungs erlebte.

In der Schrift Schluß mit der Selbsttäuschung! habe ich auch den entscheidenden Punkt hervorgehoben, von dem jeder tatsächliche wirtschaftliche Aufschwung abhängt, nämlich das Dynamik-Prinzip, das keineswegs irgendeine Neuerfindung ist. In diesem Zusammenhang möchte ich zwei prinzipielle Punkte unterstreichen:

  1. Die Bedeutung des Amerikanischen System, so wie es im Laufe der Ereignisse, die zur Unabhängigkeitserklärung und zur Verabschiedung der US-Bundesverfassung führten, geschaffen und entwickelt wurde. Diese historische Erfahrung ist prinzipiell unvereinbar mit den bis dahin vorherrschenden Wirtschaftssystemen, die nur zu häufig die durchaus hoffnungsvollen Perspektiven für West- und Mitteleuropa ruiniert haben, und zwar etwa seit der Zeit, als in den USA unsere föderale Form einer konstitutionellen Republik eingeführt wurde.
  2. Physikalisch-wissenschaftlich gesehen hat die Gründung unserer Republik ihren unmittelbaren Ursprung im Wiederaufleben des alten pythagoräischen und platonischen Prinzips der dynamis, das von Gottfried Wilhelm Leibniz in den 1690er Jahren als heutige Dynamik formuliert wurde, und in der damit eng verbundenen Weiterentwicklung der von Leibniz angestrebten mathematischen Physik, die später im Hauptwerk von Bernhard Riemann verwirklicht werden sollte.

    LaRouche: „Die Einwanderer in unsere Republik… haben uns Amerikaner implizit und in gewissem Maße auch tatsächlich zu einem destillierten Selbstausdruck des gemeinsamen Interesses der gesamten Menschheitsfamilie gemacht.“ Im Bild eine Gruppe von Einwanderern, die Anfang des 20. Jahrhunderts auf Ellis Island vor New York eintreffen. Bild: National Archives

Die Einwanderer in unsere Republik seit jenen früheren Zeiten haben uns Amerikaner implizit und in gewissem Maße auch tatsächlich zu einem destillierten Selbstausdruck des gemeinsamen Interesses der gesamten Menschheitsfamilie gemacht. Unter Präsident Franklin Roosevelt wurde dies noch einmal deutlich, als wir kurz davor standen, genau dies willentlich zu werden. Diese Entwicklung sollte als tatsächlicher Ausdruck des gegenwärtigen, vitalen Selbstinteresses der gesamten Menschheit verstanden werden, das sich hoffentlich in der Praxis in diese Richtung verwirklichen läßt.

Dieses Ziel ist auch heute noch in der friedensstiftenden Schlußerklärung des Westfälischen Friedens von 1648 enthalten; der Grundsatz vom „Vorteil des anderen“, der den Westfälischen Frieden begründete, motivierte auch den großen Schmelztiegel, zu dem unsere Republik wurde, und der denselben Geist wieder aufleben ließ, von dem die größten unserer Gründerväter beseelt waren. Wir hätten weiter so gehandelt, wenn Präsident Franklin D. Roosevelt nicht zur Unzeit gestorben wäre, denn wir waren damals implizit dazu bestimmt, dieses besondere Prinzip des Westfälischen Friedens zu verkörpern, einer Republik, die, wie der große deutsche Dichter Friedrich Schiller betonte, dazu dienen sollte, den Zustand des Menschen zu verbessern, wie es auch im Vermächtnis des Solon von Athen und des großen Platon steht.

Mit anderen Worten, wir wurden mit der Absicht geschaffen, einer Mission zu dienen – nicht aus Eigennutz, sondern, wie der Marquis de Lafayette einmal betonte, um eine vollkommen souveräne Republik zu sein, die auch als ein Leuchtfeuer für die Sache der Freiheit aller Menschen dient. Das verstehen wir unter dem Streben nach Glückseligkeit, das als zentraler Grundsatz in unsere Unabhängigkeitserklärung von 1776 aufgenommen wurde, und zwar in jener Passage, die unsere Gründerväter aus Leibniz‘ zweiter Widerlegung von John Lockes Arglistigkeit entnommen haben.((Ich sollte hier wiederholen, daß Leibniz aus Rücksicht auf Lockes Tod während der Zeit, in der er seine zweite Widerlegung schrieb, diese Arbeit nicht zu seinen Lebzeiten veröffentlichte. Die verspätete Veröffentlichung erfolgte auf Veranlassung der Kreise um den berühmten Abraham Kästner, dem Gastgeber von Benjamin Franklin, als dieser Göttingen im Jahre 1766 besuchte. Aus der Verbreitung von Leibniz‘ zweiter Widerlegung stammt die Passage „das Streben nach Glückseligkeit“, die von Franklin in die Grundformulierung der Unabhängigkeitserklärung von 1776 und von dort in die Neuformulierung der Präambel der amerikanischen Bundesverfassung aufgenommen wurde.)) Es war unsere Absicht, dieses Versprechen zu erfüllen, und viele von uns dachten, daß dies mit unserer Rolle im Zweiten Weltkrieg erreicht werden könnte, als wir den Sieg über Adolf Hitler errangen. Leider haben sich unsere Moralvorstellungen nach dem Tod unseres geliebten Präsidenten Franklin Roosevelt verändert, manchmal nur Zentimeter um Zentimeter, aber qualitativ von oben nach unten. Unsere Bevölkerung wurde in hohem Maße selbstsüchtig, kaltherzig und zunehmend haßerfüllt, da wir mehr und mehr die bigotten, grob eigennützigen Gepflogenheiten jener britisch-imperialistischen Verdrehung der „menschlichen Natur“ übernahmen, die wir eigentlich überwunden hatten, als wir unsere verfassungsmäßige freiheitliche Republik gründeten.

Ich bin ein sturer Hund

Nach Kriegsende, als ich aus Südasien zurückkehrte, deckten sich meine Ansichten voll und ganz mit Präsident Franklin Roosevelts Vermächtnis, und das ist bis heute so geblieben, und das sehr nachdrücklich mit wohl überlegten, in der Erfahrung wurzelnden Gründen. Schon damals war es selbst unter den Veteranen nicht leicht, andere wie mich zu finden, die auch noch unter Präsident Truman und später diese Überzeugung beibehielten; aber da ich auf meine Art ein „sturer Hund“ bin, blieb ich nicht unbedingt ein Anhänger Franklin Roosevelts, sondern jemand, der die historische Verpflichtung unserer Nation teilte, die ich in dem bleibenden Beitrag seiner Mission als Präsident und Führer in Zeiten schwerer wirtschaftlicher Depression und Krieg erkannte.

Aus diesem Grund war mein Erwachsenenleben seit jenen Zeiten praktisch eine jahrzehntelange Ausbildung in Ökonomie und dann mehr und mehr in der Staatskunst im allgemeinen. Das hielt bei mir bis zu der US-Wirtschaftskrise von Februar 1968 bis Januar 1972 und den damit zusammenhängenden großen Weltereignissen von 1971–72 an, als mir wie von selbst plötzlich deutlich wurde, daß ich über die Voraussetzungen und Qualifikationen verfügte, um mich für eine Führungsposition in meinem Land zu bewerben – so als wenn ein Vogel plötzlich auf meiner Schulter gelandet wäre.

Mir kam es so vor, als ob ein einfacher Gefreiter im späteren Leben in eine Situation gelangt, in der er – aufgrund von Abgängen und hoffentlich auch durch Ausbildung und Erfahrung – unerwartet in eine Situation kommt, in der er die Rolle eines kommandierenden Generals im Krieg spielen muß. Es ist bekannt, daß ich bei meiner Ankunft an diesem Wendepunkt meines Lebens 1971–72 nicht sehr willkommen war; aber genau das ist das Risiko, das jede qualifizierte Führungskraft eingehen muß, wobei ich neben anderen Vorteilen für die segensreiche Möglichkeit dankbar bin, herausfinden zu können, wer im eigenen Gesichtskreis jene Dummköpfe und Feinde sind, gegen deren bloße Dummheit oder Schlechtigkeit man antreten muß.

Diese Wendung in meinem Leben war weitgehend von dem geprägt, was sich schon in meinen jungen Jahren als ein stark unabhängiger kreativer Wesenszug zeigte, und zwar in der Regel sogar gegen den Strich vermeintlicher Normen von Schule, Elternhaus, Universität und anderen Autoritäten. Ich sah mich schon früh, bereits in der Kindheit, dazu bestimmt, als häßliches Entlein oder schwarzes Küken in einer weißen Welt zu agieren. Das war für mich, wie ich nachdrücklich bestätigen kann, oft ein schwieriger und manchmal gefährlicher Weg; aber es ist der einzige Weg, auf dem man eines Tages soweit fortschreiten kann, um von seiner Fähigkeit ehrlich überrascht zu sein, womöglich sogar eine Nation zu führen – wie Franklin Roosevelt es inmitten des Ruins tat, der durch frühere Fehlentscheidungen des Landes angerichtet wurde.

Ich habe also eine Eignung, potentielle Kandidaten für das höchste Amt vorzuwarnen, auch wenn ich selbst inzwischen mehr als nur ein bißchen zu alt für das Amt des Präsidenten bin. Nichtsdestotrotz bin ich in der Lage und frei, Initiativen zu ergreifen und den Jüngeren, die nachkommen, das eine oder andere beizubringen. Deshalb muß ich Sie warnen: Wenn Sie glauben, Sie seien an der Reihe, die Führung einer krisengeschüttelten Nation zu übernehmen, dann besteht der entscheidende Test nicht darin, was Sie zu diesem oder jenem Thema sagen oder gar denken, sondern schlicht und einfach darin, wie Sie über fast alles denken.((Leute, die glauben, daß knifflige „Testfragen“, wie sie von Meinungsforschungsinstituten gestellt oder von den Massenmedien live präsentiert werden, die Grundlage für die Wahl eines Kandidaten für ein hohes Amt, insbesondere für das Amt des US-Präsidenten, sind, gehören zu den größten aller dummen Narren, wie sie nur allzu häufig typisch sind für die gefährlichen und auch dümmsten dieser Zeit. Kluge Bürger wählen wichtige Führungspersönlichkeiten nicht nach dem aus, was sie in mundgerechten Sprechblasen sagen, sondern danach, wie sich diese Kandidaten unter den Bedingungen zukünftiger persönlicher Krisensituationen von ihrer erkennbaren geistigen Landkarte leiten lassen würden.)) Was immer Sie sind, Sie müssen universell denken. Wenn Sie nicht an Ihrer Mission in diesem Sinne festhalten, wie edel die von Ihnen gewählte Mission auch sein mag, werden ansonsten die Verwirrung oder andere Korruption, auf die Sie in sich eingelassen haben – die Korruption, d. h. Ihr ungelöster innerer Konflikt zwischen Mission und Empfindung –, zu einem inneren Konflikt führen, der Sie im Extremfall zerreißen oder zumindest unfähig machen würde, einen geradlinigen Führungskurs ohne fatales Zögern beizubehalten, wenn schnelle und klare Entscheidungen am meisten gebraucht werden. Das ist extrem gesehen die große Krise der gegenwärtigen Führungslosigkeit unseres Landes, eine Führungslosigkeit, die selbst ernsthaft in Betracht zu ziehende Kandidaten betrifft und die jetzt die gesamte Welt wie auch unser Land bedroht.((Vor allem aus diesem Grund mache ich mir aufgrund meines Alters große Sorgen um diejenigen, die als Kandidaten für das Amt des US-Präsidenten oder ähnliche Positionen in Frage zu kommen scheinen. Vor allem aus diesem Grund beunruhigen mich die bisherigen Auftritte der bekannten Kandidaten sehr. Sie sind alle zu sehr vom gleichen Charakter und von den gleichen Agenden geprägt, die das heutige Elend geschaffen oder geduldet haben.)) Um diesen Punkt klar zu bekommen, muß man zunächst das Konzept der Dynamik begreifen, das ich umfangreich in meinen Vorbemerkungen zu dem Aufsatz vom August((Siehe Anmerkung 11.)) dargestellt habe.

Beethoven wird uns dabei helfen.

Ludwig van Beethoven, Gemälde von Joseph Karl Stieler, ca. 1820.

3. Bachs Raumzeit und unsere

Sollten Sie es vergessen haben, möchte ich Sie vor dem Weiterlesen darauf hinweisen, daß dies keine Abhandlung über Musik ist, sondern eine Darstellung bestimmter wenig bekannter, höherer Funktionen des menschlichen Geistes – teilweise der geistigen Funktionen des Individuums, aber auch der spezifisch sozial-dynamischen Eigenschaften, die das Individuum als soziales und politisches Phänomen erworben hat, und zwar unter bestimmten Umständen von Ort und Zeit, wo sich dieses Land und große Teile der Welt in einer tiefen Krise befinden. Auch wenn dies keine Abhandlung über Musik ist, hat die klassische Musik in den besten Zeiten der modernen europäischen Zivilisation eine entscheidende, integrale Rolle in der gesunden moralischen und damit verbundenen Entwicklung der Denkfähigkeit des einzelnen und der Gesellschaft gespielt. Meine wiederholte Betonung der Musik und klassischen Poesie hat etwas mit der Phasenraum-Funktion zu tun, die in dem zum Ausdruck kommt, was Platons Sokrates und die christlichen Apostel Johannes und Paulus mit derselben Bedeutung unter dem großen Verfassungsprinzip wahrhaft zivilisierter Völker, bekannt als Agape, verstanden haben. Dieselbe Agape, der Feind des Wuchers, liegt dem großen Westfälischen Frieden von 1648 genauso wie dem Grundsatz des Strebens nach Glückseligkeit zugrunde, der in der unserer Bundesverfassung vorangestellten Präambel wiedergegeben ist. Dieser Bericht berührt daher immer wieder und notwendigerweise das gemeinsame Thema der klassischen Ausdrucksformen in Poesie und Musik; aber das Thema dieses Aufsatzes als Ganzes bleibt die Staatskunst.

Es gibt eine wichtige Verbindung zwischen den Erkenntnissen der antiken Pythagoräer und dem Florentiner Belcanto für die natürliche menschliche Sing- (und Sprech-)stimme bei c‘ = 256 Hz und den sich daraus ergebenden bekannten Registerwechseln bei Fis der ausgebildeten Belcanto-Stimmen der größten Soprane und Tenöre früherer Generationen. Johann Sebastian Bachs Verständnis der Bedeutung hiervon für den Bereich der Wohltemperierung hat einen entscheidenden Einfluß sowohl auf die physikalischen Wissenschaften als auch auf die klassische Polyphonie: eine Verbindung, die sich am besten durch die herausragende Entdeckung der harmonischen Ordnung des Keplerschen Sonnensystems verdeutlichen läßt.((Alle wirklich großen Sängerinnen und Sänger, die meine und die vorangegangene Generation gehört haben, stimmen meiner Auffassung in diesem Punkt in hohem Maße zu. Die nach dem Zweiten Weltkrieg „offiziell“ verfügte Änderung des Registerübergangs war anfangs hauptsächlich Ausdruck der modernistischen oder schlimmeren Verrücktheit von Immobilieninteressen, die eine Anhebung der Stimmung von a‘ = 432 Hz auf etwa 440 Hz und dann noch viel höher forderten. Nur eine außergewöhnliche Gesangsstimme konnte diesen rücksichtslosen und im Grunde unmoralischen Mißbrauch viele Jahre lang durchhalten; andere große künstlerische Talente hielten dem nicht lange stand, ausgebrannt durch die Gelüste, die sowohl im obszön existentialistischen Paris Review der Nachkriegszeit als auch bei den Geschäftemachern der einschlägigen Immobilien- und verwandten Interessen zum Ausdruck kamen, die große Künstler lieber wie Zirkustiere oder „Talente“ im Stil von Las Vegas behandelten. Der beste Weg, Menschen zur Beherrschung und zum Verstehen intelligenter Sprache zu befähigen, ist, sie darin auszubilden, in Formen des klassischen Belcanto-Gesangs und der Poesie zu denken.))

Die sechs Stimmgattungen der menschlichen Singstimme mit ihren Registerwechseln. Bild: Schiller-Institut

Den in diesen Aussagen enthaltenen Standard zu bewahren, ist unabdingbar, wenn das klassische Erbe für die Gesellschaft tatsächlich genutzt werden soll.

So liegt, wie der berühmte Albert Einstein einmal feststellte, der offenkundig entscheidende Entwicklungsgang der modernen europäischen Physik in einem Prozeß, der insbesondere von Kepler bis Bernhard Riemann reicht. Aus Gründen, die einen geübten Amateurgeiger wie Einstein sicher nicht überraschen würden, hätte diese Darstellung sicherlich auch Kepler befriedigt, der „zukünftigen Mathematikern“ die Aufgabe zugewiesen hatte, wichtige wissenschaftliche Prinzipien zu entdecken.

Somit gibt es auch einen spezifischen historischen Punkt, an dem die klassische Belcanto-Aufführung zwingend mit Bachs Werk verbunden ist, und zwar im Zuge des Aufstiegs der modernen physikalischen Wissenschaft infolge der Revolution der wissenschaftlichen Methode, die von Kardinal Nikolaus von Kues und einigen seiner Nachfolger in Physik und Kunst wie Luca Pacioli, Leonardo da Vinci und Johannes Kepler eingeleitet wurde.

Es gibt viele wichtige Erben dieser agapischen Wissenschaftstradition, aber, um es vorsichtig auszudrücken, nicht zu viele. In der modernen physikalischen Wissenschaft sind es vor allem Berühmtheiten wie Kepler selbst, Pierre de Fermat, Gottfried W. Leibniz, Carl F. Gauß und Bernhard Riemann, aber auch ihre wichtigsten unmittelbaren Mitarbeiter und treuen Anhänger. In jüngerer Zeit gehört hierher auch Max Planck, dem von dem wirklich verrückten Mephistopheles, Ernst Mach, und seiner Brut so übel mitgespielt wurde, während aus der Tradition meines Lagers das große Genie W. I. Wernadskij und Einstein selbst hervorstechen, die in dem Sinne unter den eher zeitgenössischen weltgeschichtlichen Persönlichkeiten herausragend sind.

Bei all dem gibt es zwischen Kepler und J. S. Bach eine ganz besondere, entscheidende Verbindung, auf die ich hier den Schwerpunkt lege. Die wesentlichste heutige Verbindung ist die häßliche Tatsache, daß die europäischen Kulturen von immer radikaleren sophistischen Stilrichtungen beherrscht werden, vor allem von jenen kakophonischen Hervorbringungen, die man in der Wissenschaft als reduktionistisch bezeichnet.

Die Wurzel dieser weit verbreiteten moralischen und intellektuellen Dekadenz, die als Reduktionismus, Empirismus, Positivismus, Existentialismus usw. daherkommt, ist, wie ich in meinem Aufsatz Schluß mit der Selbsttäuschung!((LaRouche, op. cit.)) hervorgehoben habe, vor allem das Ergebnis des sogenannten philosophischen und politischen Liberalismus, der in der Moderne durch Paolo Sarpis Wiederbelebung des mittelalterlichen Irrationalisten Wilhelm von Ockham als Institution und Methode etabliert wurde.

Wie bei Ockham, so ist auch für den anglo-holländischen Liberalismus, der durch Sarpis großen Einfluß in den nordeuropäischen Seefahrtzentren – den Niederlanden und England von René Descartes und Wilhelm von Oranien – begründet wurde, vor allem in der physikalischen Wissenschaft, aber auch anderswo kein wirkliches menschliches Erkenntnisprinzip erlaubt. Unter der Herrschaft dieses Liberalismus, auch bekannt als Empirismus oder einfach Reduktionismus, ist insbesondere durch den Betrug von Sarpis Lakai Galileo und durch Descartes eine Ersatzwissenschaft entstanden. Carl F. Gauß hat die politisch motivierten Betrügereien von de Moivre, d’Alembert, Leonhard Euler und Lagrange in seiner Doktorarbeit von 1799 als Sophistereien einer leeren Mathematik entlarvt.

Betrachten wir daher folgendes.

Wissenschaft, Raum und Musik

Die Aufhebung euklidischer und verwandter Systeme der Geometrie, wie sie Bernhard Riemann in seiner Göttinger Habilitationsschrift von 1854 festlegte, hatte den Effekt und die Absicht, die Prämissen der gesamten durchaus korrekten physikalischen Wissenschaft von der Idee einer utopischen, euklidisch-kartesischen Ausdehnung zu lösen, um sie zu ihrer Hauptlokalisierung in ihrer wissenschaftlichen Beziehung zum ganz Großen zurückzuführen – zu der Erkenntnis, daß sich das Kleine tatsächlich nur in seiner Beziehung zu den großen Selbstbegrenzungen in entdeckbaren sogenannten universellen Prinzipien ausdrückt, innerhalb deren Rahmen sich unser Universum begrenzt und definiert. Mit anderen Worten: Dynamik.

Bernhard Riemann.

Diese Begrenzungen (wie Keplers Entdeckung der universellen Gravitation) verkörpern das, was man als experimentell begründete universelle Prinzipien bezeichnen kann, Prinzipien, die das Universum als Ganzes enthalten, aber gleichzeitig als Selbstbegrenzung dieses Universums dienen, welche durch dasselbe Prinzip, Dynamik, ausgedrückt wird, das als Konzept der modernen wissenschaftlichen Methode von Leibniz im Zeitraum 1692–95 eingeführt wurde. Diese Begrenzungen sind somit nicht nur die des existierenden Universums selbst, sondern auch aller Prozesse darin.((Dies ist nicht ausschließlich eine Entwicklung innerhalb der modernen europäischen Zivilisation. Die antike Sphärik, die die Pythagoräer und andere von den Ägyptern übernommen haben, ist der real existierende Vorläufer, damals dynamis genannt, heute Leibnizsche Dynamik genannt, die Methode, die durch Nikolaus von Kues‘ De docta ignorantia erneut in die moderne europäische Gesellschaft eingeführt wurde, was wiederum der Standpunkt ist, den Riemann in seiner Habilitationsschrift von 1854 ausdrücklich vertritt.))

Wie ich an früherer Stelle wiederholt schriftlich, in Vorträgen und privaten Gesprächen dargelegt habe, war die Verwendung des Begriffs Dynamik in diesem Sinne von Leibniz als eine moderne Wiederbelebung des Begriffs dynamis gedacht, wie er von den Pythagoräern und den eng verwandten Kreisen um Sokrates und Platon verwendet wurde. Vor Riemanns Weiterentwicklung des Begriffs der dynamischen Hypergeometrie wurde er vor allem mit Riemanns Vorgängern wie Carl F. Gauß, Niels Abel, Wilhelm Weber und Lejeune Dirichlet in Verbindung gebracht.((Die moderne Dynamik, wie sie in Gottfried Leibniz‘ Specimen dynamicum von 1695 definiert wird, ist im Grunde eine Wiederbelebung der voreuklidischen Form der physikalischen Geometrie, die Sphärik genannt wird und womit das führende Werk der Pythagoräer und der anderen Kreise Platons, auf das sich dynamis bezieht, verbunden war. Es ist bekannt, daß sie auf den Grundsätzen der anti-euklidischen Geometrie beruht. Die Untersuchung der von den Kreisen der Pythagoräer und Platons angewandten Methode zeigt, daß die Sphärik ein Abbild der antiken, langzyklischen maritimen Astronomie ist, wie sie sich im Bau der großen Pyramide von Gizeh widerspiegelt. Diese Astronomie betrachtete das Universum bereits als effizient begrenzt, anstatt ausgehend von einem sehr kleinen, linearen Raum als unendlich ausgedehnt. Die berühmte Verdoppelung des Würfels durch den Pythagoräer und Freund Platons, Archytas, allein durch Konstruktionsmethoden, hatte entscheidende Auswirkungen auf das Verständnis dieser Zusammenhänge, wie Eratosthenes feststellte. Dies wird durch die Tatsache unterstrichen, daß die Astronomie des Claudius Ptolemäus eine betrügerische Sophisterei war, die durch eine, wie man euphemistisch sagen könnte, „Anpassung“ der früheren Arbeit des Aristarchos von Samos zustande kam. Im Gegensatz dazu waren, wie Kepler gezeigt hat, Kopernikus und Brahe ehrliche Forscher, deren Fehler nicht böswillig waren, sondern einfache Unzulänglichkeiten, die die Tatsache widerspiegeln, daß es ihnen nicht gelungen war, das grundlegende Problem des Prinzips zu erkennen, das Kepler dann in wesentlichen Aspekten gelöst hat.)) Spuren dieser Entwicklung finden sich in den Arbeiten der Kreise um Alexander von Humboldt, die in der Zeit nach dem Wiener Kongreß innerhalb der intern zerstrittenen École polytechnique nach 1815 zu den Hauptgegnern von Laplace und Cauchy gehörten.((Eine wichtige, lange vermißte Arbeit Abels fand sich bei der Durchsicht in Cauchys persönlichem Archiv nach dessen Tod.))

Die universelle Gravitation, wie sie von Kepler als erklärtem Anhänger des Kardinals Nikolaus von Kues entdeckt und definiert wurde, ist in der modernen physikalischen Wissenschaft der Prototyp des dynamischen Begriffs der Selbstbegrenzung, ein Begriff, der Jahrhunderte später als Riemannsches Konzept bekannt wurde. Daraus folgt Albert Einsteins Erkenntnis, daß die gesamte gültige, bekannte moderne Wissenschaft durch den Entwicklungsprozeß begrenzt ist, der von den Arbeiten Keplers bis zu den direkt verwandten grundlegenden Erkenntnissen Bernhard Riemanns reicht.

Standbild von Johannes Kepler und Tycho Brahe in Prag. Kepler hat gezeigt, daß Kopernikus und Brahe ehrliche Forscher waren, die aber das grundlegende Problem des Prinzips nicht erkannten, das Kepler dann in wesentlichen Aspekten gelöst hat. Bild: Wikipedia/Frettiebot

Man stelle sich also eine physikalische Geometrie vor, die dieser dynamischen Sichtweise der Beziehungen des Universums zu den Prozessen entspricht, die es „im Inneren“ enthält. Hierbei muß man fragen: Was ist das Charakteristische der Vorgänge in einem solchen Universum, das sich so als Universum selbst definiert? Ich denke, die Antwort auf diese Frage hätte Nikolaus von Kues, Kepler, Leibniz oder Riemann nicht in Erstaunen versetzt, zumindest nicht für lange Zeit. Die Antwort, die sich aus dieser Frage ergibt, basiert auf früheren Erkenntnissen des Philon von Alexandria, der die absurde, aber auch niederträchtige aristotelische Vorstellung vom Schöpfer anprangerte, der sich durch den Schöpfungsakt selbst hilflos gemacht haben soll. Diese aristotelische Absurdität wurde später von Isaac Newtons politischen Kontrolleuren und durch den unsinnigen „Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik“ von Clausius, Grassmann und Kelvin im Grunde erneut bekräftigt.

Die Wahrheit ist, daß sich das Universum als Ganzes – wie aus Philons theologischer Anprangerung der heidnischen Sophisterei des Aristoteles hervorgeht und wie Herakleitos und Platon zu ihrer Zeit betonten – immer und immer wieder selbst erschafft und somit immer Veränderung anstrebt, um stets qualitativ höhere Zustände seines eigenen Seins zu erreichen. Es ist ein sich selbst erschaffendes Universum, mit anderen Worten eine anti-entropische Entität, die ein Universum definiert, das dem blasphemischen, neo-malthusianischen Konzept des Clausius-Grassmann-Kelvinschen „Zweiten Gesetzes“ absolut entgegengesetzt ist.((Ich beziehe mich hier auf Philon von Alexandria, der Aristoteles‘ Behauptung anprangerte, Gott sei tot, d. h. Aristoteles‘ Spitzfindigkeit, daß, wenn Gott vollkommen sei, seine Schöpfung auch vollkommen sei und daher von Gott selbst nicht verändert werden könnte, wodurch Satan freies Feld hätte, sein Unwesen zu treiben. Diese aristotelische Sichtweise, von der sich der Ausspruch „Gott ist tot“ des dionysischen Kultisten und Nazi-Vordenkers Friedrich Nietzsche ableitet, ist auch die ideologische Wurzel des heutigen malthusianischen Dogmas der „globalen Erwärmung“.)) In Anlehnung an die berühmten Vorbilder von Heraklit bzw. Platon((Siehe z. B. Platons Parmenides.)) ist dies die entscheidende anti-entropische Implikation von Riemanns grundlegender Entdeckung.

Was das Titius-Bode-Gesetz und all sein Drumherum betrifft, so konnten die gnostischen Reduktionisten der akademischen Welt, wie der Dichter Robert Burns gesagt haben könnte, nie mit einer rationalen Darstellung des allgemeinen Gravitationsprinzips aufwarten, für das der von Kepler damals bekannte Teil des Sonnensystems bis heute einzigartig ist. Die sophistische Titius-Bode-Reihe ist der Versuch, ein Dummy wie aus einem Wachsfigurenkabinett zu schaffen, eine totgeborene Wissenschaftsseele, praktisch wie ein ausgestopftes Kinderspielzeug, das als Ersatz für das lebendige Werk Keplers herhalten soll. Dieser Aspekt von Keplers Arbeit wurde Mitte bis Ende der 1980er Jahre in einer Reihe von Sitzungen mit Physikern aus dem Umkreis der Fusion Energy Foundation (FEF) gründlich und heftig diskutiert, worauf ich an anderer Stelle hingewiesen habe.((In einem Projekt des LYM-Teams über Harmonie spielte ein ausgebildeter Cellist jede der von Kepler angegebenen Frequenzen und lieferte damit einen wesentlichen Beitrag für die Animationen zur Veranschaulichung von Keplers Entdeckungen. Zum Thema FEF: Im Zuge des berüchtigten Gerichtsprozesses von 1988 in Alexandria, dessen einer Leidtragender ich war, zeigte sich, daß die Hauptanklagepunkte gegen die Angeklagten in erheblichem Maße darauf beruhten, daß das Gericht seine eigene Mitschuld an einer früheren betrügerischen Eingabe an ein Konkursgericht verschwieg. Das Versäumnis dieses Konkursgerichts, diesen Fehler zu korrigieren, hat eine wichtige wissenschaftliche Einrichtung, die FEF, in den Ruin getrieben und dadurch auch ein Wiederaufnahmeverfahren des Prozesses von 1988 verhindert. Das Motiv für diesen Schwindel geht auf das Frühjahr 1983 zurück, als Leute wie Richard Mellon Scaife, John Train u. a. eine massiv finanzierte Kampagne starteten, um meine Rolle bei der Ausarbeitung des Vorschlags für eine Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) zu verunglimpfen, den Präsident Reagan einen Monat zuvor in einer berühmten Fernsehansprache an die Sowjetunion gerichtet hatte. Die einschlägigen rechtsextremen Zirkel und mit ihnen verbundene Finanzkreise innerhalb und außerhalb der Regierung waren entschlossen, mich und die FEF für immer auszuschalten. Das tun sie auch heute wieder. John Train, der den Salon organisierte, in dem diese Angriffe ausgeheckt wurden, war früher eine prominente Figur des Paris Review, der an den Bemühungen zur Zerstörung der klassischen Kultur in Europa beteiligt war. Entsprechende Anwälte und sogar ein Bundesrichter in den einschlägigen Fällen von 1984 und später ließen den „gut vernetzten“ Train in dieser und ähnlichen Angelegenheiten wiederholt ungeschoren. Natürlich sind nicht alle Bundesrichter so problematisch wie dieser. Der kürzlich verstorbene Bundesrichter Robert Keeton führte zum Beispiel in einem ähnlichen Fall in Boston einen durchaus ehrlichen Prozeß.))

Die Folgen für die Musik

Um die Erinnerung des Lesers aufzufrischen, wohin diese Etappe unserer Reise in die politische Wissenschaft führt, sei nicht nur das strukturierte physikalisch-musikalische Gesetz des Hörens((Die Physik der Schallausbreitung und des Hörens stehen natürlich in einer funktionalen Beziehung zueinander, aber aus Gründen, die hier bereits dargelegt wurden, sind die Physik des Hörens und die Physik des Schalls nicht dasselbe Thema.)) in Verbindung mit entsprechenden visuellen Vorstellungen erwähnt. Keplers ursprünglicher Entdeckung der universellen Gravitation entsprechend hat die Kompositionsmethode Bachs und die seiner bedeutendsten Nachfolger die Wirkung, daß die Komposition des Komponisten wie ein deutlicher dynamischer Begriff einer gesamtwirksamen Aktion im Universum erscheint: als Ausdruck der Selbstentfaltung dieser Universalität.

Damit sei betont, daß Bach in seinem Konzept der Wohltemperierung die Idee einer funktionalen Universalität verfolgt und anwendet, wie im Fall des Königlichen Themas in der Kunst der Fuge, und auch darin, wie Beethoven sein Opus 111 eröffnet. Auch Mozart behandelt Bachs Königliches Thema am Anfang von KV 475. Auch der musikalische Raum, zum Beispiel in Beethovens Appassionata (Opus 57), in Opus 106 und wiederum im Opus 111 wird einleitend so definiert. Für Johann Sebastian Bach – den Bach der Bachs – ist dies sicher auch eine Frage seiner christlichen Theologie: der Vorstellung eines Universums, das so geschaffen ist, daß der menschliche Geist alles Wichtige als Ausdruck des Wirkens eines göttlichen, immer wirkenden Schöpfungsprinzips begreifen muß: entgegen der Behauptung „Gott ist tot“ eine fortlaufende universelle Schöpfung zu immer höheren Seinszuständen, in denen der Mensch nach dem Vorbild des Schöpfers wirken soll – Leibniz‘ „beste aller möglichen Welten“.((Nietzsche ist tot! Wenn man dem Zeugnis der Apostel Johannes und Paulus Glauben schenken will, ist dies im wesentlichen die christliche Auffassung. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, daß Leibniz einen starken und anhaltenden Einfluß ausgeübt hat, um die christliche Kirche wiederzuvereinigen, und daß Johann Sebastian Bach in etwa der Zeit von Leibniz‘ Tod sein Berufsleben begann. Der in Leipzig geborene Abraham Kästner, der 1719, drei Jahre nach Leibniz‘ Tod, geboren wurde, hatte sein Leben schon früh der Aufgabe gewidmet, das Lebenswerk von Leibniz und J. S. Bach zu fördern. Die sophistische Korruption, die als anglo-holländischer Liberalismus des 18. Jahrhunderts bekannt ist, hatte in der Zeit von Bachs Jugend noch nicht ihren Siegeszug angetreten. Viele philosophische Irrtümer bei der Interpretation von Ideen ließen sich vermeiden, wenn man den Grundsatz der historischen Spezifität genauer beachtet.))

Adolph Menzels Gemälde mit dem Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci, der später Bach das „Königliche Thema“ vorgab, das Bach dann zum „Musikalischen Opfer“ ausarbeitete.
Das „Königliche Thema“.

Wie Riemann in seiner Habilitationsschrift so definierte auch Bach – aber auch Mozart in seinem KV 475 und Beethoven in seinen Opera 106 und 111 – zuerst ein geeignetes Universum und ließ dann darin sich den Prozeß entfalten. In allen Fällen endet das klassische Kompositionswerk mit der vollständigen, kohärenten Erforschung dieses Universums als Ausdruck des vom Komponisten gewählten Phasenraum-Prinzips.((Optimalerweise muß es einen Eröffnungsabschnitt geben, der eine bestimmte Phase des Universums definiert. Dieser Abschnitt soll eine Art physikalisch-infinitesimale Spannung, eine angedeutete beharrliche Ironie, ein Fragezeichen und damit einen Ansporn für die weitere Entwicklung enthalten, wie es im erstem Satz von Beethovens Opus 111 und der großen Fuge des Opus 106 in konzentrierter Spannung wunderbar verkörpert ist. Dieses infinitesimale, ironische Elements entwickelt dann seine „gesetzmäßig“ kohärente Wirkung in dem Universum, in dem es sich befindet, verändert aber auch dieses Universum, um einen neuen qualitativen Seinszustand zu erzeugen, der am Ende wie im Rückblick erscheint. Alle großen Dramen, wie der erste Auftritt des Geistes in Shakespeares Hamlet, haben eine ähnliche Funktion. Alle großen klassischen Musikkompositionen seit Johann Sebastian Bach und alle großen klassischen Dramen, insbesondere Tragödien wie die von Aischylos, Shakespeare und Schiller, sind auf der Grundlage desselben Funktionsprinzips geschrieben und sollten entsprechend aufgeführt werden. Shakespeare und Schiller haben nicht nur Dramen geschrieben, sondern haben uns das lebendige tragische Wesen der europäischen Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit begreifbar gemacht.)) Alle großen klassischen Kompositionen seit J. S. Bach waren implizit Riemannsche Werke in diesem Sinne einer vereinheitlichenden universellen Absicht: (durch Bachs Methode des Kontrapunkts) funktional definiert als vereinheitlichende, kreative Identität.

Woran erkennt man zum Beispiel eine kohärent komponierte (und hoffentlich auch kohärent aufgeführte) Komposition? Manch einer mag fälschlicherweise mit ungläubig herabhängendem Unterkiefer denken, Beethoven habe Rameau oder Fux als kompetente Komponisten hätte ansehen müssen. Eine gelungene klassische Komposition in welcher kohärenten Form auch immer, ob in der Kunst oder anderswo, beginnt als ein zufriedenstellend abgeschlossenes Werk komponiert zu werden, wenn die Idee einer kohärenten Entwicklung im Rückblick mit dem Ergebnis dieses Entwicklungsprozesses übereinstimmt, wenn, wie manche zu sagen pflegen, „es zusammenkommt“.

In einem erfolgreich abgeschlossenen Prozeß klassischer Komposition und ihrer Aufführung bestimmt das festgelegte Ziel den Beginn seiner eigenen Entwicklung (genauso wie in der kompetenten Staatskunst).

Man nähert sich einer neu entdeckten Insel, einem fremden Planeten oder einem zukünftigen Schlachtfeld mit der Absicht, diese erst vollständig zu erkunden, bevor man sich dort einrichtet. Und nur ein Narr richtet sich dauerhaft auf einem Schlachtfeld ein, wenn es nicht bereits die ganze Welt oder zumindest ein Kontinent ist. Ein guter Komponist erschafft ein solches Gebiet und bietet dieses künstlerische „Grundstück“ nicht zum Verkauf an, solange er nicht weiß, wie er dieses Territorium als Ganzes gestalten und es so präsentieren kann, daß kein wesentlicher, funktionaler Aspekt unentwickelt bleibt.

Das bedeutet, daß sich die fertige Komposition in den Transformationen ausdrückt, welche wiederum in ihrem Abschluß zum Ausdruck kommen – nicht nur in ihrem Abschluß auf dem Papier, sondern in dem angestrebten Abschluß, das Werk ohne beschämende Folgen zu Ende zu bringen. Wenn dieser Schluß definiert ist, wendet der Komponist seine Aufmerksamkeit wieder der Verfeinerung des Anfangs seines Werkes zu, dem Keim, von dem das vollendete Werk ausgeht. Sein Aufbruch zu dieser Reise entsteht aus dem Vorwissen, das von der Gewißheit des praktischen Weges durchdrungen ist, auf dem er sein Ziel erreicht. Dann, wenn das Werk vollendet ist, muß er (oder sie) ihm das Leben, das wahrhaft ontologische Infinitesimale, einhauchen. Hier ist vor allem der außergewöhnliche Dirigent oder klassische Musiker gefragt, der über eine tiefe persönliche moralische Integrität in seiner Herangehensweise verfügt, um das Werk des großen Dramatikers oder des musikalischen Leiters und der Spieler zu diesem spezifischen Effekt „zusammenzuführen“.

Dieses Vorgehen ist charakteristisch für Dynamik, sei es in der Kunst oder in der Geschichte. Es ist das Endresultat, die auf diese Anstrengung gerichtete Teleologie, von dem der Ausgangspunkt und die beabsichtigte Reiseroute gewählt wird.

Wilhelm Furtwängler war ein beispielhafter solcher Dirigent.((Für Leser, die vielleicht Hilfe brauchen, um sich über Furtwänglers Rolle unter dem Naziregime klar zu werden, sei daran erinnert, daß Pferd und Reiter nicht notwendigerweise derselben Spezies angehören – obwohl in einigen Fällen teilweise der Verdacht besteht, daß es Reiter gibt, die sich dem Tier, wenn auch nur zum Teil, von hinten nähern. Hermann Görings bevorzugter Dirigent für Berlin war der damalige Humpta-Kapellmeister Herbert von Karajan. Göring forderte Furtwänglers Entlassung, um ihn durch von Karajan zu ersetzen. Goebbels intervenierte mit dem interessanten Argument, daß die Einsetzung von Karajans anstelle Furtwänglers den Einfluß der Nazis auf die deutsche Bevölkerung untergraben würde. Als der Krieg zu Ende und Hitler nicht mehr da war, wurde Furtwängler, der seinen Posten dazu genutzt hatte, jüdische Musiker vor den Nazis zu schützen, auf Drängen der Truman-Administration entlassen – unter dem Vorwand, ein Nazi-Kollaborateur gewesen zu sein; dann, nach einem indiskreten Intervall, wurde Furtwänglers ehemaliger Posten an von Karajan vergeben, der, wie ein fachkundiger Augenzeuge berichtet, die Aufführung einer Beethoven-Sinfonie mit Hilfe einer Stoppuhr leitete, implizit also nach Mussolini-Art buchstäblich per Stoppuhr! Nachdem ich eine Plattenaufnahme unter von Karajans Leitung hörte, hielt ich diesen Bericht über seine Rolle als Dirigent für durchaus plausibel. Und als ich in Boston kurz nach dem Krieg einige Plattenaufnahmen mit sehr agapischen Aufführungen Furtwänglers hörte, konnte ich meinen spontanen Ausruf nicht unterdrücken: „Dieser Mann war kein Nazi!“))

Um den entscheidenden Punkt noch einmal zu rekapitulieren: Es gibt überall zwei Hauptwirkungsvektoren. Einerseits die geäußerte Universalität in jeder Phase von thematischer Vorstellung und Entwicklung; andererseits die fortlaufende Entfaltung der Entwicklung. Diese Vektoren definieren sich durch die Wechselwirkung des Begriffs, den wir mit dem visuellen Raum assoziieren, aber der Vorgang spielt sich im Hörvermögen ab, das an die Stelle von etwas tritt, das das Werk jenes ontologisch Infinitesimalen darstellt, des subtilen Lebenshauchs, der wie eine Überraschung daherkommt (wodurch die Sinne, wie in der großen klassischen Poesie, subtil in Erstaunen versetzt werden) und den Geist bewegt.

LaRouche schreibt, daß sich eine kompetente musikalische Komposition niemals auf ein formales Spiel reduzieren läßt, noch auf etwas Ähnliches wie einen Moog-Synthesizer (im Bild). Bild: Wikipedia/Attila Szász

Bei all dem läßt sich eine kompetente musikalische Komposition oder ihre Aufführung niemals in irgendeiner Weise auf ein formales – d. h. implizit aristotelisches oder empirisches – Spiel wie Schach oder Go reduzieren, auch nicht auf ein Computerspiel, das jemals für ein digitales Computersystem entworfen werden könnte, noch auf etwas Ähnliches oder Angestrebtes wie einem Moog-Synthesizer. Die Genialität wahrer musikalischer Komposition liegt in der Vorstellung des menschlichen schöpferischen Intellekts, wie eine Aufführung „richtig zwischen den Noten gespielt“ wird. Der Kontrast wird deutlich zwischen einer Aufführung des agapischen zweiten Satzes von Schuberts Neunter unter dem Dirigat Furtwänglers und der eher einem Klagelied ähnelnden, mißglückten Aufführung dieses zweiten Satzes unter der Leitung von Bruno Walter. Die Kreativität liegt jenseits des reduktionistischen Bereichs, im „ontologisch Infinitesimalen“, im Bereich des „Spielens zwischen den Noten“, im Bereich des Leibnizschen Infinitesimalkalküls, das Leibniz später zu dem universellen physikalischen Leibniz-Bernouilli-Prinzip der geringsten Wirkung weiterentwickelte.

4. Der Streit um das Infinitesimale

Der wesentliche Unterschied zwischen einem Leierkasten samt Affen auf der einen Seite und einem wirklichen Musiker auf der anderen Seite ist die spezifisch menschliche Eigenschaft der Kreativität, mit der, wenn sie entwickelt und eingesetzt wird, die notwendigen Ironien hervorbringt, die ein mechanisches oder tierisches Geschehnis von den Ausdrucksmöglichkeiten des menschlichen Geistes unterscheiden. Die klassische Komposition – im Unterschied zu den Klängen der Popmusik, die einen Käfig voller kreischender Affen nachzuahmen versucht – erhält ihre Kraft daraus, daß sie mit jenen Fähigkeiten des menschlichen Geistes in Resonanz steht, die allen niederen Lebensformen oder mechanischen und elektrischen Vorrichtungen fehlen.

Dies ist der Kern der Frage, die sich in dem berühmten Streit um den Begriff des Infinitesimals stellte, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts ausbrach.

Hier liegt die (sozusagen) organische Verbindung zu der agapischen Qualität, die in fundierten Kompositionen und Aufführungen klassischer Musik steckt. Es ist diese Nähe zur Agape, die die Fähigkeit des Geistes erzeugt, „tiefe und glühende Ideen über den Menschen und die Natur mitzuteilen und zu empfangen“,((Percy B. Shelley, „Eine Verteidigung der Poesie“, posthum veröffentlicht in Essays, Briefe aus dem Ausland, Übersetzungen und Fragmente von Edward Moxon, London, 1840.)) was die gemeinsame, eng miteinander verbundene Funktion und Kraft großer klassischer Poesie und Musik ist. Die gleiche Verbindung zur Agape ist ebenso die wesentliche Befähigung für Staatskunst, wie Shakespeare dies beispielsweise für Präsident Abraham Lincoln gewesen ist. Und Schillers Werke hatten diese Funktion für eine ganze Generation junger Deutscher, die in die Freiheitskriege gegen die Unterdrückung durch Napoleon und Metternich zogen.((Es kursiert das irreführende Gerücht, ich sei gegen die Förderung des Laientheaters. Das ist natürlich völlig falsch. Vielmehr denke ich, daß meine Mitarbeiter und ich als verantwortungsbewußte politische Menschen in Gesang oder Schauspiel als Lernende schlecht abschneiden, aber ihr Versuch muß richtig angeleitet und frei von übler Romantik à la Coleridge oder der Rohheit Brechts sein. Das Drama hat etwas von einer heiligen Berufung, wie es an dem wahren Prinzip der klassischen Tragödie deutlich wird, und darf nicht die Bedeutung der ausgebildeten Belcanto-Gesangsstimme außer acht lassen, um die Rolle der Figur auf der Bühne ausfüllen zu können. Ich bin der Meinung, daß eine hierbei fehlende Absicht eine wichtige gesellschaftliche Funktion in eine Farce verwandelt und das moralische Urteilsvermögen des Publikums und der Schauspieler gleichermaßen beeinträchtigt. Aus diesem Grund betone ich oft die Rolle des Chors am Anfang von Shakespeares Heinrich V.: Man darf, wie Shakespeare das Publikum dieses Stücks warnt, über seinen Gegenstand für Auge und Ohr des Publikums unvollkommen sprechen, aber nur, wenn man im Kopf des Publikums keine Dissonanz oder Banalität hervorruft.))

Für diejenigen, die das Infinitesimal des Leibnizschen Kalkulus entweder schlichtweg nicht kennen oder ihm feindlich gegenüberstehen, ist das Infinitesimal lediglich eine fiktives Konstrukt, das mit einer gewissen Hartnäckigkeit bei formalen mathematischen Berechnungsmethoden für kubische, biquadratische und algebraische Funktionen höherer Ordnung entsteht.

Als sich jedoch ein Verein von Leibniz-Hassern aus dem Umkreis von Abt Antonio Conti, Voltaire und anderen in einer Reihe von Salons in ganz Europa zusammenfand, empfahl eines der Mitglieder dieses erlauchten Kreises, Abraham de Moivre, dieses hartnäckige Etwas – das Infinitesimal der algebraischen, kubischen Funktionen von Cardano und anderen – lediglich als eine unvermeidliche Fiktion zu betrachten, die gezwungenermaßen durch die mathematischen Formalitäten der kubischen und algebraischen Gleichungen höherer Ordnung entstehe. De Moivres Meinung wurde von seinem Kollegen d’Alembert übernommen, und auch von dem konvertierten Leibniz-Hasser Leonhard Euler, der Lagrange mit derselben Auffassung indoktrinierte. Dasselbe üble Vorhaben wurde durch Lagranges Protektion durch Napoleon Bonaparte gefördert und später im Frankreich nach 1815 unter der Besatzung des britischen Herzogs von Wellington von Lagranges Nachfolgern, den Piraten Laplace und Cauchy, verbreitet, die die Aufgabe übernahmen, Frankreichs École polytechnique so weit wie möglich zu zerstören.

Die Wurzel dieser Inkompetenz sowohl von de Moivre et al. als auch ihrer reduktionistischen Nachfolger im 19. Jahrhundert wie Laplace, Cauchy, Clausius und anderen oder des geradezu satanischen Bertrand Russell ist, wie ich in meinem Aufsatz Schluß mit der Selbsttäuschung! betont habe, auf den Einfluß von Ideologen wie Aristoteles oder Ockham zurückzuführen, da die Wirkung des berühmten Betrugs von Claudius Ptolemäus bis ins 16. Jahrhundert und darüber hinaus anhielt. Dieser Betrug ist Ausdruck der antihumanistischen, oligarchischen Vorgehensweise des olympischen Zeus aus Der Gefesselte Prometheus und der bösartigen Zwillinge Apollo und Dionysos aus dem antiken Delphi-Kult.

Prometheus (rechts, sitzend) erschafft den Menschen und beseelt ihn durch Berührung mit zwei Fingern; links Athene. Marmorrelief von einem römischen Sarkophag, 3. Jahrhundert, Louvre. Bild: Wikimedia Commons

Die Implikationen aus der politischen Geschichte des Kalkulus lassen sich in zwei äußerst wichtigen Beobachtungen zusammenfassen.

Erstens: Die Idee der kubischen Funktionen, mit der sich Cardano und seine Anhänger im 16. Jahrhundert befaßt hatten, gelangte in die Salons der Reduktionisten des 18. Jahrhunderts, weil sich die moderne europäische Mathematik immer wieder verlegen mit einer Frage beschäftigte, die im klassischen Griechenland als Delianisches Paradox bekannt war. Der Gedanke, daß eine solche Wende in der Geschichte hin zu einer Mathematik des Kalkulus notwendig sei, entstand, nach bester Einschätzung historischer Aufzeichnungen, nachdem im modernen Europa Informationen über die erfolgreiche Verdopplung eines Würfels durch Konstruktion und nicht durch algebraische Berechnung eingetroffen waren; dieser Erfolg war dem Pythagoräer Archytas von Tarent, einem Freund Platons, gelungen. Die Bedeutung dieser Leistung wurde später auch von dem großen Eratosthenes hervorgehoben.

Die spätere Einführung des Begriffs „Infinitesimal“ ergab sich aus den Bemühungen Cardanos und anderer, Archytas‘ Leistung in formale algebraische Ausdrücke für kubische und biquadratische Funktionen zu bringen. Für diese Algebraiker und ihre konfusen Anhänger war der Begriff „infinitesimal“ Ausdruck einer rein linearen, formalen, algebraischen, unendlichen Reihe.

Die alternative, gegensätzliche moderne Sichtweise dieser Frage entstand etwa zur gleichen Zeit durch die Arbeit von Johannes Kepler, der Nikolaus von Kues, Luca Pacioli und Leonardo da Vinci nachfolgte. Kepler hatte das, was später die Leibnizsche Infinitesimalrechnung werden sollte, nicht nur als formal-mathematisches Infinitesimal definiert, sondern als tatsächliche physikalische Größe, die als universelles physikalisches Prinzip von außen auf die Mathematik einwirkt: und nicht nur als algebraische Größe, wie sie d’Alembert, Euler, Lagrange und später Laplace und Cauchy sowie Clausius, Grassmann und andere verstehen sollten. Dieser zweite Standpunkt basierte auf der ursprünglichen Leibnizschen Entdeckung des Kalkulus (wohingegen die lächerlichen Behauptungen des verrückten Isaac Newton lediglich ein auf algebraische unendliche Reihen angewendeter Anstrich waren).

Die Entdeckung des physikalischen Infinitesimals im Gegensatz zum rein algebraischen sogenannten „Infinitesimal“ der Algebra stammte ursprünglich von Kepler. Sie tauchte bei Kepler erstmals auf, als dieser sich den Hinweis von Nikolaus von Kues zueigen machte, daß in der Quadratur des Kreises von Archimedes ein systemischer wissenschaftlicher Fehler steckte. Im wesentlichen folgte Keplers ursprüngliche Entdeckung der elliptischen Umlaufbahn, bei der in gleichen Zeiten immer gleiche Flächen überstrichen werden, der cusanischen Ablehnung einer formal algebraischen Definition für das, was der physikalische und nicht nur algebraische Begriff der universellen Gravitation genannt werden sollte.

Eine zweite wichtige Entdeckung Keplers – der harmonische Aufbau der damals bekannten Sonnenbahnen – führte zu einem höheren Gravitationsbegriff, der im gesamten Sonnensystem gilt. Das gleiche Ergebnis wurde vor kurzem von zwei einzelnen Teams der „LaRouche Youth Movement“ (LYM) erarbeitet, die auf meine Veranlassung hin die Entdeckungen Keplers neu darstellten.((Ich hatte der LYM generell vorgeschlagen, die wichtigsten Bildungsmängel der Vergangenheit am besten dadurch zu beheben, daß man zunächst eine neue Grundlage für das Studium der Wissenschaften schafft. Dabei müsse man die entscheidenden Errungenschaften in der physikalischen Wissenschaft zurückverfolgen, ausgehend von den Pythagoräern und Platons Sphärik über die Erkenntnisse des Nikolaus von Kues bis Kepler und Leibniz und abschließend mit Gauß und Riemann (wobei man unterwegs die relevanten Arbeiten der wichtigsten Persönlichkeiten einzeln aufgreift). Auf diese Weise läßt sich eine intellektuelle Brandmauer gegen die irreführende und korrumpierende Sophisterei errichten, die bei jenen „babylonischen“, anti-epistemologischen „Auswendiglernmethoden“ vorherrscht, die ich in der modernen Breitenbildung und anderswo kennengelernt hatte, eine Unsitte, die ich in meiner eigenen Jugend so sehr zu verachten begonnen hatte. Man muß die Grundzüge der europäischen Wissenschaften wirklich kennen und die experimentelle Physik und auch die physikalische Ökonomie auf der Grundlage dieses historischen Hintergrunds behandeln. Ich hatte es abgelehnt, mich den meisten manchmal durchaus brauchbaren höheren Bildungsprogrammen zu unterwerfen, aber ich rettete damit meine eigene intellektuelle Seele.))

Vor demselben Hintergrund hatte Kepler in seinem Werk künftigen Mathematikern zwei große Aufgaben hinterlassen: erstens die Entdeckung eines universellen physikalisch-mathematischen Kalkulus und zweitens eine notwendige Verallgemeinerung der physikalischen Rolle elliptischer Funktionen. Die letztere der beiden Aufgaben, die sich aus diesem Anliegen ergab, war von zahlreichen Wissenschaftlern um die Wende zum 19. Jahrhundert aufgegriffen worden. Dies führte dann über Abels wichtige Arbeiten, die von Gauß und Riemann unter dem Gesichtspunkt physikalischer Hypergeometrien behandelt wurden, zur heutigen Riemannschen Hypergeometrie. Auf diese Hypergeometrie bezog sich Albert Einstein, als er seine eigenen Beiträge zur Gründung der modernen europäischen Wissenschaft in Beziehung setzte zu der Entwicklung von Kepler zu Riemann.

Euler war einst ein Anhänger von Leibniz gewesen, allerdings unter der unmittelbaren Leitung von Johann Bernoulli, der Leibniz‘ enger Mitarbeiter bei der Ausarbeitung seiner auf der Kettenlinie basierenden Entdeckung des universellen physikalischen Prinzips der geringsten Wirkung gewesen war, jenes Prinzips, auf dem die physikalische Konzeption des komplexen Bereichs von Gauß, Riemann und anderen beruht.

Der Mathematiker Leonhard Euler (1707–1783), Porträt von Jakob Emanuel Handmann. „Eulers Argumentation basierte auf der von dem Ideologen de Moivre aufgebrachten widerwärtigen Annahme, daß das, was er das ,Infinitesimal‘ des Leibnizschen Kalkulus nannte, für ihn lediglich die Kleinheit jedes der zuletzt genannten Glieder in einer algebraischen ,unendlichen Reihe‘ war.“

Der Streit zwischen den beiden so definierten Mathematik-Fraktionen wurde durch das unterstrichen, was ich bei einer kürzlichen Gelegenheit als „Wissenschaft für Damen“ bezeichnet habe – Leonhard Eulers erbärmliche „Briefe an eine deutsche Prinzessin“ von 1761. Dieses Schreiben von Euler gehört offensichtlich in den Müll, aber leider hat sich seine Denkweise in seinen Briefen an vermeintliche wissenschaftliche Leuchten von da an nicht nennenswert verbessert. Eulers Argumentation basierte auf der von dem Ideologen de Moivre aufgebrachten widerwärtigen Annahme, daß das, was er das „Infinitesimal“ des Leibnizschen Kalkulus nannte, für ihn lediglich die Kleinheit jedes der zuletzt genannten Glieder in einer algebraischen „unendlichen Reihe“ war.

Aus diesem Grund hat sich Euler nicht nur geirrt, er hat gelogen. Der Beweis hierfür ist elementar. Bei Eulers Lüge handelte es sich im wesentlichen um eine politische, nicht um eine wissenschaftliche Angelegenheit. Euler war zum gegnerischen Lager übergelaufen, zum Lager der britischen Anhänger Paolo Sarpis.

5. Kleine Ursache, große Wirkung

Eulers Abtrünnigkeit, sein offener Verrat an der ehrlichen Wissenschaft, sollte eine bemerkenswerte, wenn auch mittelbare Rolle im Vorfeld der Entwicklungen des 19. Jahrhunderts spielen, die zu den beiden „Weltkriegen“ des 20. Jahrhunderts führten. Nach den mir vorliegenden Informationen wurden diese Zusammenhänge in verfügbaren Veröffentlichungen nie in gebührender Weise berücksichtigt; aber seriöse Historiker – sollten solche seltenen, wertvollen Menschen heute noch zu finden sein – dürften ihre Vorstellungskraft nicht unnötig strapazieren, um zu verstehen, was ich hier faktisch berichten werde.

Es gibt einen wichtigen Umstand, der sich hierauf bezieht: Im Gegensatz zum Verhalten niederer Lebensformen sind Ideen basierend auf universellen physikalischen oder künstlerischen Prinzipien – im Unterschied zu alten oder neuen sogenannten Ideen – die wichtigsten und eigentlich die einzigen wirklich bestimmenden Faktoren in der menschlichen Geschichte.

Der brillante Historiker H. Graham Lowry und seine Frau kamen eines Tages, wenn ich mich recht erinnere, Ende 1983 oder Anfang 1984 in mein Büro, um mir ihren Vorschlag für das Buch How the Nation Was Won: America’s Untold Story (Wie die Nation gewonnen wurde: Amerikas unerzählte Geschichte) vorzustellen, das später, 1987–88, erschien.((Erschienen bei Executive Intelligence Review News Service, Washington, D.C., 1988.)) In seinen Forschungen konzentrierte sich Lowry auf die Unterdrückung der Unabhängigkeit der Massachusetts Bay Company 1688–89, die bis dahin auf der Grundlage einer Charta der englischen Monarchie operierte, bis hin zu dem Bruch unter dem Einfluß der Ereignisse, die zu der von Wilhelm von Oranien errichteten Tyrannei führten und diese begleiteten. In den mittleren Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts kam es dann zur Rückbesinnung auf das reiche Erbe von Massachusetts unter der Führung der Winthrops und Mathers. Graham fand den Schlüssel zu dieser Entwicklung in der Rolle von Gottfried Wilhelm Leibniz als möglichem zukünftigen Kanzler Großbritanniens und in der Schlüsselrolle von Jonathan Swift und seinen Kreisen auf den britischen Inseln und anderswo. Bevor die beiden Besucher mein Büro verließen, hatte ich genug Belege gehört, um der Unterstützung unserer Vereinigung für die geplante Veröffentlichung des Buches begeistert zuzustimmen.

In Grahams Buch lassen sich die fehlenden Zusammenhänge nachlesen, die zur Gründung unseres souveränen staatlichen Verfassungssystems führten. Es gibt immer wieder vergleichbare Fälle, in denen eine besondere historische Wendung der Ereignisse auftritt, wie sie Graham aufgedeckt hat. Es gibt zwar viele Verschwörungen in der Geschichte, aber in der bekannten Geschichte ist nur sehr wenig grundlegend Bedeutendes jemals anders geschehen, und dann sicherlich nichts Gutes.

Im Gegensatz zu den Unmenschen, als die sich Theodor Adorno und Hannah Arendt in The Authoritarian Personality und auch sonst erwiesen haben, ist die Menschheit eine Spezies, die auf dem Prinzip von Ideen beruht, manchmal als „Verschwörungen“((Jene, die sich nie untereinander verschwören, sind praktisch das Treibgut, das von den wechselnden Gezeiten der Ereignisse mitgerissen wird.)) bezeichnet, insbesondere auf entscheidenden, vor allem wissenschaftlichen und kulturellen Ideen. Die Auseinandersetzung zwischen Leibniz und Locke wie auch der Streit zwischen Kepler und Paolo Sarpis Lakai Galileo waren Ausdruck der Themen, die Nikolaus von Kues in seiner De concordantia catholica und De docta ignorantia behandelt hatte. Um diese ausgewählten Themen drehte sich der Kampf der Ideen, zum Guten wie zum Bösen, und was aus den getroffenen Entscheidungen folgte. Der Kampf, wie ich ihn auf den vorhergehenden Seiten beschrieben habe, ist beispielhaft. Ideen, manchmal auch „Verschwörungen“ genannt, haben die gesamte moderne, inzwischen weltweit ausgedehnte Geschichte der europäischen Kultur geprägt.

Kulturen, die sich in Grundfragen nicht offen verschwören, neigen dazu, früher oder später abzusterben, wahrscheinlich früher, denn die unsere stirbt schon länger als nur in den letzten rund dreißig Jahren.

Im Gegensatz zur Auffassung der Existentialisten und ihresgleichen ist der Mensch eine kognitive Spezies, kein Tier. Der Mensch wird normalerweise mehr oder weniger unschuldig geboren und wird erst dann zur Bestie, wenn Männer oder Frauen oder beide eine Handlungsweise wählen, die zu einem solchen Ergebnis führt.((Ich muß die Überlegung zulassen, daß wir uns angesichts des Phänomens eines lebensfähigen „Frühchens“ fragen müssen, wieviel der sechs Monate alte Fötus von der Welt außerhalb des Mutterleibs fühlt und hört. Ich habe dabei oft Vorsichtsmaßnahmen empfohlen, wie z. B. keine Gewalt im Haus sowie ein Umfeld, in der geeignete Stücke von Mozart oder Johann Sebastian Bach gehört werden.))

In meinem kürzlich erschienenen Aufsatz Schluß mit der Selbsttäuschung! habe ich die wesentlichen Aspekte der modernen empiristischen Ideologie seit dem Aufstieg von Paolo Sarpis irrationalistischer Ockham-Fraktion in Venedig in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts skizziert. In dieser Schrift verwies ich auf Sarpis Auffassung, daß Venedig seinen Kampf gegen die moderne souveräne nationalstaatliche Republik nicht gewinnen könne, solange die pro-feudalistische Fraktion an der mittelalterlichen aristotelischen Politik des relativen technologischen Nullwachstums festhielte, die während der gemeinsamen Herrschaft der venezianischen Finanzoligarchie und des normannischen Rittertums vorherrschte.

Ich habe dort auch die Bedeutung von Niccolò Machiavellis Arbeiten über Militärstrategie hervorgehoben, die der Schlüssel zum Verständnis des Streits zwischen der „alten“ venezianischen und der „neuen“ venezianischen Fraktion unter Sarpi ist. Damit die venezianische Fraktion überleben konnte, mußte sie sich an die moderne wissenschaftliche und technologische Realität anpassen, was Sarpi dazu veranlaßte, zu den philosophischen Ansichten des mittelalterlichen Obskurantisten Wilhelm von Ockham zurückzukehren, was es der aufstrebenden neuen anglo-holländischen Oligarchie am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts erlaubte, sich die modernen Tendenzen des technischen Fortschritts zu eigen zu machen, ohne daß eine solche wissenschaftliche Orientierung die alten oligarchischen Bindungen der aufstrebenden neo-venezianischen Oligarchie von Sarpi und seinen Anhängern umstoßen konnte.

Die moderne europäische Zivilisation, die durch die „goldene Renaissance“ des 15. Jahrhunderts entstand, hatte die souveräne Form der Republik hervorgebracht, auch bekannt als Gemeinwohlsystem. Sarpi vertrat die Ansicht, daß dieser neue Feind, das Gemeinwesen, nicht besiegt werden konnte, wenn sich das finanzoligarchische Interesse in Form des mittelalterlichen venezianischen Wuchers Reformen widersetzte, die eine begrenzte Nutzung der neuen revolutionären wissenschaftlichen Ideen erlaubten, die größtenteils von Venedigs auserwähltem Hauptfeind, Kardinal Nikolaus von Kues, stammten.

Erst Jekyll, dann Hyde

Wie ich in Schluß mit der Selbsttäuschung! betonte, war es Ockhams wilder Irrationalismus, der Sarpi zu Ockham hinzog. Der Empirismus von Sarpi, Francis Bacon, Thomas Hobbes, John Locke und den Newtonianern duldete keine physikalische Wissenschaft, sondern verlegte sich auf eine nominalistische Wissenschaftsfälschung, die mit Sarpis und Galileis Version eines aufpolierten Ockhamschen Nominalismus in Einklang stand. Diese Art Nominalismus ist im heutigen Europa als philosophischer und politischer Liberalismus wie auch als Ausdruck einer liberalen Philosophie bekannt, die in der Wissenschaft hauptsächlich als Empirismus oder Positivismus auftritt.

Bevor Euler degenerierte, waren ihm diese wesentlichen historischen Umstände sehr wohl bewußt. Im Zuge der britischen Hexenjagd gegen Gottfried Leibniz entschied sich Euler jedoch, auf die vermeintlich siegreiche politische Seite des Augenblicks überzuwechseln und so den „Preis“ als prinzipienloser Verräter an der Wissenschaft einzustreichen. So wurde er zu einem erniedrigten Abtrünnigen und Lakaien seiner neu gewählten Herren, den vermeintlichen anglo-holländischen liberalen Siegern über die republikanische Sache.

Die Sache, der der abtrünnige Euler in seiner neuen politischen Karriere in der Gesellschaft von Voltaire diente, bestand darin, die physikalische Wissenschaft von Archytas, Platon, Eratosthenes, Kepler, Fermat, Leibniz und später Gauß und Riemann mit der rein reduktionistischen Algebra der modernen Erben des antiken Delphi-Kults von Apollo und Dionysos zu ersetzen. Eulers Lohn für diesen Dienst an Leibniz‘ Feinden war es, als das bedauernswerte Wrack zu sterben, für das er sich entschieden hatte: eine aufgebrauchte Hülle in seinen Diensten für den anglo-holländischen Liberalismus.

Entscheidend in Bezug auf Euler ist, wie ich bereits an früherer Stelle dieses Aufsatzes angedeutet habe, die Frage der Kreativität, die gleiche Frage, die in der heutigen großen Krise der gesamten Menschheit, dem gegenwärtigen globalen Finanzkollaps, so großes Gewicht hat. Wenn wir nicht zu dem Investitionsprinzip in technologisch fortschrittliches physisches Kapital in Form von Infrastruktur und landwirtschaftlichen und industriellen Sachgütern im Gegensatz zu den in letzten mehr als 35 Jahren geförderten neo-malthusianischer wucherischer Finanzspekulationen zurückkehren, wird die heutige globale Zivilisation die gegenwärtig sich beschleunigende weltweite Zusammenbruchskrise nicht überleben. Eulers Verwandlung in einen Schurken im Dienste der ideologischen Interessen des anglo-holländischen Liberalismus ist beispielhaft für die intellektuellen Ursachen der gegenwärtigen Bedrohung des Fortbestands der Zivilisation.

Die Illoyalität, die ich Euler in seinen späten Jahren anlaste, ist nicht als Bevorzugung der Sache einer Nation gegenüber der einer anderen oder eines Reiches gegenüber der eines anderen zu betrachten, sondern vielmehr als ein persönlicher moralischer Fehler, der dem Wesen des so gut wie seelenlosen amerikanischen Verräters Aaron Burr ähnelt.((Zum Thema Aaron Burr, siehe Anton Chaitkin, „Treason in America“, New Benjamin Franklin House, New York, 1985.))

Für unser Thema reicht es hier aus, festzustellen, daß Burr ein Vertreter des britischen Imperiums seiner Zeit war, und zwar nicht des Imperiums der britischen Monarchie, sondern des anglo-holländischen Liberalismus, verkörpert durch die Britische Ostindiengesellschaft, die bereits Indien erobert hatte und danach einen Privatkrieg gegen China anzetteln sollte.((Ein bemerkenswertes Echo dieses früheren Präzedenzfalls für die heutige sogenannte „Revolution in Militärangelegenheiten“ von Samuel P. Huntington: der frühere US-Verteidigungsminister und jetzige US-Vizepräsident unter George W. Bush, Dick Cheney; und die „Middlebury-Monster“, der frühere US-Außenminister George Shultz und der schmierige Schurke Felix Rohatyn.))

Burr war nicht nur Agent einer ausländischen Macht, mit der sich unser Land von 1776 bis nahezu 1863 wiederholt im Krieg befand. Er war auf relativ hoher Ebene in umfangreiche konspirative Versuche verwickelt, die Vereinigten Staaten selbst zu zerschlagen.

Burr dient Historikern heute als vergleichender Maßstab für prominente, mehr oder weniger verräterische Schurken, die uns in unserer Geschichte zu verschiedenen Zeiten heimgesucht haben, von Burr selbst bis hin zu der höchst verdächtigen, nicht nur der Fabian Society nahestehenden Mrs. Lynne Cheney heute.

Ein vergangenes Jahrhundert voller Weltkriege

Inmitten des amerikanischen Bürgerkriegs (1861–65) kam ein Zeitpunkt, an dem die britische Monarchie unter Führung des Prinzgemahls eine Art Bedauern über die Unterstützung der amerikanischen Konföderierten durch Lord Palmerston vom britischen Außenamt zum Ausdruck brachte. Palmerston war derjenige, der dazu ausersehen war, um Jeremy Bentham, dem britischen Kontrolleur von Aaron Burr, nachzufolgen. Die Organisation dessen, was später der konspirative Kern hinter der Gründung der Konföderation werden sollte, war nacheinander von Bentham und seinem Schützling Palmerston kontrolliert worden, wobei sie sich des von Bentham aufgebauten Netzes von Agenten des britischen Außenamtes in der Fraktion von Aaron Burr und von Burr-Anhängern wie den Präsidenten Jackson, van Buren, Polk, Pierce und Buchanan bedienten.((Vgl. Chaitkin, op. cit.))

Die Ermordung von Präsident Abraham Lincoln wurde von London, Paris, Madrid und Rom aus organisiert, und zwar von demselben Verein britischer, habsburgischer und spanischer Verbündeter, der bereits für den Sturz der mexikanischen Regierung und für die naziähnliche Besetzung Mexikos eingesetzt wurde.

Der entscheidende Punkt, den es zu berücksichtigen gilt, um die Relevanz und die Stichhaltigkeit meiner Argumentation in dieser Frage zu verstehen, ist – wie ich wiederholt in anderen von mir verfaßten Publikationen gezeigt habe – der Charakter des britischen Imperiums, das im Verlauf und in der Folge des sogenannten „Siebenjährigen Krieges“ und des Pariser Friedens von 1763 aufgebaut wurde, ein Imperium, das damals unter der führenden politischen Rolle von Lord Shelburne von der Britischen Ostindiengesellschaft stand. Der Plan für dieses Imperium wurde zu einem großen Teil von Shelburnes Lakai Edward Gibbon in dem Buch Verfall und Untergang des römischen Imperiums entworfen. Gibbon empfahl Shelburne darin das Modell des Byzantinischen Reiches unter „Julian dem Apostat“ (dem Abtrünnigen). Insgesamt scheint dieser Teil von Gibbons Ratschlag an Shelburne weitgehend umgesetzt worden und auch in erheblichem Maße in die gegenwärtig regierende „Cheney-Administration“ in den USA übergegangen zu sein.

US-Vizepräsident Dick Cheney, der Strippenzieher hinter dem Überfall auf den Irak, spricht am 18. März 2008 zu einer Gruppe von Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Balad im Irak. Bild: U.S. Air Force

In den Jahrhunderten seit dem Pariser Frieden von 1763 hat das anglo-holländische liberale System nominell an der britischen Monarchie als zentraler Kraft eines faktischen Weltreichs festgehalten – ausgenommen die maßgebliche Rolle der USA im Krieg gegen Hitler und in der Zeit von 1945–71, d. h. sogar noch nach dem Tod von Präsident Franklin Roosevelt bis zur Aufhebung des Systems fester Wechselkurse von Bretton Woods. Das britische Weltreich ist nicht das Abbild des alten Römischen oder Byzantinischem Reichs, sondern ist ein Imperium unter der Herrschaft einer Finanzoligarchie. Seit Februar 1763 hat es sich als faktisches Imperium etabliert, das sich maßgeblich an der Zeit von 1000–1439 n. Chr. orientierte, als sich die venezianische Finanzoligarchie mit dem normannischen Rittertum verbündete.

Die neue Vormachtstellung der venezianischen Finanzoligarchie in Europa, die hinter der langen Habsburger Herrschaft über weite Teile des europäischen und südamerikanischen Kontinents stand, führte nach 1648 zum Machtwiederaufstieg der neuen anglo-holländischen liberalen Form der venezianischen Finanzinteressen, die sich als Sarpis Erbe etabliert hatten. Es war die venezianische Finanzkolonisation der Niederlande und Großbritanniens im Laufe des 17. Jahrhunderts, die das anglo-holländische liberale Imperium mit seinen finanzoligarchischen Interessen schuf – Interessen, die in jüngster Zeit, wo ich diesen Bericht schreibe, in der Welt erneut tonangebend sind.

Etwa seit dem Pariser Frieden vom Februar 1763 und dem Wiener Kongreß von 1814–15 bis zur Aufhebung des britischen Goldstandards 1931((Und der Gründung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel durch Hjalmar Schacht, den Agenten der Bank of England, und andere.)) wurde die Welt durch eine Einrichtung in London, die lange Zeit die Britische Ostindiengesellschaft gewesen war, zunehmend als wachsende imperiale See- und Geldmacht beherrscht. Dieses Imperium erinnerte stark an das venezianische Erbe von Paolo Sarpi, aber auch in hohem Maße an die mittelalterliche Allianz der venezianischen Finanzoligarchie mit ihrem wichtigsten Werkzeug, den „privaten“ Kreuzfahrerheeren der mittelalterlichen normannischen Ritterschaft.

Die imperiale Macht speziell der Ostindiengesellschaft endete zwar mit dem berühmten Aufstand im Indien des 19. Jahrhunderts; aber der wesentliche Charakter des alten britischen Imperiums wurde in neuem Gewand fortgeführt, und zwar unter dem neuen Arrangement, das Premierminister Benjamin Disraeli der Königin Victoria und ihrem kriegerischen Sohn, Prince of Wales Edward Albert, persönlich überbringen durfte. Das britische Pfund Sterling, die britische imperiale Flotte und das britische imperiale Außenamt beherrschten die Welt bis zur vorübergehenden realen Wiedergeburt der USA unter Präsident Franklin Roosevelt.

Zwei Weltkriege und mehr

Eine lange Welle von Attentaten auf US-Präsidenten unter ausländischer Regie, die die gleiche Absicht verfolgten wie die von London gesteuerte Ermordung des ehemaligen US-Finanzministers Alexander Hamilton durch den Agenten des britischen Außenamts Aaron Burr – eine sich wiederholende Welle, die in der Ermordung von Präsident William McKinley gipfelte –, brachte die Präsidentschaft in die Hände von zwei Präsidenten, die in ihrer jeweiligen Familientradition die berühmte „verlorene Sache“ der von Palmerston gesteuerten Konföderation vertraten: Theodore Roosevelt und der Ku-Klux-Klan-Fanatiker Woodrow Wilson.

Die Ermordung McKinleys führte damals zu einer grundlegenden außenpolitischen Kehrtwende der USA unter den Präsidenten Theodore Roosevelt und Wilson: Die USA, die damals dem deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck nahestanden und gleichzeitig gegen unseren britischen Gegner kämpften, wurden außenpolitisch auf das britische Empire von Prince of Wales Edward Albert umorientiert, was von dessen Neffen, dem deutschen Kaiser Wilhelm II. vermittelt wurde. Die Absetzung Bismarcks durch Wilhelm II. im Jahr 1890 ebnete den Weg für die Kriegsvorbereitungen Edwards VII. auf dem europäischen Kontinent für einen Krieg, der dann offiziell im August 1914 ausbrach.

Bismarck und der junge Kaiser Wilhelm II. 1888. Die Absetzung Bismarcks im Jahr 1890 ebnete den Weg für die Kriegsvorbereitungen des britischen Königs Edward VII. auf dem europäischen Kontinent für einen Krieg, der dann offiziell im August 1914 ausbrach.

An dieser Stelle muß betont werden, daß mit dem Sturz Bismarcks 1890 für den Prince of Wales Edward Albert das letzte wirksame Hindernis für die Inszenierung eines monströsen europaweiten Krieges zwischen seinen beiden Neffen, dem deutschen Kaiser und Zar Nikolaus II., wegfiel.((Der deutsche Kaiser war zwar offiziell gehalten, dem offensichtlich senilen Habsburger Kaiser in einem Balkankrieg gegen Rußland beizustehen, doch Bismarck hatte ein geheimes Abkommen mit Zar Nikolaus II. geschlossen, um die Beteiligung des deutschen Kaisers an einem solchen Balkankrieg zu verhindern. Der Prince of Wales, der Bismarcks amerikanische Neigungen seit Bismarcks Studienzeit in Göttingen verabscheute, war entschlossen, den Konflikt zwischen Deutschland und Rußland herbeizuführen, und nutzte seinen Neffen, den deutschen Kaiser, um die Entlassung Bismarcks zu fördern. Diese Entlassung setzte dann die Maschinerie des vom Prince of Wales geplanten Weltkriegs in Gang (im Gegensatz zu den Lügen von Wilsons Außenminister Lansing in Versailles).)) Es ist bemerkenswert, daß auf die Absetzung Bismarcks sowohl die Ermordung des französischen Staatspräsidenten Sadi Carnot als auch die betrügerische Anklage und Verurteilung von Hauptmann Dreyfus folgten, was dem Sieg Lord Kitcheners im Sudan und den Vorbereitungen für die spätere Entente cordiale zwischen Großbritannien und Frankreich für einen geplanten Zweifrontenangriff auf Deutschland durch die verbündeten anglo-französischen und russischen Streitkräfte Tür und Tor öffnete.

Tatsächlich war der Erste Weltkrieg bereits 1895 ausgebrochen, als das britische Empire das kaiserliche Japan in die erste Phase eines langen Krieges (1895–1945) schickte, mit dem Ziel, China zu zerschlagen. Dieses Bündnis war auch die Grundlage für die britische Inszenierung von Japans Kriegseintritt gegen Rußland 1905. Am Ende des Ersten Weltkriegs waren Großbritannien und Japan somit die militärischen Hauptverbündeten bei einem geplanten gemeinsamen Angriff auf die Seestreitkräfte der USA im Atlantik und im Pazifik, einem Komplott, aus dem der japanische Angriff auf Pearl Harbor hervorging, an den ich mich in einem verschlafenen Manhattan am frühen Morgen des 7. Dezember 1941 lebhaft erinnern kann.((Dumme Leute behaupten, FDR habe Japan zum Angriff auf Pearl Harbor verleitet. Meine späteren persönlichen Kontakte mit hochrangigen ehemaligen japanischen Militärs, die an der Planung einiger dieser Operationen beteiligt waren, decken sich mit den Erinnerungen von General Billy Mitchell an jene pro-britischen hochrangigen US-Offiziere, die auf ein Kriegsgerichtsverfahren gegen Mitchell gedrängt hatten. Der militärische Geheimdienst der USA hatte bereits Mitte der 1920er Jahre Kenntnis von dem geplanten japanischen Angriff auf Pearl Harbor. Die Probleme auf amerikanischer Seite kamen vor allem von der Bande von New Yorker Finanziers, die die britischen Bestrebungen von Montagu Norman und anderen unterstützt hatten, Hitler an die Macht zu bringen. Unter dem Druck von FDR und anderen wechselte Großbritannien die Seiten, um sich Hitler zu widersetzen; Japan – vor allem wegen seiner imperialen Politik der Zerschlagung und Ausplünderung Chinas – blieb bei den Zielen seines Militärbündnisses mit Großbritannien aus den 1920er Jahren, die Seestreitkräfte der USA anzugreifen, und landete so in den Armen von Adolf Hitler. Japans Politik in diesen Angelegenheiten basierte auf der Absicht des britischen Empire, sich Japan zunutze zu machen, um den transpazifischen Einfluß der USA in China und den angrenzenden Staaten zu zerstören.)) Die Inszenierung der sogenannten russischen Revolution von 1905 ging von dem führenden russischen Ochrana-Kommandanten, Oberst Subatow, aus, ein Komplott, das die Ermordung von Zar Nikolaus II. zum Ziel hatte und eine Schlüsselrolle in den anglo-französischen Bemühungen zur Inszenierung der Balkankriege spielte, durch die Rußlands Monarchie mit ziemlicher Sicherheit in den Kriegsplan gegen Deutschland verwickelt wurde. Parallel machten die Veränderungen, die in den 1890er Jahren unter Prince of Wales Edward Albert inszeniert wurden, den Ersten Weltkrieg unausweichlich. Die Ermordung von US-Präsident McKinley brachte den Neffen eines führenden konföderierten Geheimdienstlers, Theodore Roosevelt, ins Präsidentenamt. Der Erste Weltkrieg war damit unvermeidlich.

Ähnlich verhielt es sich mit dem sogenannten Zweiten Weltkrieg, wobei man einige ungewollte Veränderungen berücksichtigen muß, insbesondere die ungewollte Rolle von US-Präsident Franklin Roosevelt.

Unmittelbar nach Bekanntwerden des Todes von Präsident Franklin Roosevelt handelte London – in Komplizenschaft mit derselben anglo-amerikanischen liberalen Bande in den USA, die sich mit London zusammengetan hatte, um die Hitler-Diktatur in Deutschland an die Macht zu bringen – durch den zuvor installierten Vizepräsidenten Harry S. Truman rasch, um das Erbe von Franklin Roosevelt so schnell und effizient wie möglich zu beseitigen. Die Möglichkeit eines nuklearen Dritten Weltkriegs lag damit bereits auf dem Tisch.

Präsident Roosevelt bei der Unterzeichnung des G.I. Bill of Rights am 22. Juni 1944 im Oval Office.

Offensichtlich hat unsere derzeit regierende politische Klasse, ebenso wie die entsprechenden Narren in West- und Mitteleuropa, nicht die offensichtlichen Lehren aus den Torheiten des vergangenen Jahrhunderts gelernt. Wir stehen damit praktisch erneut vor den Pforten der Hölle. Diesmal stinkt unser allgemeiner Musikgeschmack wirklich zum Himmel! Dieser Gestank scheint uns blind zu machen für eine höchst dringende, globale Realität. Anscheinend hat jetzt sogar der Geruchssinn versagt, wie zuvor bereits Augen und Ohren.

Nachtrag: Über Euler

Das Wiederaufleben von Sarpis neo-venetianischer, anglo-holländischer liberaler Fraktion nach dem Westfälischen Frieden und die darauf folgende besondere Rolle des Wissenschaftsrenegaten Euler und seines Kreises im selben Geschehen unterstreicht die bestimmende Funktion grundlegender Ideen, die die Rolle der Kultur im Ablauf der bekannten Menschheitsgeschichte zum Ausdruck bringen.

Die tödlichste unter den Torheiten, die sich im Verlauf der Geschichte ausdrücken, ist die Gewohnheit der legendären Lemminge, die sich in einem vermeintlich unkontrollierbaren Drang zum Sterben äußert. Dieser Drang klingt in Aussagen an wie: „Es tut mir leid, aber so bin ich nun einmal“, oft ergänzt durch eine nervös-neurotische Aussage der Form: „Sie müssen damit leben lernen, daß ich nun einmal so bin.“ Oder: „Es tut mir leid, wenn es Ihnen nicht gefällt, aber das ist eben mein Stil.“ Oder: „Zweifeln Sie bitte nicht an meiner Aufrichtigkeit!“ Oder: „Nun, ich mag vielleicht nicht recht haben, aber ich bin trotzdem ehrlich überzeugt davon.“ Oder der selbstgerechte Erguß eines Mannes, der sich davonmacht, wenn auch ein wenig gebeutelt von den Schäden, die seine Rücksichtslosigkeit verursacht hat: „Nur weil Sie mir sagen, daß ich mich geirrt habe, ziehe ich es vor, Ihnen nicht zu glauben, also können Sie mich nicht für die Folgen verantwortlich machen. Ich werde nicht zulassen, daß Sie meine Aufrichtigkeit in Frage stellen!“ Am schlimmsten ist aber die naziähnliche Aussage, wenn jemand mit einem Glitzern in den Augen äußert: „Ich entscheide das!“

Es gibt somit Leute, die noch heute den bekannten böswilligen Opportunismus Eulers verteidigen, der sich entschloß, einen ihm nützlichen Betrug zu verüben. Seine Sophisterei ist dennoch keine Entschuldigung: Für das, was man bewirkt oder wissentlich zuläßt, ist man auch verantwortlich. Diese Verantwortlichkeit hat etwas mit der Schuld zu tun, die wir für die schändlichen Folgen der Unwahrheit oder anderer falscher Ansichten auf uns laden, an die wir gerne in den Augen anderer glauben würden: Höre dann also, ob der Hahn dreimal kräht.

Wenn man eine Ansicht unterstützt hat, die den Schaden verursachte, ist man genau dafür verantwortlich, denn man hat sich geirrt. Wenn das, was man geglaubt hat, auf bewußte Nachlässigkeit zurückzuführen ist, vor allem, wenn man gelogen oder man wissentlich eine Lüge unterstützt hat, um sich in einer bestimmten fiktiven Sache loyal zu verhalten – könnte man mit Recht als schlechter Mensch betrachtet werden, wie der abtrünnige Euler! Der Spruch: „Tut mir leid, mein Freund, aber das glaube ich eben“, dürfte einen – wie einige mir bekannte Geistliche – recht schnell an einen Ort führen, den man als Höllenpforte bezeichnen könnte.

Zwei Weltkriege im vergangenen Jahrhundert sollten uns dafür eine Warnung sein.

Gedanken wie diese betreffen nur bestimmte Entscheidungen oder das Ausbleiben solcher Entscheidungen, wenn diese von einem zu Recht erwartet werden. Die schlimmsten Verbrechen sind die, die man begeht, wenn man sich einem falschen Prinzip unterwirft, das nicht nur bestimmte Entscheidungen, sondern seine gesamte Denkweise bestimmt.

Die Kritik, die ich äußere, spiegelt das wider, worüber ich als Autor dieser Zeilen am meisten nachgedacht habe, und zwar mit zunehmender Besorgnis im Laufe der Jahrzehnte meines Lebens, soweit ich zurückdenken kann. So habe ich mich mehr und mehr und mit größerer Intensität den erkenntnistheoretischen Fragen genähert, die in den vorliegenden Aufsatz eingegangen sind.

Ich bin daher an einem Punkt in unserer Zeitgeschichte angelangt, an dem mir klar ist und es auch anderen Verantwortlichen in der Gesellschaft und vor allem der jüngeren Generation von Erwachsenen von heute klar gemacht werden sollte und könnte, daß die Art Überzeugungen, die zu den Torheiten in den Vereinigten Staaten und anderen Nationen, insbesondere den europäischen, geführt haben, in führenden Macht- und Verantwortungspositionen nicht mehr toleriert werden können.

Vor allem die „Demokratie“ mag für den Teufel gut genug sein, wie wir dies in jüngster Zeit so deutlich gesehen haben und wie es auch bei den Sophisten im alten Athen der Fall war; aber sie ist eine schiefe Ebene, auf der man leicht in eine neue Tyrannei abgleiten kann. Was Platon und die Apostel Johannes und Paulus als das Konzept der Agape kannten, ist, wie der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief 13 schreibt und wie ich dieses Konzept hier verteidigt habe, die einzige anständige Politik, sei es in Religion, Regierung, Kunst und Wissenschaft.

Es genügt nicht, „nett zu den Menschen“ zu sein, wie man so sagt; man muß darauf hinarbeiten, die Entwicklung ihrer geistigen Kräfte in einer Weise zu fördern, die sie dazu befähigt, den richtigen Weg zur Entdeckung wissenschaftlicher und klassisch-künstlerischer Prinzipien zu wählen, den Weg, auf dem die Macht des Menschen im und über das Universum vergrößert wird. Zu diesem Zweck wurden Mann und Frau als Diener im Ebenbild des Schöpfers unseres selbstbegrenzten Universums geschaffen. Es ist unsere Pflicht, Gutes zu tun.

Jeder, der dieser Verantwortung in sich nicht gerecht wird, wird zur Wurzel dessen, was zu Recht als Quelle des Übels angesehen wird, des Übels, in das die Wirtschaft der europäischen Zivilisation derzeit hinabstürzt.

Zwar gibt es in dieser Richtung noch eine unerschöpfliche Menge an Wissen zu entdecken, aber es wäre unentschuldbar, den Weg zu ignorieren, den der von der Wissenschaft abgefallene Euler verlassen hat – den Weg fortwährender Entdeckungen. Unsere Zivilisation ist an einem Punkt angelangt, an dem sie sich auf diese Weise verändern muß, oder sie wird nicht als das überleben, was wir heute als Zivilisation bezeichnen könnten.

Erstübersetzung: Dr. Wolfgang Lillge

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