Revolution in der Forschung: Mit mRNA gegen den Krebs

Forschungen über die Funktion der mRNA im menschlichen Körper und wie man diese für die Bekämpfung verschiedener Krankheiten einsetzen kann, laufen weltweit auf Hochtouren. Dabei wird künstliche mRNA hergestellt, die ein körperfremdes Oberflächenprotein der zu bekämpfenden (Virus-)Zellen enthält. Wird diese mRNA in den Körper injiziert, beginnt in den Zellen die Produktion von Proteinen, gegen die das Immunsystem Antikörper bildet.

Motor dieser Forschungsidee, die schon vor fast 50 Jahren aufkam, war, daß man darin eine Möglichkeit sah, Krebszellen auszuschalten. Denn Tumore haben die Eigenart, sich zu verstecken bzw. für das Immunsystem unsichtbar zu machen, so daß sie von den normalen Immunzellen nicht bekämpft werden und sich ungehindert vermehren können. Und Tumorzellen benutzen für ihre Streuung ebenfalls den mRNA-Mechanismus.

Diese geniale Idee, deren Erforschung jahrzehntelang nur wenig gefördert wurde, erhielt vor zwei Jahren plötzlich große Beachtung, als dringend ein Impfstoff gegen das neue Sars-CoV-2-Virus entwickelt werden mußte. Weltweit wird nun intensiv daran geforscht, um mRNA-basierte Impfstoffe gegen viele weitere proteinbasierte Antigene zu finden, nicht nur gegen Krebszellen und Grippeviren, sondern auch gegen viele virusbedingte Infektionskrankheiten.

Wirkmechanismus der mRNA-Impfstoffe: Künstliche mRNA wird im Labor hergestellt und in Nanopartikel verpackt. Nach Injektion wird die mRNA an Ribosomen abgelesen, wodurch das spezifische Antigen entsteht, gegen das das Immunsystem Antikörper entwickelt. Bild: PharmaWiki

Plötzlich stehen genügend Forschungsgelder bereit, da die mRNA-Methode als ganz neues Therapiekonzept die Medizin revolutionieren könnte. Vor allem Krebserkrankungen sind Ziel der neuen Therapie. Immerhin erhalten in Deutschland jedes Jahr rund 500.000 Menschen die Diagnose Krebs, davon sterben jedes Jahr ca. 200.000 Menschen, 65 Prozent leben fünf Jahre nach der Krebsdiagnose noch. Damit liegt Deutschland international zwar auf einem der vorderen Plätze, doch Ärzte drängen darauf, noch sehr viel mehr Patienten heilen zu können. Eine ganz zentrale Frage hierbei ist: Wie kommt es dazu, daß die Veränderungen von Tumorzellen vom Immunsystem nicht als „fremd“ erkannt und bekämpft, sondern als „körpereigen“ toleriert werden?

Die Besonderheit der mRNA-Therapie liegt darin, daß die „fremde“ Struktur, die das Immunsystem erkennen soll, vom Körper selbst produziert wird. „Bei einer Impfung gegen Krebs spritzen wir den Bauplan für ein Protein, das für diesen Tumor spezifisch ist“, erklärte Niels Halama, Leiter der Abteilung „Translationale Immuntherapie“, Oberarzt und Leiter der Forschungsgruppe „Adaptive Immunotherapie“ am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg.

„Bei einem Tumor, den die Immunzellen zwar erreichen können, aber nicht angreifen,… reicht es hoffentlich, ihnen mit der Impfung wieder zu zeigen, was sie erkennen sollen. Die Impfung muß dann so designed sein, daß der Körper das Signal erhält, hier besonders aktiv zu werden. Die Zielstruktur bekommt dann gewissermaßen das Label ,besonders gefährlich‘. Dazu bietet die mRNA-Technologie verschiedene Möglichkeiten, und das ist auch eine ihrer Stärken.“

Bei der Krebsbekämpfung gibt es aber weitere Probleme, denn Tumore haben kein einheitliches Oberflächeneiweiß, gegen das man alle Patienten impfen könnte. Bei der mRNA-Impfung gegen SARS-CoV-2 war das Spike-Protein auf der Oberfläche des Virus dagegen als geeignetes Antigen schnell entdeckt. Bei Tumorzellen ist das erheblich schwieriger. Sogar innerhalb einzelner Krebsarten ist es oft schwierig, ein Zielprotein auszumachen, das bei allen Patienten gleich ist. Es muß also eine sehr individuelle Therapie entwickelt werden – die Erzeugung einer patientenspezifischen mRNA.

Man kennt heute ungefähr 250 verschiedene Arten von Krebs, doch die Erkrankungen unterscheiden sich von Patient zu Patient oft gravierend. Daher ist Lungenkrebs nicht gleich Lungenkrebs, Brustkrebs nicht gleich Brustkrebs usw. Trotz aller Schwierigkeiten ist es aber in den vergangenen Jahren gelungen, für einige Tumore bestimmte Merkmale zu finden, die zumindest sehr häufig auf den Oberflächen der mutierten Zellen sitzen und sich als Angriffspunkte einer Impfung eignen. Das trifft zum Beispiel auf den schwarzen Hautkrebs zu, aber auch auf sogenannte diffuse Gliome, meist unheilbare Hirntumore, die operativ nur schwer vollständig entfernt werden können.

In einer Pressemitteilung des Deutschen Krebsforschungszentrums, der Universitätsmedizin Mannheim, des Universitätsklinikums Heidelberg und des NCT Heidelberg vom 25. März 2021 („Impfung gegen mutiertes Protein erstmals bei Hirntumor-Patienten geprüft“) wurde berichtet, daß sich in diesem Fall eine spezifische mRNA-Impfung als sicher erwiesen und im Tumorgewebe die erwünschten Immunreaktionen ausgelöst habe, wie das Team in dem Magazin Nature schrieb:

„Die diffusen Gliome haben nämlich vielfach eine besondere Gemeinsamkeit: In über 70 Prozent der Fälle tragen die Tumorzellen eine übereinstimmende Genmutation. Ein identischer Schreibfehler im Erbgut, der dazu führt, daß im Enzym IDH1 ein einziger, bestimmter Eiweißbaustein ausgetauscht wird. Dadurch entsteht eine neuartige Proteinstruktur – ein sogenanntes Neoepitop, das vom Immunsystem des Patienten als fremd erkannt werden kann.“

Bei dem Mainzer Unternehmen Biontech befinden sich im Moment zwei Immuntherapieansätze gegen Dickdarm- und schwarzen Hautkrebs in klinischer Erprobung. Laut dem Biontech-Gründer Ugur Sahin komme die Therapie aber auch für andere Krebsarten in Frage, so auch gegen Metastasen bei Bauchspeicheldrüsenkrebs, Brustkrebs, Blasenkrebs und Leberkrebs. Er hoffe, in etwa drei Jahren weitere Daten verfügbar zu haben, „die für die weitere Entwicklung der Therapie ausschlaggebend sind.“

In Dutzenden weiteren Studien wird derzeit der Nutzen des mRNA-Ansatzes gegen verschiedene Tumore erprobt – von Melanomen über Lungen-, Prostata- und Brustkrebs bis hin zu Karzinomen der Bauchspeicheldrüse. „Es hat sich mehr und mehr gezeigt, daß auch Tumortypen, die für eine Immuntherapie bisher als untauglich galten, zugänglich sein können“, sagte der Heidelberger Forscher Halama. „Aber der Beweis dafür, daß mRNA-Verfahren den traditionellen Therapien überlegen sind, steht noch aus.“ Auch Dirk Arnold, Chefarzt der Asklepios Klinik Altona, betont: „Diese Entwicklung geht gerade erst los.“

Zweifellos ist eine Revolution im Gange, die die Gesundheitsversorgung weltweit verbessern könnte. Dabei gehe es nach Aussage von Biontech-Chef Sahin nicht nur darum, mit der mRNA-Methode bereits existierende Impfstoffe etwa gegen Grippe zu verbessern. „Die viel spannendere Frage ist: Können wir Infektionskrankheiten verhindern, für die die Medizin bislang noch keine befriedigenden Lösungen hat?“. Und Sahin nannte in diesem Zusammenhang Malaria, Tuberkulose und HIV. „Diese drei Infektionskrankheiten kosten jedes Jahr Millionen Menschen das Leben, vor allem in den ärmsten Regionen der Welt.“ Und er betont: „Uns geht es nicht um einen kommerziellen Aspekt. Wir möchten unseren Beitrag zu einer größeren Gesundheitsgerechtigkeit leisten. Wir glauben an eine Welt, in der Innovationen auch für Menschen in Regionen mit niedrigem Einkommen verfügbar sein werden. Das ist uns sehr wichtig.“

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