Warum sich China am ITER beteiligt

Dr. Luo Delong ist Direktor von ITER China, dem chinesischen Vertragspartner des Fusionstestreaktors ITER in Frankreich. Michelle Rasmussen von EIR sprach mit Dr. Luo am 27. Februar 2018 auf dem Big Science Business Forum in Kopenhagen.


Vielen Dank, Dr. Luo Delong, daß Sie mit uns über das chinesische Kernfusionsprogramm sprechen. Können Sie uns etwas darüber sagen, warum es für China wichtig ist, die Kernfusion zu entwickeln, und auch, warum sich China an dem ITER-Projekt und anderen internationalen Forschungsvorhaben beteiligt?

Dr. Luo: Ich bin sehr froh, an dieser Veranstaltung teilzunehmen, und Ihnen etwas über das chinesische Kernfusionsprogramm berichten zu können, denn die Kernfusion soll in der Zukunft zur Energieerzeugung beitragen. Denn das ist letztlich das langfristige Ziel. Derzeit beteiligen wir uns am ITER-Projekt, das unserer Ansicht nach ein sehr wichtiges internationales Projekt ist. Wir sind hier [in Kopenhagen], weil wir uns an solchen wissenschaftlichen Megaprojekten überall auf der Welt, aber besonders in Europa beteiligen wollen. ITER geht noch darüber hinaus, denn es ist eine umfangreiche Kooperation zwischen asiatischen Ländern, europäischen Ländern und auch nordamerikanischen Ländern. Deswegen ist es ein sehr großes Projekt und ein sehr wichtiger Schritt für die Fusionsenergie, damit sie künftig kommerziell genutzt werden kann. Mit diesem Testreaktor versucht man herauszufinden, ob es wissenschaftlich und technisch machbar ist, ein Plasma am Brennen zu halten, und das auch mit Deuterium und Tritium als Brennstoff. Das wäre ein wichtiger Schritt für die Realisierung der Fusionsenergie in der Zukunft.

China ist einer von sieben Partnern des ITER-Projekts; wir stellen 10% des Gesamtprojekts zur Verfügung, vor allem als Sachleistung, wir leisten aber auch einige finanzielle Beiträge, wie es für alle Mitglieder der ITER-Organisation üblich ist. Wir kümmern uns vor allem um die Magnete, aber auch um die innere, erste Wand – den Schutzmantel innerhalb des Tokamak, der direkt dem Plasma ausgesetzt ist. Wir arbeiten aber auch intensiv an der Stromversorgung, denn die Magnete brauchen sehr viel Strom, um sie stark genug zu machen. Das sind die Hauptkomponenten, die wir aus China beitragen. Es gibt noch kleinere Komponenten wie die Gasinjektion und auch die Glimmentladungsreinigung und die Diagnostik.

Was verstehen Sie unter Gasinjektion?

Die Gasinjektion bezieht sich auf den Brennstoff, den wir in den Tokamak einbringen müssen. Mit Gasinjektion werden Tritium und andere wichtige Gase, die für das Plasma erforderlich sind, eingebracht. Das ist Teil des Brennstoffzyklus, an dem wir beteiligt sind.

Ein vollständiger Prototyp eines in China hergestellten Mantelabschirmblocks (blanket shield block) hat im Februar 2018 erfolgreich alle Abnahmeprüfungen durchlaufen, vor allem die wichtige Dichtigkeitsprüfung für heißes Helium. China wird 50 Prozent der für ITER benötigten Mantelabschirmblöcke liefern (220 Einheiten).

Warum ist man in China der Meinung, daß die Kernfusion finanziert und entwickelt werden muß? Welche Rolle spielt die Kernfusion in der Energiezukunft Chinas?

China hat heute, morgen und sicher auch übermorgen einen großen Energiebedarf. Wegen unserer schnellen Wirtschaftsentwicklung steigt der Energiebedarf sehr, sehr rasch. Derzeit müssen wir noch Energie importieren, weil wir nicht genug selbst erzeugen, und deswegen ist es wichtig, neue Technologien zu entwickeln. Derzeit versuchen wir soweit wie möglich erneuerbare Energien einzusetzen, allerdings ist die Kohle noch der Hauptbrennstoff für die Energieerzeugung. Langfristig müssen wir aber auch neue Technologien wie die Wind- und Sonnenenergie entwickeln.

Die Kernenergie ist einer der wichtigen Bereiche, der unserer Auffassung nach einen großen Beitrag für den Energiemarkt in China leisten wird. Derzeit betreiben wir Kernkraftwerke, und wir versuchen, den Anteil der Kernenergie an unserem Energieprofil zu erhöhen. Aber wir müssen in die Zukunft blicken, und das ist die Kernfusion. Die Kernenergiestrategie für China besteht derzeit aus den Kernkraftwerken der jetzigen Generation, der zweite Schritt ist die vierte Generation von Kernkraftwerken, und die Kernfusion ist der dritte Schritt.

Wir meinen, die Kernfusion sei eine Art Endlösung für die Energieerzeugung, denn dafür gibt es Brennstoff im Überfluß. Deuterium kann man aus dem Meerwasser gewinnen – eine sehr große Ressource. Tritium werden wir bei der Fusionsreaktion selbst gewinnen, wodurch wir dann alle wichtigen Brennstoffe für eine sehr, sehr lange Zeit in der Zukunft zur Verfügung haben.

Uns geht es auch um die Sicherheit. Die Kernfusion ist in unseren Augen sicherer als die Kernspaltung, und das vor allem wegen des Brennstoffs. Deuterium ist nicht radioaktiv. Nur Tritium ist radioaktiv, aber Tritium wird bei der Reaktion selbst erzeugt. Wenn die Reaktion aufhört, entsteht auch kein weiteres Tritium.

Außerdem ist die Kernfusion umweltfreundlich. Bei der Fusion entstehen keine Treibhausgase und keine Staubbelastung. Das einzige Endprodukt ist Helium, das ebenfalls sicher ist. Was die Radioaktivität angeht, entsteht nur wenig radioaktiver Abfall. Alle diese Faktoren machen uns glauben, daß die Kernfusion die optimale Energiequelle der Zukunft sein wird. Die chinesische Regierung geht davon aus, daß wir einen großen Energiebedarf haben und daß eine sichere und ergiebige Energie eine sehr gute Lösung wäre. Das ist die Kernfusion.

Ihr Präsident Xi Jinping legt viel Wert auf Innovation als Motor für die Wirtschaft und für die Gesellschaft insgesamt. Das ist auch unsere Sicht eines „science drivers“: Es ist ein Unterschied, ob man 5 Watt Energie mit einer ineffektiven Methode wie einer Solarzelle oder mit einem Fusionsprozeß herstellt, denn auf einem höheren technologischen Niveau läßt sich mit dieser Energie viel mehr anfangen. Die gesamte technologische und wissenschaftliche Plattform, die gesamte Wirtschaft und das Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte steigt an.

Dies ist einer von neun „Doppelpfannkuchen“ (Doppelschichten eines gewendelten Supraleiters), der für die Fertigstellung der poloidalen Feldspule Nr. 6 gebraucht wird. Die Arbeiten finden am Institut für Plasmaphysik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (ASIPP) im Auftrag der European Domestic Agency statt.

Richtig. Ich möchte die Sonnenenergie nicht unbedingt schlecht machen, aber ich denke, die Kernfusion erzeugt mit wenig Brennstoff große Mengen Energie, denn der Brennstoff ist leicht, und eine kleine Menge Brennstoff kann eine große Menge Energie produzieren. Diese Art Effizienz ist ein starkes Argument für die Fusion. Deswegen hat sich China auch 2003 dem ITER-Projekt angeschlossen, obgleich die chinesische Wirtschaft damals noch auf einem viel niedrigeren Niveau stand als heute. Dennoch ist China diesem sehr teuren Projekt beigetreten, weil wir glauben, daß darin die langfristige Lösung für das Energieproblem liegt.

Ja, Sie haben recht, wir versuchen vieles, um die Innovation voranzutreiben. Und ITER ist eine der Möglichkeiten für chinesische Wissenschaftler, innovativ zu sein und bei internationalen Innovationsprojekten mitzumachen. Das ist ein weiterer Grund, die Wissenschafts- und Technologie-Entwicklung in China voranzutreiben.

Im Vorgespräch zu diesem Interview hatten wir bereits festgestellt, daß China derzeit etwa 2000 Fusionswissenschaftler ausbildet – viel mehr als die meisten anderen Länder.

Die Fusionsforschung begann bei uns bereits in den 1950er und 1960er Jahren, doch da dies ein sehr kostspieliges und langfristiges Ziel ist, unterbrach die Regierung die Finanzierung der Fusionsforschung eine Zeit lang. Nachdem das Team aufgelöst war, war es sehr schwierig, es wieder zusammenzubringen. Erst als wir ITER beitraten, sah man neue Möglichkeiten, da das Projekt sehr groß ist. Hierfür brauchten wir sehr viele neue Leute. Aufgrund der etwa zehnjährigen Unterbrechung wurde deutlich, daß wir nicht genug Wissenschaftler und Ingenieure in diesem Bereich hatten, so daß neue junge Leute ausgebildet werden mußten. Wir brauchen die jungen Generationen, um die Entwicklungen in der Zukunft fortführen zu können.

Deswegen erließ die Regierung eine Art Richtlinie, um junge Menschen zu ermutigen, bei dieser Forschung mitzumachen. Mit dieser Richtlinie zogen wir junge Leute von den Universitäten an, damit sie sich auf dieses besondere Forschungsgebiet konzentrieren können. Es war, glaube ich, 2009 oder 2010, als die Regierung zusammen mit dem Ministerium für Wissenschaft und Technologie, dem Bildungsministerium, der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und dem chinesischen Nuklearverband die Richtlinie erließ, d.h. vier staatliche bzw. halbstaatliche Institutionen waren daran beteiligt. Es meldeten sich viele junge Leute, und an den Universitäten und den Forschungseinrichtungen gibt es das entsprechende Fachwissen, um deren Ausbildung zu begleiten. Nach und nach ist das Forschungsteam immer weiter angewachsen. Warum 2000 Fusionswissenschaftler? Wir brauchen chinesische Wissenschaftler nicht nur für ITER, sondern auch zur Entwicklung unserer Programme im eigenen Land. Dafür brauchen wir ein großes Team.

Gehört zu diesen eigenen Programmen auch die Entwicklung eines Fusion-Fission-Hybridreaktors?

Ja. Die Hauptforschungs- und -Entwicklungsaktivitäten liegen derzeit allerdings auf der reinen Kernfusion, denn die Fusionsleute sind der Meinung, daß man bei einem Hybridreaktor die nachteiligen Seiten der Kernspaltung nicht vermeiden könne. Die Sicherheitsfragen der Kernspaltung sind ja aus Japan und Rußland bekannt, und bei einem Hybridreaktor kann man derartige Ereignisse nicht unbedingt verhindern.

Das neue Hybridkonzept versucht die Probleme der Kernspaltung zu umgehen. Es gibt noch ein weiteres Konzept, aber dieses befindet sich noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium. Es ist noch nicht so weit wie der ITER heute, der ja bereits in der Phase des Versuchsreaktors ist. Einige Entwicklungsarbeiten sind meines Wissens neben China auch in Rußland im Gange, aber das ist nicht die Hauptrichtung der Fusionsentwicklung.

Es gibt auch einen chinesischen Tokamak.

Der EAST-Tokamak ist supraleitend, ganz ähnlich wie der ITER, und der zweite Tokamak heißt derzeit HL-2A, doch er wird demnächst zum HL-2M hochgerüstet. Das sind die beiden Haupttokamaks in China. Wenn Sie mich nach unseren wissenschaftlichen Beiträgen für den ITER fragen, so sind dies hauptsächlich Arbeiten für die Produktion und Installation von Komponenten und ähnliche Konstruktionsarbeiten. Gleichzeitig finden wissenschaftliche Arbeiten an den beiden eigenen Tokamaks statt – vorbereitende physikalische Studien, von denen wir uns gute Resultate versprechen. Ähnliche wissenschaftlichen Arbeiten fließen dann in den ITER ein, d. h. wir versuchen diese Erfahrungen im ITER zu wiederholen und diesen weiterzuentwickeln. Das ist unser wissenschaftlicher Beitrag, der derzeit vor allem in den Tokamaks stattfindet.

Worin sehen Sie die Vorzüge der Zusammenarbeit zwischen der Großforschung und der chinesischen Industrie, die ja als Ausrüster der Großforschungsanlagen dient? Das war auch ein wichtiges Thema dieser Konferenz. Wie sieht es damit in China aus?

Das ist eine sehr wichtige Frage. Meines Erachtens ist das eine Win-Win-Situation, denn die Großforschung braucht einen starken Rückhalt in der Industrie, besonders in der Konstruktionsphase. Wir sind Wegbereiter in diesem Bereich, und viele Komponenten enthalten bahnbrechende Technologien. Alle diese Technologien müssen einmal von der Industrie produziert werden, um zukünftig Anlagen zu errichten. Die Wissenschaftler können alle diese Komponenten nicht selbst herstellen, aber sie haben die Ideen. Sie produzieren innovative Ideen und verwenden dazu hochmoderne Technologien, und die Industrie wird diese dann umsetzen. Das ist ein Weg, wie die Wissenschaftler ihre Anlagen fertigstellen.

Die Industrien selbst können mit Hilfe solcher Innovationen wachsen. Sie nutzen die Technologien, und sie bewegen sich immer mehr in hochmoderne Bereiche, was ihnen dabei hilft, ihre Wettbewerbsfähigkeit im Markt zu erhöhen. Das ist sehr wichtig, und ich denke, die chinesische Industrie zieht großen Nutzen aus der Kooperation mit Megawissenschaftsprojekten, insbesondere dem ITER. Einige Industriebetriebe entwickeln neue Technologien, die in China bisher nicht ohne weiteres zugänglich waren. Das ist also gut für die Industrie, und es ist gut für das Land. Das ist ein gutes Argument nicht nur für die Industrie, sondern auch für die Regierung, die Finanzierung für wissenschaftliche Megaprojekte bereitzustellen.

Möchten Sie abschließend unseren Lesern noch etwas mitteilen?

Ich denke, die Veranstaltung hier ist wirklich sehr nützlich, denn in den letzten Jahren hat sich China an mehreren Megaprojekten beteiligt. Und Präsident Xi Jinping hat erklärt, daß wir unsere chinesischen Wissenschaftler dazu ermutigen sollen, führend an internationalen wissenschaftlichen Megaprojekten mitzuwirken und auch zu versuchen, einige wissenschaftliche Großprojekte nach China zu holen, denn ITER ist in Frankreich, und andere Projekte sind in verschiedenen anderen Ländern. China verfolgt jetzt diese Politik, um sich zunehmend an internationalen Wissenschaftsgroßprojekten zu beteiligen. Deswegen bin ich hierher gekommen, um etwas darüber zu erfahren, wie die europäischen Länder solche internationalen Großprojekte betreiben. Ich bin derzeit an zwei von ihnen beteiligt – ITER und dem europäischen XFEL [der vor kurzem in Betrieb genommenen Röntgenlaser-Forschungsanlage in Hamburg und Schenefeld]. XFEL ist hier auf dem Big Science Business Forum mit Experten vertreten, die über ihr Projekt berichtet haben. Dies ist hervorragende wissenschaftliche Forschung, eine sehr wichtige Anlage für die wissenschaftliche Grundlagenforschung.

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