Die wahre Geschichte des Kolumbus: Das Apollo-Projekt der Renaissance

Der folgende Aufsatz basiert auf einem Vortrag, den der Verfasser am 10. Oktober 2020 auf dem wöchentlichen LaRouchePAC Manhattan Town Hall Meeting gehalten hat, ebenso auf einem Symposium des Schiller-Instituts zum 500. Jahrestag der Wiederentdeckung Amerikas und der technologischen Fortschritte, die dies ermöglichten.

Kuppel der Basilica di Santa Maria del Fiore in Florenz
Die Kuppel der Basilica di Santa Maria del Fiore in Florenz, ein Wunderwerk der Technik, entworfen und gebaut von Filippo Brunelleschi, einem der größten Renaissance-Baumeister. Quelle: Creative Commons/Jiuguang Wang

Ich möchte die Tiefe der Zusammenarbeit und die außergewöhnlichen Verbindungen insbesondere zwischen der Florentiner Renaissance und den iberischen Ländern, vor allem Portugal, wo Kolumbus aufgewachsen ist, etwas näher beleuchten. Diese großartige Zusammenarbeit ist eine der verborgenen Perlen der Geschichte, welche wir uns wieder zu eigen machen müssen. Darin kommen nicht nur die Kernideen vor allem der florentinischen Renaissance zum Ausdruck, sondern betrifft noch weitaus größere Konzepte – zum Beispiel das Konzept eines Nationalstaates basierend auf der Idee des Gemeinwohls im Sinne des Kardinals Nikolaus von Kues, der sagte, eine Regierung könne nur mit der „Zustimmung der Regierten“ funktionieren. Diese Grundprinzipien verbinden sich mit der wissenschaftlichen Methode, mit der Filippo Brunelleschi die Kuppel des Florenzer Doms gebaut hat, und mit der Wissenschaft der Astronomie, wie sie Paolo dal Pozzo Toscanelli, der größte Astronom und Mathematiker des gesamten Jahrhunderts, verkörperte – ein sehr enger Kreis von Menschen.

Wie wirkte sich das aus? Wie wurden diese Erkenntnisse weltumspannend? Ich möchte hier darstellen, wie die florentinische Renaissance die Mittel hervorbrachte, um diese großen Erfindungen und diese große Umgestaltung des Menschenbildes in die ganze Welt zu tragen.

Es gab mancherlei Vor und Zurück, wie sich das alles letztlich durchsetzte, aber die Werkzeuge hierfür wurden in einem drei Generationen umspannenden systematischen Projekt entworfen, das wir nicht nur mit Heinrich dem Seefahrer in Portugal, sondern gleichzeitig auch mit dem Kern der Florentiner Renaissance in Verbindung bringen. Dies war das Apollo-Projekt des 15. Jahrhunderts. Und man muß sich vor Augen führen, daß es eine Dichte von Entwicklungen in der Wissenschaft, in der Staatskunst und im Menschenbild war, die das möglich machte.

Lyndon LaRouche hat diese Sicht in einem Artikel vom 14. Oktober 1996 mit dem Titel „Warum wir den Mars kolonisieren müssen“ (FUSION 04/1996) wunderbar auf den Punkt gebracht:

Welches sind die wirtschaftlichen Prinzipien, die ein wissenschaftsstimuliertes Raumfahrtprogramm zum entscheidenden Eckstein macht, um die sich vertiefende globale Wirtschaftsdepression erfolgreich zu überwinden? Wir wollen diese Problematik „Das Christoph-Kolumbus-Prinzip der Wirtschaftswissenschaft“ nennen. [Hervorhebung im Original]

Erste Entdeckungsreisen

Statue von Prinz Heinrich dem Seefahrer in Sagres (Portugal), eine Karte in der Hand haltend und nach Westen über das Meer weisend. Quelle: Creative Commons/Rodw

Prinz Heinrich der Seefahrer, dritter Sohn des portugiesischen Königs Johann I., begann um 1416 mit der Seefahrerei – nicht er selbst fuhr zur See, sondern er rekrutierte Besatzungen und finanzierte Reisen. Zu dieser Zeit, muß man wissen, gab es zwar Versuche, Schiffsreisen auf hoher See zu unternehmen, aber die Segelschiffe verfügten nicht über die notwendige Logistik, um langfristig erfolgreich zu sein. Am erfolgreichsten dabei war wohl die bemerkenswerte Flotte des chinesischen Admirals Zheng He in den frühen 1400er Jahren. Aber auch seine Flotte wagte sich nicht weit von den Küsten weg, und ein engstirniger kultureller Reflex im damaligen China verhinderte weitere Erkundungen. In Europa wurde ausschließlich Küstenschiffahrt betrieben. Es gab Galeeren und Handelsschiffe mit breitem Boden, die bei schlechtem Wetter oder widrigen Winden nicht manövrierfähig waren. Es war praktisch unmöglich, sich weit weg vom Land auf die hohe See hinauszubewegen.

Heinrich schickte eine Mission pro Jahr los, anfangs die afrikanische Atlantikküste entlang. Und er ließ seine Leute auf der damals noch unbewohnten Insel Madeira landen, die er dann besiedelte. Etwa 10 Jahre später erreichten seine Kapitäne die Azoren, die 850 Meilen entfernt weit draußen im Atlantik liegen – ein ordentlicher Satz. Es wurden Anstrengungen unternommen, über den Teil des nordwestlichen Afrikas hinauszukommen, wo die Sahara den Ozean erreicht – eine äußerst unwirtliche, 1200 bis 1500 Meilen lange Strecke. 15 Jahre lang machten sie kaum große Fortschritte, aber das Ziel war, das Navigieren auf hoher See zu beherrschen.

Nach Florenz

Eine neue Dimension erreicht die Entwicklung mit Heinrichs Bruder Pedro. Während der ältere Bruder Duarte auf die Nachfolge seines Vaters als König vorbereitet wird, was im Jahr 1432 auch erfolgte, tritt Pedro von 1425 bis 1428 eine Reise durch Europa an, deren Höhepunkt ein Aufenthalt in Florenz im April-Mai 1428 war. Pedro trifft sich dort zwei Monate lang mehrmals mit einem Kreis florentinischer Honoratioren, angeführt von Paolo dal Pozzo Toscanelli und einem weiteren führenden Kopf der florentinischen Renaissance, Ambrogio Traversari.

Zusammen mit Nikolaus von Kues ist Traversari der Vater des großen Konzils von Florenz (1438–1441). Er ist der renommierteste Griechischgelehrte der Zeit und General des Kamaldulenserordens, eines Unterordens der Benediktiner. Sein Studienkreis, der sich in Traversaris Räumen im Ordenshaus Santa Maria degli Angeli trifft, verkehrt mit der Familie Medici, mit Filippo Brunelleschi, dem Architekten der Kuppel des Florentiner Doms, und vielen anderen. In diesen Kreisen hält sich Pedro für diese zwei Monate auf; und man führt tiefe Gespräche.

Das Geld für Pedros Reise stammt aus einer speziellen Kasse, die von Heinrichs Vater, König Johann I., eingerichtet worden war, um die Beziehungen zwischen Florenz und Portugal zu vertiefen. Die Schlüsselfigur hinter all diesen Vorkehrungen war Abt Gomes Eanes, der die Kasse verwaltete. Er war die Nummer zwei nach Ambrogio Traversari im Kamaldulenserorden bei der Vorbereitung des Konzils von Florenz. Er übermittelte die gesamten gelehrten Unterlagen vom Konzil zurück nach Portugal, und als Traversari im Jahr der Unterzeichnung des Abkommens starb, das 1439 die Ost- und die Westkirche zusammenbrachte (seine Unterschrift steht neben der von Traversari auf dem Vereinigungsdokument), war Abt Gomes Eanes aus Portugal die Person, die Traversari als Oberhaupt des Kamaldulenserordens ersetzte.

Als Nikolaus von Kues 1437 nach Konstantinopel reiste, um die Vertreter der östlichen orthodoxen Kirche für das Konzil von Florenz zu gewinnen, befindet sich Antão Martins aus Portugal in seiner Begleitung.

Bei einem Besuch in Florenz vor drei Jahren hatte ich das große Glück, Zugang zu der von Lorenzo dem Prächtigen gegründeten Laurentianischen Bibliothek zu erhalten, in der alle Dokumente und relevanten Korrespondenzen zwischen den portugiesischen und florentinischen Renaissance-Größen archiviert sind. Nur sehr wenig davon ist tatsächlich systematisch untersucht worden. In Abbildung 1 sieht man das Titelblatt von nur einem der Manuskriptbände. Dort heißt es: „Tom: I. Epistolarum“ – Band I der Briefe des Königs, der Königin, der Beamten, Bischöfe, Magnaten und verschiedener anderer aus Lusitanien – also Portugal – an und von Abt Gomes in der Abtei Santa Maria in Florenz.

Abbildung 1. Titelblatt eines Bandes mit der Korrespondenz von Abt Gomes Eanes, einer Hauptfigur der florentinisch-portugiesischen kulturellen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit.

Als Pedro danach nach Portugal zurückkehrt und kurz nach 1440 auch Abt Gomes Eanes zurückruft, kommt es zu einer enormen Ausweitung des atlantischen Erkundungsprojekts. Wo es vorher nur eine Reise pro Jahr gegeben hatte, waren es jetzt drei oder vier Reisen pro Jahr. Um 1434 umfahren Heinrichs Seefahrer das so genannte Kap Bojador, eine kleine Landzunge an der mauretanischen Küste. Auf den Landkarten ist es heute ein unbedeutender Punkt, aber dort treiben die Winde aus der Sahara so viel Sand in den Atlantik, daß man damals dachte, es sei das Ende der Welt. Und psychologisch sperrten sich die Seeleute an dieser Stelle einfach dagegen, weiter zu fahren.

Drei fundamentale Durchbrüche

Schließlich schaffte man es, das Kap Bojador, auch Kap des Schreckens genannt, hinter sich zu lassen; man erreichte das grüne Gebiet des Senegal-Flusses, und gelangte dann in die Bucht von Benin.

In diesem Zusammenhang gelangen drei fundamentale Durchbrüche, die es erlaubten, die Erkundungsfahrten auszuweiten, und diese waren später auch für Kolumbus entscheidend.

Abbildung 2. Einer der drei großen Durchbrüche der portugiesischen Atlantikunternehmung: Die Karavelle aus dem 15. Jahrhundert. Quelle: Wikipedia

Erstens wurde der Schiffstyp der Karavelle entwickelt (Abbildung 2). Davor gab es, wie bereits erwähnt, Galeeren und verschiedene schwerfällige Handelsschiffe. Die Karavelle war schlank, sie hatte ein Verhältnis von Breite zu Länge von 1 : 3 oder 1 : 4 statt 1 : 2; sie hatte schräg gestellte Lateinersegel und konnte daher viel höher am Wind segeln, wenn sie kreuzen mußte. Dies war eine grundlegende Erfindung, die für die damalige maritime Erkundung unverzichtbar war.

Der zweite große Durchbruch, den Heinrich der Seefahrer und seine Leute vollbrachten, ist das, was man als „lange Ozeanwende“ bezeichnen könnte. Es geht dabei darum, daß sich die vorherrschenden Winde und die Strömungen, die sich auf der Nord- und Südhalbkugel spiegelbildlich zueinander verhalten, auf der nördlichen Hemisphäre im Uhrzeigersinn bewegen; links auf der Karte sieht man das für die Nordostwinde; auf der südlichen Hemisphäre drehen sie sich gegen den Uhrzeigersinn (Abbildung 3). Man nennt das den Coriolis-Effekt für die Strömungen wie auch für die Winde. Das bedeutet, wenn man Portugal verläßt und an der Küste Afrikas entlangfährt, bis man etwa nach Senegal oder dem heutigen Sierra Leone kommt, hat man die Winde im Rücken und kann sehr zügig fahren. Der Rückweg ist die Hölle. Man kann 20 Tage für die Hinfahrt und 3 Monate für die Rückfahrt brauchen, denn das Kreuzen vor dem Wind und andere Manöver sind sehr schwierig.

Abbildung 3. Strömungen und Winde im Nord- und Südatlantik.

Die Seefahrer verlegten sich seither statt dessen auf die sogenannte „lange Ozeanwende“, wobei sie auf dem Rückweg bis hinaus zu den Azoren fuhren, die 850 Meilen westlich von Portugal liegen, um von dort mit den günstigeren Winden und Strömungen zurück nach Portugal zu segeln. Trotz der doppelten Entfernung dauerte so die Fahrt viel kürzer. Offensichtlich ist hier das Prinzip der kleinsten Wirkung im Spiel – in diesem Zusammenhang eine großartige Entdeckung.

Abbildung 4. Die „lange Ozeanwende“. Durchgehende Linie: Portugal bis zum Kap der Guten Hoffnung. Gestrichelte Linie: Vom Kap nach Portugal.

Später wird dies in noch größerem Maße genutzt, als die Portugiesen noch viel weiter südlich entlang der afrikanischen Küste segeln. Daran hat sich auch Vasco da Gama im Jahr 1498 orientiert, als er ganz Afrika umrundete und bis Indien gelangte. Die Schiffe verlassen Portugal (Verlauf der Routen siehe Abbildung 4), segeln zunächst an der Küste Afrikas entlang und drehen dann im Uhrzeigersinn über dem Atlantik ab, bis sie fast die Küste Brasiliens erreichen. Dann folgen sie im Gegenuhrzeigersinn den Südostwinden über den ganzen Südatlantik und erreichen schließlich das Kap der Guten Hoffnung.

Ein Astrolabium, ein wichtiges Navigationsgerät, das auf Heinrichs Schiffen eingesetzt wurde. Quelle: Museum of the History of Science, Oxford

Diese Reise führt über die offene See, dauert fast dreimal so lang wie die von Kolumbus und ist doppelt so lang; und doch erreichte man das Kap der Guten Hoffnung viel schneller, als wenn man versucht hätte, an der afrikanischen Küste entlangzufahren. Auf dem Rückfahrt führt der Weg über die umgekehrte lange Ozeanwende, hinaus zu den Azoren und dann Richtung Osten nach Portugal.

Die lange Ozeanwende bietet somit die Möglichkeit, die verschiedensten Strömungen und Windrichtungen auf den Weltmeeren zu nutzen. Man kann sich vorstellen, wie viel Forschung und Arbeit Heinrich in seiner Seefahrerschule auf der Landzunge Ponta de Sagres zu bewältigen hatte, um all diese Erkenntnisse zu sichten und in Navigationspläne umzusetzen.

Navigation

Das dritte Element für die Durchbrüche in der portugiesischen Seefahrt waren Fortschritte in der Himmelsnavigation – der Quadrant, das Astrolabium und die Möglichkeiten, sich an den Sternen zu orientieren. Dabei ging es nicht nur um die Bestimmung des Breitengrades durch Messung des Polarsterns auf der Nordhalbkugel. Als man nämlich immer weiter an der Küste Afrikas südwärts vorankam, verloren die Portugiesen den Polarstern aus den Augen, und am Äquator sah man ihn überhaupt nicht mehr. Am südlichen Himmel gab es keinen Polarstern. Der Breitengrad mußte deswegen am Stand der Sonne abgelesen werden. Daraus entstand schließlich ein fantastisches Kompendium des gesamten Wissens über den Stand der Sonne zu verschiedenen Jahreszeiten in verschiedenen Breitengraden – ein Werk namens Regimento do Astrolabio e do Quadrante, das Astrolabium-Handbuch von 1480. Dieses Werk war 400 Jahre lang wegweisend für alle Schiffsführer.

Die Bedeutung dieser Entwicklung ist in zwei Medaillons festgehalten, die in den Sockel des Campanile di Giotto eingelassen sind, der zum Komplex des Florentiner Doms gehört. Sie wurden von den Brüdern Pisano bereits in den 1330er Jahren geschaffen und werfen ein Licht auf die Genies der Florentiner Renaissance 100 Jahre vor deren Blütezeit.

Abbildungen 5, 6. Zwei der 26 Reliefmedaillons von Andrea Pisano aus Giottos Campanile, die die schöpferischen Fähigkeiten des Menschen darstellen. Das linke zeigt die Navigation auf See und das rechte die Astronomie. Quelle: EIRNS/Timothy Rush

Die Medaillons sind fast in Augenhöhe angebracht, und alle 26 dieser sechseckigen Reliefs bilden Bereiche ab, in denen der Mensch seine schöpferischen Fähigkeiten in der Wirtschaft, den Künsten und der Wissenschaft anwendet. Sie verdeutlichen das Menschen- und Gottesbild, das die Florentiner Renaissance vertrat. Abbildung 5 zeigt die Tafel, die die Navigation illustriert; der Mann hinten im Boot benutzt einen Kompaß, und die beiden anderen rudern. Abbildung 6 zeigt einen Astronomen, der einen Quadranten benutzt, um die Sterne zu vermessen.

Heinrich der Seefahrer hat alle Erkenntnisse seiner Zeit zusammengebracht, so daß gewöhnliche Seeleute und große Kapitäne wie Kolumbus den Quadranten und das neu entstandene Astrolabium mit aufs Meer nahmen und in der Lage waren, sich viel besser zu orientieren als zuvor. Und denken wir an Brunelleschi, der die einfachen Maurer des Doms von Florenz in Techniken ausbildete, die es vorher nicht gab. Das entspricht den grundlegenden Erkenntnissen in Bezug auf die Navigation zur See.

„Beweise Deine Hingabe zu Gott, indem Du die Meere navigierbar machst“

Eine weitere Momentaufnahme, 1455: Nikolaus V., der erste der drei großen Renaissance-Päpste dieser Zeit, war sehr eng mit Nikolaus von Kues und Toscanelli befreundet – dem späteren Pius II. (Aeneas Silvius Piccolomini) standen sie noch näher. Nikolaus erläßt eine päpstliche Bulle, in der er erklärt, daß die christliche Welt auf die Portugiesen und besonders auf Heinrich schaut – er nennt Heinrich den Seefahrer „meinen lieben Sohn, Apostel und Soldat Christi.“ Er wolle insbesondere dessen Bemühungen hervorheben, nämlich „Deine Hingabe zu Gott zu beweisen, indem du die Meere navigierbar machst.“ Das ist zwei Jahre nach dem katastrophalen Ereignis dieser Zeit, dem Fall Konstantinopels an die osmanischen Türken im Jahr 1453, mit venezianischer Duldung.

Die Renaissance-Päpste, die aus der Renaissance in Florenz hervorgingen, wandten sich also direkt an Portugal und sagten: „Wir beauftragen euch, in einem Flankenschlag unsere Ideen in die Welt hinauszutragen, jetzt, da das östliche Mittelmeer für uns verschlossen ist und wir eingekesselt sind.“

In den folgenden neun Jahren entwickelte sich zwischen Nikolaus von Kues, Toscanelli und einem Kanoniker und Arzt aus Portugal namens Fernão Martins eine enge Freundschaft. Fernão Martins war der Cousin des Antão Martins, der Cusa 1437 nach Konstantinopel begleitete. In diesen Jahren wurde Cusa der Generalvikar der katholischen Kirche, die rechte Hand von Papst Pius II. in Rom. So eng ist ihre Zusammenarbeit in Philosophie, Wissenschaft und großen Forschungsprojekten, daß Cusa in einem seiner größten späten Dialoge, Über das Nicht-Andere, Fernão Martins namentlich erwähnt. Toscanelli und Martins sind Cusas Testamentsvollstrecker, als dieser 1464 stirbt. Und es gibt durchaus verläßliche Hinweise darauf, daß Toscanelli bereits in den 1450er Jahren Freunden die Idee mitteilte, sich nach Westen wie nach Osten zu orientieren, um eine Lösung für die Krise nach dem Fall Konstantinopels im Jahr 1453 zu finden.

Die nächste Momentaufnahme ist 1474: Es stellt sich eine große Ernüchterung ein, als die Portugiesen immer weiter an der afrikanischen Küste südwärts fahren. Nachdem sie den Senegal und das Gebiet um das heutige Ghana und Nigeria und dann die Bucht von Benin erreicht haben, dachten sie, es sei geschafft; von dort müßte man nach Osten weiter segeln, Afrika umrunden und in den Indischen Ozean gelangen. Doch plötzlich beginnt die Küste sich immer weiter nach Süden und Süden und Süden zu ziehen – wobei man wissen sollte, daß es von Portugal bis zum Kap der Guten Hoffnung 8000 Meilen sind!

Abbildung 7. Eine Rekonstruktion der Karte von Paolo dal Pozzo Toscanelli, die Kolumbus während seiner Zeit in Portugal übergeben wurde.

Genau in diesem Jahr wendet sich der nach Portugal zurückgekehrte Fernão Martins, der Kanoniker von Lissabon, der Vertraute von Toscanelli und Cusa, an Toscanelli und schreibt ihm sinngemäß, er müsse in die Planung „einer weiteren Etappe unseres Vorhabens“ einbezogen werden. Daraufhin schickt Toscanelli die berühmte Karte, die später an Kolumbus weitergegeben wird (siehe Abbildung 7) an Martins, und in einem Briefwechsel erörtern sie die Idee, „nach Westen zu segeln, um den Osten zu erreichen“.

Auftritt Kolumbus

Im Jahr 1476 tritt Kolumbus auf den Plan. Er ist ein genuesischer Seemann, der vor der Küste Portugals Schiffbruch erlitten hat. Als er wieder an Land ist, befindet er sich inmitten einer unglaublichen Expansion der Zusammenarbeit des portugiesisch-florentinischen Atlantik-Projekts. Er segelt unter portugiesischer Flagge nach Guinea, südlich von Senegal; er macht mehrere portugiesische Seereisen nach Norden; er heiratet die Tochter von Bartolomeo Perestrello, dem ersten Generalgouverneur der Insel Madeira, als Heinrich die Insel 1420 in der Anfangsphase seiner Expansionspläne neu besiedeln ließ. Und aus dieser Verbindung gelangt er in Besitz eines Archivs mit wichtigen Unterlagen.

So gerät er mitten in eine Aufbruchstimmung, in der die Portugiesen ernsthaft in Erwägung ziehen, sich nach Westen zu orientieren, gleichzeitig aber auch weiter zu versuchen, Afrika zu umrunden. Ob aus eigener Initiative oder von den Portugiesen für diese Aufgabe ausgewählt, bekommt Kolumbus die Toscanelli-Karte zu Gesicht, und es gibt Hinweise darauf, daß sich daraus ein direkter Briefwechsel zwischen Kolumbus und Toscanelli entwickelt. (Es erwies sich als ein Segen für die Zukunft, daß der 1397 geborene Toscanelli bis 1482 lebte und damit Heinrich den Seefahrer, Cusa und Papst Pius II. um fast 20 Jahre überlebte. So konnte er eine ganze Generation, zu der neben Kolumbus auch Amerigo Vespucci und Leonardo da Vinci gehörten, nachhaltig prägen.)

Die Portugiesen wußten nicht genau, in welche Richtung sie sich wenden sollten. Tatsächlich hatten sie in den 1480er Jahren etwa acht kleine Unternehmungen der Art bewilligt, wie sie Kolumbus später tatsächlich verwirklichte. Sie waren eindeutig nicht dagegen. Allerdings geschah noch etwas Unerwartetes. Nämlich Bartolomeo Dias, einer der großen portugiesischen Kapitäne, kehrte 1488 mit der Nachricht nach Lissabon zurück, dass er das Kap der Guten Hoffnung erreicht hätte. Er hatte Afrika umrundet! Für Portugal eröffnete sich also ein sicherer Seeweg nach Indien, indem man Afrika ganz umrundete; die Option, nach Westen zu gehen, wurde zwar nie fallen gelassen, aber unmittelbar fiel die Entscheidung, bei dem zu bleiben, was man in der Hand hatte.

An dem Punkt tritt Kolumbus in Aktion. Da in Portugal keine Schiffsreisen nach Westen mehr zu erwarten waren, wie er sie sich vorstellte, geht er nach Spanien.

Aber eines der großen Geheimnisse dieser Zeit ist, daß es in Sevilla nicht die spanische Krone ist, die den größten Teil der Finanzierung seiner Reisen trägt – sie gab die politische Zustimmung –, sondern die Vertretungen der florentinischen Banken, insbesondere der Medici-Bank. Amerigo Vespucci, der für einige Jahre der Geschäftsführer der Medici-Bank in Sevilla war – vor und nach Kolumbus‘ Reisen – sorgte dafür, daß das nötige Geld aufgebracht wurde.((Siehe Robert Ingraham, „The Agony of Confrontation of Old and New – The New World Imperative“, in EIR, Vol 43, Nr. 32, 5. August 2016.))

Die Hauptträger der florentinischen Renaissance spielten also durchgehend eine zentrale Rolle, um die von den Portugiesen angefangene große Aufgabe unmittelbar praktisch zu fördern.

Die Reise von 1492

Kolumbus konnte bei seinen Fahrten alle drei großen Durchbrüche nutzen, die in den vorangegangenen 75 Jahren erreicht worden waren: 1. Zwei seiner drei Schiffe waren Karavellen.((Siehe auch das 12minütige Video mit dem Titel „1620“, das LaRouchePAC zu diesem Thema produziert hat.)) Er wußte um die Varianten der langen Ozeanwende: Er segelte die Küste Afrikas hinunter, vorbei an den Kanarischen Inseln, nutzte dann die nordöstlichen Passatwinde auf der südlichen Seite, die ihn in die Karibik hinausbrachten. Auf der Rückreise nimmt er nicht die gleiche Route, sondern orientiert sich nach Norden und nutzt die entsprechenden Passatwinde und Strömungen, die ihn auf höheren Breitengraden über die Azoren zurück nach Portugal führen. Und 3. benutzt er das Astrolabium und den Quadranten und macht einige außergewöhnliche Entdeckungen über den Unterschied zwischen dem magnetischen und dem geographischen Norden.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, wenn wir die Entdeckungsfahrten des Kolumbus als Vorläufer des Apollo-Mondprojekts betrachten, was der ehemalige stellvertretende NASA-Direktor Hans Mark im Februar 1992, dem 500. Jahrestags der Landung von Kolumbus, auf einer Tagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS) über Heinrich den Seefahrer und die frühen Tage der Seefahrt sagte:

Für mich, der sich seit 20 Jahren mit der Erforschung des Weltraums beschäftigt, hat Prinz Heinrich von Portugal immer einen besonderen Platz eingenommen. Heinrich war der Initiator und Förderer der ersten langen Überseereisen der Europäer, die zu einer nachhaltigen und systematischen Erkundung der Welt führten…

Ich muß gestehen, daß ich immer das Gefühl hatte, daß der Geist Prinz Heinrichs hinter den verschiedenen NASA-Vorsitzenden in Washington stand, als ich für sie arbeitete. Ich bin sicher, daß er ihr Denken leitete, bewußt oder unbewußt.

Diejenigen von uns, die die praktische Arbeit der NASA ausführten, waren wie die Kapitäne, die vor 500 Jahren die Küste Afrikas entlang segelten und damit die wichtigsten Ausblicke eröffneten, die die europäische Kultur der Welt eröffnet hat.

Die Landung von Kolumbus auf der Insel Guanahani (San Salvador) am 14. Oktober 1492. Radierung von John Vanderlyn, 1847

Angesichts des ganzen Schmutzes, mit dem Kolumbus seither beworfen wurde, fragen sich wahrscheinlich viele, wie dieses Apollo-Projekt des 15. Jahrhunderts mit den späteren Raubzügen und der Sklaverei der Kolonialherren in Einklang zu bringen ist. Das ist ein großes Thema, und ich kann nur ein paar Schlaglichter darauf werfen. Es ist eine sehr chaotische Geschichte, und man kann auf dem amerikanischen Kontinent nur schwer Anhaltspunkte dafür bekommen, um die Absicht sichtbar zu machen, die die Gelehrten der Florentiner Renaissance wie Nikolaus von Kues verfolgten. Die Kirche widersetzte sich weitgehend den Bestrebungen, die Indianer zu versklaven. Es gab bemerkenswerte Anstrengungen wie die des Bischofs Vasco de Quiroga im mexikanischen Michoacan und langjährige beherzte Bemühungen humanistischer portugiesischer Verwalter im Kongo, dem Königreich des Kongo das Beste an europäischem landwirtschaftlichem und handwerklichem Wissen zu vermitteln.

Daß diese Bemühungen lange Zeit eher die Ausnahme als die Regel waren, beruht auf einer entscheidenden Wahrheit: Das Problem waren nicht die Entdeckungsfahrten, sondern der Oligarchismus – der Oligarchismus, der Europa in 160 Jahre Religionskrieg stürzte und so verhinderte, daß die Erkenntnisse der Renaissance umgesetzt wurden. Und der Oligarchismus reichte bis in die Herrschaftskreise, die den amerikanischen Kontinent besiedelten. Das und neue lukrative Handelsgüter wie Zucker ließen die internen Kämpfe an den Höfen von Spanien und Portugal in Richtung der Sklaveninteressen kippen.

Erst mit der Landung der Siedler in Plymouth 1620 und dann mit der Massachusetts Bay Colony öffnete sich erneut der Weg zur letztendlichen Gründung einer amerikanischen Republik, die den Ideen der Renaissance folgte. Ohne die Entdeckungsfahrten des Kolumbus wäre das nicht möglich gewesen.

In dem oben erwähnten Aufsatz „Warum wir den Mars kolonisieren müssen“ faßte LaRouche die Lehren für heute zusammen:

Eine bis an die Grenze der Möglichkeiten getriebene Rate der Verwirklichung prinzipieller wissenschaftlicher Entdeckungen sowie die Mobilisierung materieller Ressourcen und der nötigen Mittel für Erziehung und Gesundheitswesen, um moderne „Christopher Kolumbusse“ zu ermöglichen, das ist das Geheimnis aller großen wirtschaftlichen Errungenschaften der modernen europäischen Zivilisation.

Ich möchte mit einer persönlichen Anekdote enden, die ich angesichts der aktuellen Angriffe auf das Erbe des „Apollo-Projekts“ der Renaissance für ziemlich ironisch halte: In den späten 60er und frühen 70er Jahren verbrachte ich einige Sommermonate als Anthropologiestudent in Südmexiko, bei einer heutigen Maya-Indianergruppe namens Zinacantecos. Am 20. Juli 1969, dem Tag der ersten Mondlandung, hatte meine Gruppe von Mitstudenten, bereits infiziert von Wissenschaftsfeindlichkeit und entfremdet durch die Kombination von Vietnamkrieg und der aufkeimenden Rock-Drogen-Sex-Gegenkultur, diesem weltbewegenden Ereignis keine Beachtung geschenkt – mich eingeschlossen, was mich heute noch beschämt. Aber einige der Indianer aus diesen Dörfern im Hochland von Chiapas waren in die nahegelegene Marktstadt San Cristóbal de la Casas gefahren, drängten sich dort vor dem Schaufenster des einzigen Fernsehladens der Stadt, wo auf einem Gerät die Mondlandung übertragen wurde, und bewunderten diese Errungenschaft der Menschheit.

Ich sage das, weil wir die Tiefe der heutigen kulturellen Erosion erkennen müssen. Aber es gibt neue Ansatzpunkte, um wieder zu einer optimistischen Perspektive zurückzukehren, denn mit dem Artemis-Programm der NASA werden wir zum Mond zurückkehren und die Weiterreise zum Mars planen. Außerdem stehen wir vor grundlegenden wissenschaftlichen Umwälzungen insbesondere im Bereich der Kernfusion. Ich hoffe hier dargestellt zu haben, daß das, was Kolumbus repräsentierte, eine Mustervorlage für die Aufgaben ist, die jetzt vor uns liegen.

Kolumbus hat den „experimentellen Beweis“ dafür erbracht, daß die gemeinsame Mission von Florenz (Toscanelli) und Portugal (Heinrich des Seefahrer) – „Beweise Deine Hingabe zu Gott, indem Du die Meere navigierbar machst“ – zum Erfolg geführt hat. Erst seit dieser Zeit konnte die gesamte Welt im Grunde zu einer Sphäre werden, in der die Renaissance-Prinzipien von Wissenschaft, Staatskunst und Menschenbild die Grundlage bilden, um uns als eine Menschheit zu begreifen.

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