Das „Anthropozän“ aus Sicht von Wernadskijs Noosphäre

Meghan Rouillard vom Basement-Team hat den folgenden Beitrag am 29. Februar 2016 auf larouchepac.com gepostet.

Jüngste Veröffentlichungen von Studien über die Rolle der Menschheit als starker geologischer Kraft – auch als „Anthropozän“ bezeichnet –, bietet eine gute Möglichkeit, darzustellen, wie sich dieses Konzept mit Wladimir Wernadskijs Vorstellung der Noosphäre überschneidet bzw. von ihr abweicht. (Auch ist dies eine sehr gute Möglichkeit, ihn anläßlich seines kurz bevorstehenden Geburtstags am 12. März zu ehren.)

Ausgehend von der allgemeinsten Definition, die sich finden läßt, scheinen beide Begriffe, Anthropozän und Noosphäre, beinahe synonym zu sein. Dabei wird der gleiche Begriff von verschiedenen Leuten allerdings unterschiedlich benutzt und erhält dadurch unterschiedliche Bedeutungsnuancen.

In Science vom 8. Januar 2016 erschien diese Studie „Das Anthropozän unterscheidet sich funktional und stratigraphisch vom Holozän“.

Dies wird besonders deutlich an der jüngsten Verwendung des Begriffs „Anthropozän“.

Es gibt eine offene Debatte darüber, wann genau das „Anthropozän“ eigentlich begonnen hat, so auch in einer jüngsten Science-Studie mit dem Titel „Das Anthropozän unterscheidet sich funktional und stratigraphisch vom Holozän“((http://science.sciencemag.org/content/351/6269/aad2622)) Ganz allgemein bezieht sich das Anthropozän auf „eine vorgeschlagene Epoche, die einsetzte, als sich menschliche Aktivitäten global auf die Geologie und die Ökosysteme der Erde auszuwirken begannen.“ Wernadskij definiert seine „Noosphäre“ allgemein etwas prägnanter als „die Herrschaft der Vernunft in der Biosphäre“, aber konzeptionell gibt es deutliche Überlappungen zwischen beiden.

Einige von denen, die sich auf das Anthropozän beziehen, sind Geologen und Stratigraphiker, die der Auffassung sind, es sei Zeit, diese neue Epoche formal anzuerkennen, wobei sie zur Untermauerung ihrer Auffassung verschiedene Kriterien anführen, an denen teilweise bereits Wernadskij interessiert war, so die Erzeugung neuer Materialien durch den Menschen, die in der Studie als „Technofossilien“ bezeichnet werden.

Wernadskij, der bereits 1938 vom „wissenschaftlichen Denken als geologischer Kraft“ sprach, hätte sich sicherlich an diesen Diskussionen beteiligt, wenn er heute am Leben wäre. Seine Überlegungen folgten ganz ähnlichen Wegen wie die der erwähnten Studie, obwohl er damals weit weniger Belege zur Verfügung hatte. Nach Wernadskijs Auffassung begann die Noosphäre in der Zeit des Zweiten Weltkriegs voll in Erscheinung zu treten, wie er in einer seiner letzten Schriften Einige Anmerkungen über die Noosphäre((Wladimir I. Wernadskij, „Einige Anmerkungen über die Noosphäre“, FUSION 2/2005, S. 33–37)) von 1943 schrieb.

Einer der Koautoren der oben erwähnten Studie, Prof. Erle Ellis von der Universität Maryland, hatte bereits 2013 in einem Kommentar mit dem Titel Überbevölkerung ist nicht das Problem((Erle C. Ellis, „Overpopulation Is Not The Problem“, New York Times, 13. Sept. 2013, http://www.nytimes.com/2013/09/14/opinion/overpopulation-is-not-the-problem.html?_r=3)) eine Wernadskijsche Sicht vertreten. Das Bevölkerungswachstum bedinge zwar einen vermehrten Ressourcenverbrauch und wirke sich auf die Umwelt aus, aber das sei seiner Ansicht nach kein grundlegendes Problem, denn wenn man die Fehler in Thomas Malthus‘ Theorie zu diesem Thema erkannt habe und wenn man über den homo sapiens als Gattung spreche, könne man nicht von einer begrenzten „Tragfähigkeit“ sprechen. Wernadskij selbst hatte in der erwähnten Schrift von 1938 geschrieben:

„Es gibt keinen Winkel auf der Erde, der ihm [dem Menschen] nicht zugänglich ist. Theoretisch ist keine Grenze seiner möglichen Vermehrung absehbar.“

Andere, die auch mit dem Begriff „Anthropozän“ arbeiten, teilen diese Ansicht jedoch nicht. Sie mögen auch von einer „geologischen Kraft“ sprechen, aber im Grunde behaupten sie, das Anthropozän sei nur ein Marker dafür, in welchem Maß die Menschheit als Gattung eine Abweichung vom idealen, „natürlichen“ Zustand des Planeten bewirkt habe. Ein radikaler Vertreter dieser Gruppe ist Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der in einer jüngsten Untersuchung ebenfalls vom Anthropozän und vom „Menschen als geologischer Kraft“ spricht.((H. J. Schellnhuber u. a., Menschgemachter Klimawandel unterdrückt die nächste Eiszeit, auf der Internetseite des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/menschgemachter-klimawandel-unterdrueckt-dienaechste-eiszeit?set_language=de. Darin wird darauf verwiesen, daß der Mensch den Beginn einer neuen Eiszeit verschoben hat, während zugegeben wird, daß das Holozän „auch ohne den menschengemachten Klimawandel“ bereits „eine ungewöhnlich lange Phase zwischen zwei Eiszeiten“ ist.)) Wahrscheinlich würde sich Paul Crutzen, von dem ursprünglich der Begriff Anthropozän stammt, der Sichtweise des Commander of the Most Excellent Order of the British Empire (CBE) Schellnhuber anschließen.

Schellnhuber hat sich öffentlich zu seinen Ansichten geäußert, wie wir in einem Artikel in EIR 2015 dokumentiert haben:

„Für das Nobelpreisträgertreffen zur ,Globalen Nachhaltigkeit‘ schrieb Schellnhuber in diesem Jahr [2011] : ,Unnachhaltige Produktion, Verbrauch und Bevölkerungswachstum gefährden das Durchhaltevermögen des Planeten, menschliche Aktivität zu erhalten…‘ Und unter der Überschrift ,Die Belastung durch den Menschen reduzieren‘ steht: ,Der Konsum, ineffizienter Rohstoffverbrauch sowie nicht angemessene Technologien sind die Hauptgründe für die wachsende menschliche Belastung des Planeten. Das Bevölkerungswachstum muß ebenfalls adressiert werden‘.“((„British Crown’s Depopulation Pope: CBE Hans Joachim Schellnhuber“, EIR, 2. August 2015, S. 20 ff. Siehe auch „CBE Hans Joachim Schellnhuber – Menschenfeind aus Überzeugung“, in FUSION 2/2015, S. 17, und Bruce Director, „Wie sich Schellnhuber an Wernadskijs Erbe vergeht“, FUSION 2/2013, S. 31.))

Wernadskij würde sich dagegen verwahren. Er hatte sich explizit gegen Thomas Malthus, den frühesten Verfechter von Bevölkerungsreduktion, gewandt:

„Malthus erkennt nicht, daß seine grundlegenden Ergebnisse zu ganz anderen Folgerungen führen. Man könnte sagen, sie seien einfach nicht wahr, da er den Umstand nicht berücksichtigte, daß bei genauer geologischer Beurteilung des langfristigen Wachstums der menschlichen Bevölkerung in bezug auf Ernährung und Lebensbedürfnisse die Ausbreitung der hierfür benötigten Pflanzen und Tiere unweigerlich mit größerer Kraft und Geschwindigkeit ansteigen muß, woraus sich eine schnellere Vermehrungsrate als die der Bevölkerung ergibt. Man muß diese Richtigstellung immer im Auge haben. Nur die historisch irrationalen Elemente in unserem Gesellschaftssystem erschweren es, den Effekt dieses natürlichen Phänomens deutlich zu beobachten.“((Vernadskii, V.I., Khimicheskoe stroenie biosfery zemli i ee okruzheniia. Nauka. Moscow. 2001. p. 302.))

Seit Wernadskijs Tod sind seine Ideen leider regelmäßig falsch wiedergegeben und verdreht worden, ohne daß er sich dagegen wehren konnte. William Jones hat die Hintergründe hiervon in einem ausgezeichneten Artikel dargestellt.((William Jones, „The ,Greening‘ of Vladimir Vernadsky: How The Russellites Sabotage Science“, 21st Century Science & Technology, Herbst–Winter 2013, S. 4–12.)) Gewöhnlich geschieht dies dadurch, daß einzelne Teile seiner Schriften völlig aus dem Zusammenhang gerissen werden. Im schlimmsten Fall zitiert jemand einen Begriff wie „Biosphäre“ in einer Weise, daß Wernadskij zwangsläufig ein „Grüner“ sein müsse, da ja heute nur Leute aus dieser Kategorie um die Existenz der Biosphäre wüßten. Wernadskij selbst hat allerdings wesentlich tiefer gedacht als die „Umweltschützer“ heute.

Bei einem gründlichen Studium seiner Schriften wird eines absolut deutlich: Wernadskij ging nicht davon aus, daß die Noosphäre umkehrbar sei, geschweige denn umkehrbar sein sollte.

Aufgrund dieser Vielzahl unterschiedlicher Lesarten für den Begriff „Anthropozän“ wird die Autorin weiterhin von „der Noosphäre“ sprechen. Wernadskij hätte wohl nichts dagegen gehabt, diese neue geologische Epoche zur Kenntnis zu nehmen, aber man kann mit Sicherheit sagen, er hätte mit einigen Leuten, die diesen Begriff für ihre eigenen „anti-noosphärischen“ Zwecke verwenden, ein Hühnchen zu rupfen.

Hieraus ergibt sich eine gute Gelegenheit zu klären, was Wernadskij unter der Noosphäre verstand, indem er sich nicht nur deren Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch deren Zukunft vorstellte.

Wernadskijs Noosphäre kurz beleuchtet

Wernadskij hat sich über die Noosphäre in vielen Schriften während seines gesamten Lebens geäußert; sie rückte aber gegen Ende seines Lebens immer mehr in den Mittelpunkt. Hier wollen wir uns vor allem mit einigen seiner Gedanken auseinandersetzen, die er 1938 in seiner Schrift Das wissenschaftliche Denken als planetare Erscheinung8((In Wladimir Wernadskij, Der Mensch in der Biosphäre, Hrsg. Wolfgang Hofkirchner, Lang, 1997, S. 162.)) ausgeführt hat.

Wernadskij setzte die Noosphäre nicht einfach mit dem homo sapiens schlechthin gleich. Ganz ähnlich wie einige jüngste Einschätzungen über das Anthropozän dachte er, daß die Noosphäre einsetzte, als der Mensch mit seinem Denkvermögen die Biosphäre wesentlich zu transformieren begann, weswegen es schwierig ist, den genauen Zeitpunkt hiervon festzulegen. Seiner Ansicht nach sei der wahrscheinlich beste Indikator hierfür das verbreitete Aufkommen der Landwirtschaft vor mehreren zehntausend Jahren. Ihm war aber auch klar, daß der Mensch schon zuvor seine besonderen kognitiven Fähigkeiten unter Beweis gestellt hat, vor allem durch die Entdeckung und Verwendung des Feuers.

„Offenbar bildete sich der homo sapiens oder sein direkter Vorgänger kurz vor Einsetzen der Eiszeit heraus oder in einer warmen Zwischeneiszeit. Der Mensch überlebte die Erschwernisse der Kälte. Das war möglich, weil er damals im Paläolithikum eine gewaltige Entdeckung gemacht hatte: die Beherrschung des Feuers.

Diese Entdeckung war an einigen Stellen der Erde gemacht worden und verbreitete sich langsam unter der Bevölkerung. Offenbar haben wir es hier mit einem allgemeinen Prozeß von Entdeckungen zu tun, in dem nicht die massenhafte Tätigkeit der Menschen eine Rolle spielt, die Einzelphänomene ausgleicht und korrigiert, sondern die Ausprägung der menschlichen Individualität. Für spätere Zeiten können wir das in sehr vielen Fällen verfolgen.

Die Entdeckung des Feuers ist der erste Fall, in dem ein lebender Organismus sich eine Naturkraft aneignete und sie beherrschte. Zweifellos legte diese Entdeckung die Grundlage für das, was wir heute sehen und was in der künftigen Entwicklung der Menschheit nachfolgen wird. Das Wachstum der Menschheit vollzog sich außerordentlich langsam, und wir können uns nur sehr schwer die Bedingungen vorstellen, unter denen sich dieses vollzog. Das Feuer war schon den stammesgeschichtlichen Vorfahren oder Vorläufern jener Hominidenart bekannt, die die Noosphäre aufbauen.“

Wernadskij wies auch darauf hin, daß das Konzept einer „psychozoischen Ära“ – ein Begriff, den er Joseph LeComte und Charles Schuchert zuschrieb – der „anthropogenen Ära“ sehr ähnlich sei, von der das Akademiemitglied A. P. Pawlow (nicht zu verwechseln mit dem Pawlow der Hundeversuche) gesprochen hat.

In seiner Schrift „Die Erforschung des Lebens und die Neue Physik“ von 1931 äußerte sich Wernadskij zu dem „besonderen Psychozoikum“, das wir erleben:

„Mit dem Erscheinen des Menschen in der Biosphäre hat sich… die Wirkung des Lebens auf unseren Planeten infolge der menschlichen Intelligenz auf eine Weise geändert und entwickelt, daß man in der Geschichte unseres Planeten von einem besonderen Psychozoikum sprechen kann – entsprechend anderen geologischen Epochen, in denen es auf der Erde zu Änderungen in der belebten Natur kam, so wie beispielsweise während des Kambriums oder des Oligozäns. Mit dem Erscheinen eines mit Intelligenz begabten Lebewesens auf unserem Planeten ist dieser in eine andere Phase seiner Geschichte eingetreten.“((Wladimir Wernadskij, „Die Erforschung des Lebens und die Neue Physik“, FUSION 1/2015, S. 33.))

Letztlich hat er wohl doch den Begriff „Noosphäre“ vorgezogen, der als Begriff besser geeignet erschien, ein Bild der Biosphäre zu schaffen, die vollständig von einer anderen „Sphäre“ umschlossen ist. In seinen Schriften verwendete er jedoch beide Begriffe. Wie bereits erwähnt, spricht Wernadskij bei seiner „psychozoischen Ära“ oder „Noosphäre“ auch noch deskriptiver vom „wissenschaftlichen Denken als geologischer Kraft“. Anhand verschiedener Kriterien hat er die Stärke dieses Effekts gemessen; ein Maß dafür bezeichnete er als „biogene Migration von Atomen“, die seiner Ansicht nach einen anderen, aber entsprechenden Ausdruck in der Aktivität des Menschen hat.

In seiner Schrift „Über die Evolution der Arten und die lebende Materie“ von 1928 bespricht Wernadskij verschiedene Formen der Migration von Atomen – der Wanderung von Stoffen durch die Biosphäre und die Körper von Lebewesen, welche mit der Zeit zweifellos immer mehr zugenommen hat und tatsächlich wie ein Kennzeichen und sogar als Treiber der Evolution erscheint. Er behauptet sogar, daß möglicherweise Arten ausgestorben sind, weil sie nicht in der Lage waren, die Migration von Atomen zu erhöhen. Die erste Form von Migration betrifft die Menge an Stoffen und die zweite die tatsächliche Migrationsgeschwindigkeit. Während bei diesen Formen der Stoffwechsel direkt beteiligt ist, gebe es noch eine dritte Form, die in der Biosphäre in Erscheinung trete, aber in der „psychozoischen Ära“ einen viel stärkeren analogen Effekt habe:

„Die dritte Form beginnt in unserem Zeitalter, dem Psychozoikum, eine besondere Bedeutung in der Geschichte unseres Planeten anzunehmen. Das ist die ebenso von Organismen hervorgerufene Wanderung von Atomen, die aber nicht genetisch oder unmittelbar mit dem Eindringen oder dem Durchlauf von Atomen durch ihre Körper verbunden ist. Diese Wanderung entsteht durch die Entwicklung technologischer Aktivität. Ein Beispiel hierfür ist die Arbeit von Wühltieren, von denen wir seit den ältesten geologischen Zeiten infolge des Soziallebens bauender Tiere wie Termiten, Ameisen und Bibern Spuren finden. Aber diese Form der biogenetischen Wanderung chemischer Elemente hat seit dem Erscheinen der zivilisierten Menschheit vor Zehntausenden von Jahren eine außerordentliche Entwicklung genommen. Völlig neue Stoffe sind auf diese Weise entstanden, so zum Beispiel Metalle im freien Zustand. Das Gesicht der Erde verändert sich, und die unberührte Natur verschwindet. Diese Wanderung scheint nicht in direkter Beziehung zur Masse der lebenden Materie zu stehen: sie ist in ihren Grundzügen durch die Denkarbeit bewußter Organismen bedingt.“((Wladimir Wernadskij, „Über die Evolution der Arten und die lebende Materie“, FUSION 2/2013, S. 14.))

Wladimir Wernadskij im Jahre 1934.

In seinen „Aufsätzen über Geochemie“ schrieb Wernadskij mehr über die Bedeutung hiervon:

„Der Mensch erhöht ständig die Zahl der Atome, welche die alten Zyklen – die geochemischen ,ewigen‘ Zyklen – verlassen. Er verstärkt den Bruch dieser Prozesse, führt neue ein und greift in alte ein. Mit dem Menschen ist eine gewaltige geologische Kraft auf der Oberfläche unseres Planeten erschienen. Das Gleichgewicht der Wanderungen von Elementen, das sich im Verlauf der geologischen Zeit herausgebildet hat, wird durch die Vernunft und die Aktivitäten des Menschen gestört. Gegenwärtig verändern wir auf diese Weise das thermodynamische Gleichgewicht innerhalb der Biosphäre.“((Wernadskij, Geochemie in ausgewählten Kapiteln, Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H., Leipzig 1930. ))

Darüber hinaus, so schrieb er, sei diese Kraft in ihrem Potential nicht auf die Erdoberfläche beschränkt, in Vorahnung der bedeutenden Vorstöße ins Weltall, die in den Jahrzehnten nach seinem Tod beginnen sollten:

„… alles deutet darauf hin, daß wir mit dem Fortschreiten der geochemischen Verstandestätigkeit, des Lebens der zivilisierten Menschheit, die Grenzen des Planeten überschreiten. Man sieht hierin eine Äußerung des Lebens, die zwar auf unserem Planeten stattfindet, aber auf Eigenschaften von Lebewesen hindeutet, die offenbar nicht von diesem begrenzt sind.“((Wernadskij, „Die Erforschung des Lebens und die Neue Physik“, a. a. O., S. 33))

Das Besondere an Wernadskijs Noosphäre

Wernadskij ging es nicht darum, lediglich die Tatsache der Noosphäre zu kommentieren, wie dies in einigen jüngeren Studien der Fall ist, sondern er war der festen Ansicht, daß die Noosphäre kein reversibler Prozeß sei, und es absurd wäre zu denken, man könne zu einer Vor-Noosphären-Zeit zurückkehren. In der erwähnten Schrift von 1938 schrieb er:

„Das wissenschaftliche Denken als Erscheinung der lebenden Materie kann grundsätzlich keine umkehrbare Erscheinung sein – sie kann zwar in ihrer Bewegung stehenbleiben, aber nachdem sie einmal hervorgebracht wurde und in der Evolution der Biosphäre hervorgetreten ist, trägt sie die Möglichkeit der unbegrenzten Entwicklung im Lauf der Zeit in sich.“((Wernadskij, Der Mensch in der Biosphäre, a. a. O., S. 48 ff.))

Hätte sich Wernadskij vorstellen können, daß sich alle Nationen der Erde im Jahre 2016 in Paris versammeln würden, um darüber zu beraten, wie man gewissermaßen die Noosphäre rückgängig machen könnte?((Siehe einen weiteren Blog-Eintrag der Autorin (auf englisch): http://action.larouchepac.com/in_defense_of_the_noosphere))

Wie ihm allerdings sehr wohl bewußt war, könnte der Fortschritt der Biosphäre sogar um Hunderte von Jahren verlangsamt werden und stagnieren. Das nahm er zur Kenntnis, fand sich damit aber nicht ab. Seiner Überzeugung nach gibt es einen moralischen Imperativ, die Noosphäre zu entwikkeln. Wir seien dazu verpflichtet, sie immer weiter voranzubringen, sagte er. Ausführlich hat er sich dazu in Das wissenschaftliche Denken als planetare Erscheinung geäußert. Ein Wissenschaftler könne nicht untätig zuschauen, sondern trage eine wichtige „moralische Verantwortung für seine Arbeit“.

Für Wernadskij gab es ein „demokratisches Ideal des Wissenschaftlers“, nämlich „die Idee von der staatlichen Vereinigung der Bemühungen der Menschheit. Sie kann jedoch nur unter der Bedingung realisiert werden, daß die Mittel der Natur zum Wohle des Staates breite Anwendung finden, d. h. dem Wesen nach zum Wohle der Volksmassen. Das ist wiederum nicht möglich ohne eine Veränderung der Rolle der Wissenschaft und der Wissenschaftler im Staatswesen von Grund auf. Im Prinzip ist das der Ausdruck des Übergangs der Biosphäre in die Noosphäre auf dem Gebiet des Staatswesens… Dieser vor unseren Augen ablaufende Naturprozeß ist unumkehrbar und unvermeidlich,“ schrieb er.((Wernadskij, Der Mensch in der Biosphäre, a. a. O., S. 111 ff.))

Die Noosphäre sei auch die einzige vernünftige Grundlage für die Beziehungen unter den Nationen. Ähnlich wie sich der Ökonom Lyndon LaRouche in seinem Buch Die kommenden 50 Jahre ((Lyndon LaRouche, Die kommenden 50 Jahre. Dialog der Kulturen Eurasiens – Wie das neue eurasische Zeitalter begründet werden kann, E.I.R. GmbH Wiesbaden, 2006.)) äußerte, glaubte Wernadskij, daß die Noosphäre und die Identität jedes Menschen, der potentiell als geologische Kraft wirkt, der beste Weg wäre, die verschiedenen Völker und Kulturen zu vereinigen. Wenn man so die Aufgabe definiert, die Noosphäre weiterzuentwickeln, ergibt sich ein Maßstab, an dem sich das Handeln und die kulturellen Merkmale verschiedener Nationen messen läßt.

Ausblick

Abgesehen davon, daß Wernadskij die Existenz der Noosphäre bestätigte und der Meinung war, diese noch weiter als tatsächliche „psychozoische Epoche“ zu fassen, sah er deren Zukunft keineswegs zwiespältig oder gar negativ. Länder wie die Vereinigten Staaten hätten unter vielen Jahren der Stagnation gelitten, die Wernadskij ausführlich beschrieb. Andere Länder, darunter sein eigenes Land Rußland, über dessen Zukunft er bei seinen Lebzeiten weitaus weniger zuversichtlich war, haben inzwischen die Sache der Noosphäre weiter vorangebracht. Wenn wir dies wie er als unsere Mission betrachten, müssen wir uns fragen: Wie gestalten wir die Zukunft?

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