Wladimir Iwanowitsch Wernadskij: Die Wissenschaft der Biosphäre und der Astrobiologie

Das russische Akademiemitglied Mikhail Ya Marow leitet den Fachbereich Kosmochemie am Wernadskij-Institut für Geochemie und Analytische Chemie der Russischen Akademie der Wissenschaften. Sein wissenschaftliches Hauptinteresse gilt den Grundproblemen der Hydrodynamik, der Gaskinetik und der Weltraumphysik mit Blick auf Untersuchungen des Sonnensystems und der Planetenentstehung. Er hat über 250 Fachartikel und 15 Bücher und Monographien verfaßt.


Der bekannte russische Wissenschaftler Wladimir Iwanowitsch Wernadskij gehört zu den bemerkenswertesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Die ihm eigene Begabung und die Wißbegierde dieses Naturforschers zusammen mit seinem wahrhaft enzyklopädischen Wissen ermöglichten es ihm in seinen vielfältigen Aktivitäten, in eine Fülle wissenschaftlicher Bereiche einzudringen und darin tiefe Spuren zu hinterlassen. Indem er Naturphänomene neu überdachte und philosophische Verallgemeinerungen daraus zog, legte er überdies die Grundlagen für neue Bereiche zeitgenössischen Wissens. Er leistete unschätzbare Beiträge für die Geochemie und die geschichtliche Untersuchung der chemischen Elemente der Erdkruste, für die Mineralogie und die Untersuchung des Wasserkreislaufs der Erde sowie für die Untersuchung der natürlichen Symmetrie und der Zeit. Er schuf die Grundlage für die Radiochemie als einem der Hauptbereiche zur Entwicklung der Kernkraft. Er untersuchte als erster das zentrale Problem der engen Beziehung zwischen der Aktivität des Menschen und anderer Lebewesen einerseits und geologischen Prozessen andererseits; diese Forschungsarbeiten bildeten die Grundlage für sein Konzept der Biosphäre. Ihm werden außerdem Forschungen über die Geschichte der herausragendsten Wissenschaftszweige und Methoden zur Erfassung wissenschaftlicher Erkenntnisse zugeschrieben. Er war der erste Vorsitzende der Kommission über die Geschichte der Wissenschaften, die 1921 von der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften gegründet und 1932 zum Institut der Geschichte der Naturwissenschaft und Technik umgestaltet wurde. Er war ein leidenschaftlicher Publizist, dessen Aufsätze stets seine Sorge um die Interessen seines Landes und der Welt ausdrückten.

Schematische Ansicht des Sonnensystems und planetarischer Nebel, die zurückbleiben, wenn der Kernbrennstoff der Sonne (ein G2-Stern mit einer Lebenszeit von etwa 10 Milliarden Jahren) voraussichtlich in 5 Milliarden Jahren erschöpft sein wird. So dargestellt in der Encyclopedia of Astronomy and Astrophysics (2002).

Wir wollen hier nur kurz auf einen Aspekt von Wernadskijs umfangreichem Vermächtnis eingehen, nämlich auf seine Lehre von der Biosphäre, einer Wissenschaft, die eine umfassende Bestandsaufnahme der Erdentwicklung umfaßt – und dabei eng und grundlegend mit ihrer kosmischen Umgebung und dem Ursprung des Lebens verbunden ist. Dieser Forschungsbereich, der weit über die Grenzen des Sonnensystems hinausgeht und in den letzten Jahrzehnten eine lebhafte Entwicklung erlebt hat, grenzt direkt an die Astrobiologie und das breite Spektrum von Problemen, mit denen sich diese Wissenschaft derzeit beschäftigt.

Das Moos Plagiomniumaffine mit deutlich sichtbaren Chloroplasten.

Die Astrobiologie ist einer der grundlegendsten Bereiche der heutigen Naturwissenschaft. Sie ist direkt mit der Biologie und der Astronomie verbunden, da sie nicht nur die wesentlichen Probleme über den Ursprung des Lebens und dessen physikalische und chemische Grundlagen und Eigenschaften untersucht, sondern sich auch mit den Grundvorstellungen der Evolution chemischer Stoffe und den Möglichkeiten der Lebensentstehung unter verschiedenen natürlichen Umweltbedingungen und auf verschiedenen Himmelskörpern im Universum beschäftigt. Die ungeheuren Fortschritte in Molekularbiologie, Genetik und Biochemie, die zur Entschlüsselung des Genoms geführt haben, zusammen mit Forschungen in der Astronomie, Astrophysik und Weltraumwissenschaft, die detaillierte Untersuchungen der Körper des Sonnensystems sowie ein Verständnis von deren Entstehung ermöglichten, haben diesen interdisziplinären Forschungsbereich auf eine neue wissenschaftliche Grundlage gestellt. In diesem Zusammenhang ist es äußerst wichtig, die Beziehung zwischen Astrobiologie und Geochemie zu untersuchen, d. h. mit der Wanderung der chemischen Elemente auf dem Planeten und dem Problem des Erscheinens von Leben, welches Wernadskij in direkter Verbindung mit dem Ursprung der Biosphäre betrachtete. Im breiteren Sinne könnte man ohne weiteres eine Wechselwirkung zwischen der Evolution der oberen Schichten des Planeten mit dem Konzept der von Wernadskij begründeten Biogeochemie herstellen, und, wenn es um die Erforschung der Evolution der chemischen Elemente im Weltall geht, auch mit der Kosmochemie (Astrochemie).

Quelle: D. Des Martis, NASA Ames Research Center
Die biologische Uhr der Erde.

In dem Kapitel „Geochemie und die Erforschung des Lebens” (1911), das als Teil seines grundlegenden Werks Die lebensdurchdrungene Hülle unseres Planeten erschienen ist, schreibt Wernadskij:

„Wissenschaftliche Kenntnisse sind voller Formulierungen, die sich aus wissenschaftlichen Vorstellungen über den Menschen und die lebende Natur herleiten, wovon der Mensch ein untrennbarer Bestandteil ist, sowie von der ihn umgebenden lebenden Umwelt, d. h. von dem Teil des Planeten, den wir Biosphäre nennen… Auf Grundlage dieser Kenntnisse dringt der Mensch wissenschaftlich in Bereiche des ihm unbekannten sichtbaren Kosmos oder in die tieferen, unzugänglichen Schichten des von ihm bewohnten Planeten vor. Diese wissenschaftlichen Kenntnisse sind weder in der Tiefe noch in der Vielfalt ihrer Phänomene vergleichbar mit dem, was sich dem Menschen bei seinen Untersuchungen von sich selbst und der Umwelt, in der er lebt, offenbart. Der Fortschritt wissenschaftlicher Kenntnisse ist nicht nur mit der quantitativen Ausdehnung unseres Bildes des Universums, sondern auch mit dessen qualitativen Veränderung verbunden, indem der Mensch seine empirischen Beobachtungsmethoden verbessert und seine mathematische und logische Analyse vertieft. Indem der Mensch dies tut, fügt er zu diesem Bild neben außerirdischen Phänomenen und dem, was tief innerhalb des Planeten vorgeht, sein Wissen hinzu, das er sich aus dem Studium von sich selbst, der lebenden Natur und seiner heimischen Biosphäre bildet.”

Und weiter schreibt er:

„Derzeit verfügt der Mensch über direkte wissenschaftliche Kenntnisse nur von der Biosphäre und von sich selbst und den Lebewesen darin – er kennt wissenschaftlich nur die dünne Außenhülle des Planeten, und all sein Wissen ist damit verbunden. Die Bereiche über oder unter dieser dünnen Hülle bleiben für ihn unzugänglich. Kosmische Phänomene über ihm drücken sich in seinen Sinnesorganen und in der Erschaffung der Biosphäre aus, eines besonderen, durch den Einfluß kosmischer Phänomene erzeugten Teils der Planeten – durch Kräfte außerhalb des Planeten. Die Biosphäre ist das Medium, durch das der Mensch den Kosmos erforscht.”

Mikhail Marow

Das sind Worte von fundamentaler Bedeutung, mit denen zahlreiche Probleme der Welt um uns herum und in ihrer Evolution benannt werden. Wernadskij gab Einblicke in das geochemische Erscheinungsbild und seine Vielfalt, welche durch die verschiedenen morphologischen Klassen von Lebewesen hervorgerufen wird, die für zyklische Massenaustauschprozesse verantwortlich sind. Dies ist auch eng mit dem Problem verbunden, ob der Ursprung des Lebens biogen oder abiogen ist, womit sich Wernadskij eingehend beschäftigt hat.

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