300 Jahre Russische Akademie der Wissenschaften

Am 8. Februar 2024 fand im Kremlpalast in Moskau eine große Gala zum 300. Jahrestag der Gründung der Russischen Akademie der Wissenschaften statt. Der russische Präsident Putin hielt eine wichtige Rede, und viele Wissenschaftler wurden für ihre Leistungen ausgezeichnet, aber es gab auch Theateraufführungen, die die Geschichte der Akademie darstellten, mit Soldaten in Uniformen des 18. Jahrhunderts und einer Verkörperung von Zar Peter dem Großen, dem Gründer der Akademie im Jahr 1724.

Auf Anregung von Gottfried Wilhelm Leibniz wurde die Russische Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg von Zar Peter I. 1724 per Dekret gegründet. Bild: Wikipedia/ Alex ‚Florstein‘ Fedorov
Auf Anregung von Gottfried Wilhelm Leibniz wurde die Russische Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg von Zar Peter I. 1724 per Dekret gegründet. Bild: Wikipedia/ Alex ‚Florstein‘ Fedorov

Die eigentliche Inspiration zur Gründung der Akademie kam von keinem Geringeren als dem berühmten deutschen Philosophen und Naturforscher Gottfried Wilhelm Leibniz, der alles daran setzte, mit Peter dem Großen in Kontakt zu treten, als er von der Europareise des Zaren und dessen neu entdecktem Wunsch, die Wissenschaft in seinem Land zu fördern, erfuhr. Leibniz war der Ansicht, daß die Entwicklung Rußlands durch Zar Peter I. eine Brücke zwischen Europa und China bilden würde, einer Region, mit der Leibniz durch seine umfangreiche Korrespondenz mit dort lebenden Jesuitenmissionaren in Verbindung stand. Leibniz war sich bewußt, daß es in China eine große Kultur mit tiefen Wurzeln gab, von der sowohl Europa als auch Rußland profitieren konnten.

Nach einem Treffen mit Peter I. im Jahr 1711 skizzierte Leibniz eine Reihe von Maßnahmen, die der Zar ergreifen sollte, um Rußland in die Moderne zu führen. Dazu gehörten Pläne für ein Druck- und Verlagswesen, ein Gymnasialsystem und eine Universität, die Entwicklung der Landwirtschaft, die Förderung des Manufakturwesens, das Studium der slawischen Sprachen, die Erforschung der Schwankungen des Magnetfeldes und die Durchführung einer Reihe von Expeditionen in den russischen Fernen Osten, um die riesigen, noch unerforschten Gebiete Rußlands zu kartographieren. Im Mittelpunkt von Leibniz‘ Vorschlag stand die Gründung einer wissenschaftlichen Akademie nach dem Vorbild der französischen Akademie, die Leibniz gut kannte, oder der Berliner Akademie, die er selbst 1700 gegründet hatte. Peter folgte schließlich vielen Vorschlägen von Leibniz mit großer Konsequenz.

Peter I. („der Große“) war von 1682 bis 1725 Herrscher des russischen Reichs. Er führte persönlich viele Reformen durch, die Rußland auf den Weg zu einer modernen Nation brachten, darunter die Gründung der Russischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 1724. Bild: Foto: EIRNS/Stuart Lewis
Zar Peter I. („der Große“) war von 1682 bis 1725 Herrscher des russischen Reichs. Er führte persönlich viele Reformen durch, die Rußland auf den Weg zu einer modernen Nation brachten, darunter die Gründung der Russischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 1724. Bild: Foto: EIRNS/Stuart Lewis

Die Rolle der Wissenschaft für die nationale Entwicklung

Die Planungen für das 300jährige Jubiläum hatten bereits vor Jahren begonnen und werden in diesem Jahr zahlreiche Veranstaltungen in ganz Rußland umfassen. Im Mittelpunkt standen jedoch der Jubiläumstag am 8. Februar, der als Tag der russischen Wissenschaft im Land gefeiert wurde, und die große Gala im Kremlpalast.

Bei der Eröffnungsfeier sang ein Chor die russische Nationalhymne, wobei unmittelbar hinter den Sängern ein riesiges Videobild von Raffaels Die Schule von Athen auf die Bühne projiziert wurde – ein deutlicher Hinweis auf die Ursprünge der russischen Wissenschaft in der Goldenen Renaissance. In seiner Rede lobte Präsident Wladimir Putin die Arbeit der Akademie und wies darauf hin, daß sie in Zukunft eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Landes spielen werde. Interessanterweise verwies er auf die bedeutsame Rolle des berühmten Akademiemitglieds Wladimir Wernadskij, des Begründers der Biogeochemie, in der Geschichte der Akademie. Wernadskij, so Putin, habe verstanden, daß „die unabhängige wissenschaftliche Arbeit in Rußland mit dem Studium unseres Vaterlandes und der Erschließung unserer unendlichen Weiten begann“, also mit den von Leibniz empfohlenen Expeditionen in den Fernen Osten. Die erste Kamtschatka-Expedition, die Peter I. 1724, im Gründungsjahr der Akademie, in Auftrag gegeben hatte, wurde von dem dänischen Marineoffizier in russischen Diensten Vitus Bering, auch „Kolumbus des Zaren“ genannt, geleitet.

Putin verwies auch auf einen anderen Bereich von Wernadskijs Schaffen – seinen Vorschlag von 1915, eine Kommission zur Untersuchung der Produktivkräfte Rußlands einzurichten. Als Rußland durch den Ersten Weltkrieg vom Westen her abgeschnitten war, hatte Wernadskij angeregt, Expeditionen zu entsenden, um die enormen Ressourcen im Hinterland Rußlands zu kartieren, die dann genutzt werden könnten, um der Kriegsblockade entgegenzuwirken. Putin wies darauf hin, daß dies ein Modell für seine gegenwärtige Politik sei, die Ressourcen Sibiriens und des Fernen Ostens zu erschließen, um sich den gegenwärtigen westlichen Sanktionen zu entziehen.

Zahlreiche Wissenschaftler erinnerten an die ruhmreiche Geschichte der Akademie. Viele von ihnen wurden während der Zeremonie ausgezeichnet, darunter einige junge Wissenschaftler, die kreative Beiträge in ihren Fachgebieten geleistet haben. Im Rahmen der Veranstaltung wurde auch des 190. Geburtstags des großen russischen Forschers Dmitri Mendelejew, des Entdeckers des Periodensystems der Elemente, gedacht.

Der Ausplünderungspolitik trotzen

Die Russische Akademie der Wissenschaften hat seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sehr schwierige Zeiten durchlebt. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch 1991 wurde Rußland der „Wild-West“-Kapitalismus aufgezwungen, der einen Großteil der in der Sowjetzeit aufgebauten materiellen Wirtschaft zerstörte. Die Akademie verlor viele ihrer Funktionen und wurde weitgehend dezimiert, während viele Wissenschaftler in den Westen emigrierten, weil sie in der zerschlagenen und an ausländische Meistbietende verkauften Industrie keine Arbeit mehr fanden. Dieser Wissensverlust hat der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit Rußlands schweren Schaden zugefügt.

Doch Rußland hat sich allmählich aus dieser Talsohle herausgearbeitet, und die jüngsten Maßnahmen der Regierung Putin, die Rolle der Akademie im Rahmen einer neuen Anstrengung zur Entwicklung Sibiriens zu stärken, haben diesen Prozeß weiter beschleunigt. Auch haben sich die Beziehungen Rußlands zu den Ländern des globalen Südens und insbesondere zu seinem wichtigsten Nachbarn China deutlich intensiviert, während der kollektive Westen versucht, Rußland wegen des Ukraine-Krieges zu „isolieren“.

Wladimir Putin (links) im Gespräch mit Gennadi Krasnikow (rechts), Präsident der Russischen Akademie der Wissenschaften am 30. Januar 2024. Bild: kremlin.ru
Wladimir Putin (links) im Gespräch mit Gennadi Krasnikow (rechts), Präsident der Russischen Akademie der Wissenschaften am 30. Januar 2024. Bild: kremlin.ru

In seiner Rede sagte Putin, daß die Akademie nun mehr Mittel erhalte und er die finanzielle Unterstützung für Wissenschaftler erhöht habe.((Putin wörtlich: „In diesem Jahr sind die Haushaltsmittel zur Finanzierung der Akademie der Wissenschaften im Vergleich zum Vorjahr um fast ein Drittel auf fast sechs Milliarden Rubel gestiegen. Auch die monatlichen Zahlungen an Akademiker und korrespondierende Mitglieder wurden um 50 Prozent erhöht. Ich denke, das ist nicht genug. Ich schlage hier eine andere Lösung vor, nämlich die Verdoppelung dieser Zahlungen im Vergleich zu 2023. Ich kann Ihnen hier im Saal die Zahlen nennen. Ein Akademiker wird 200.000 Rubel pro Monat erhalten, ein korrespondierendes Mitglied 100.000 Rubel.“)) Es sei auch notwendig, „die Rolle der Akademie bei der Entwicklung und Koordinierung der Grundlagenforschung zu stärken und die wissenschaftliche und methodische Beratung der Forschungszentren und Universitäten unseres Landes durch die Akademie deutlich zu verbessern. Sie müssen den hohen Standards unserer Zeit, den Standards des 21. Jahrhunderts und der Geschwindigkeit des technologischen Wandels in der Welt entsprechen.“

Seit den schwierigen Zeiten der 1990er Jahre, von den Akademikern „Zeit der Unruhen“ genannt, war Rußland ständig gezwungen, seinen Bedarf, insbesondere an Hochtechnologiegütern, auf dem „globalen Supermarkt“ zu decken, wie Gennadi Krasnikow, Präsident der Akademie, es nannte. Nachdem der Westen Rußland von diesem Markt abgeschnitten hat, werde Rußland diese Güter nun selbst produzieren und eine eigene „technologische Souveränität“ erlangen.

Die Akademie wird nach dem Willen Putins noch stärker in die Entwicklung des Landes eingebunden, vor allem bei Entwicklungsprojekten, aber auch in den Bereichen Verkehr, Verteidigung, Medizin, Bildung und darüber hinaus. Als Zeichen dieser Einbindung ernannte Putin Krasnikow zum Mitglied des russischen Sicherheitsrates und rückte damit die Akademie näher an die Entscheidungsprozesse der Regierung heran.

Die Akademie hat schon immer internationale Beziehungen gepflegt. In ihren Anfängen war sie auf die Unterstützung ausländischer Wissenschaftler angewiesen, wobei Persönlichkeiten wie Daniel Bernoulli, Leonhard Euler und Joseph-Nicolas Delisle eine wichtige Rolle spielten, bis russische Forscher wie Michail Lomonossow in hohe Positionen aufstiegen. Interessant ist hierbei auch die Begegnung von Benjamin Franklin und Ekaterina Daschkowa, der ersten weiblichen Präsidentin der Akademie, 1782 in Paris, wonach zuerst Franklin Daschkowa zum Mitglied der American Philosophical Society einlud und anschließend Daschkowa Franklin zum Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften ernannte. Heute hat die Akademie 144 nicht-russische Mitglieder aus 55 Ländern.

Der russische Präsident Wladimir Putin spricht zu den Gästen der Gala zum 300. Jahrestag der Gründung der Russischen Akademie der Wissenschaften am 8. Februar 2024. Bild: kremlin.ru
Der russische Präsident Wladimir Putin spricht zu den Gästen der Gala zum 300. Jahrestag der Gründung der Russischen Akademie der Wissenschaften am 8. Februar 2024. Bild: kremlin.ru

Was Leibniz im Sinn hatte, wird heute auf globaler Ebene mit der Entwicklung der Beziehungen zwischen Rußland und China und dem Aufstieg des globalen Südens immer mehr zur Realität. Leider ist unter den westlichen Nationen der Geist von Leibniz und seiner „Gemeinschaft der Völker“ fast verschwunden, und der brutale Geist des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) ist zum vorherrschenden Element des westlichen Denkens geworden. Wissenschaft ist von Natur aus aber universell. Eine Entdeckung, die irgendwo auf der Welt von einem Einzelnen gemacht wird, kann den Menschen überall zugute kommen. Umgekehrt schadet der Versuch, den wissenschaftlichen Austausch einzuschränken, der gesamten Menschheit.

Es ist zu hoffen, daß die Schrecken, die der anhaltende Krieg der NATO in der Ukraine und der völkermörderische Krieg Israels in Gaza verursacht haben, die Menschen im Westen wieder auf die wahren Wurzeln ihrer eigenen Zivilisation zurückführen, die auf der Goldenen Renaissance des 15. Jahrhunderts basiert. Diese Tradition ist sowohl in China als auch in Rußland sehr lebendig, wo das Werk von großen Denkern heute öffentlich gefeiert wird. Nur wenn sich der Westen dieser Tatsache wieder bewußt wird, können wir das erreichen, was Leibniz wollte: eine echte Gemeinschaft von Nationen, die für die gemeinsamen Interessen der Menschheit zusammenarbeiten.

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

Unsere Datenschutzerklärung