Weltweite Aufbruchstimmung mit der Neuen Seidenstraße! Welche Rolle spielt Deutschland?

Moderator: Ich freue mich, heute die Präsidentin des internationalen Schiller-Instituts hier zu haben. Nachdem wir heute morgen schon einiges über das chinesische Raumfahrtprogramm gehört haben, werden wir jetzt, so denke ich, von Helga einen noch größeren Überblick darüber bekommen, was die Welt in den nächsten Monaten zu erwarten hat.


Die Schönheit der chinesischen Musik((Unmittelbar vor Beginn des Vortrages hatte Feride Istogu-Gillesberg ein chinesisches Liebeslied vorgetragen.)) hat uns, glaube ich, wohl gestimmt, Krafft Ehrickes 100. Geburtstag zu gedenken und auch zu feiern. Denn Krafft Ehricke ist ohne Zweifel – das ist zumindest meine bescheidene Meinung – einer der größten Deutschen, die jemals gelebt haben. Denn er hat eine Vision entwickelt, wo die Menschheit hingelangen kann, und ich betrachte es als ein sehr großes Privileg, daß ich ihn persönlich kennenlernen durfte. Ich hatte 1982 die Chance, mit ihm gemeinsam in verschiedenen Städten in Deutschland einige Vorträge zu halten, und ich kann das Bild, das seine Tochter so ungeheuer liebevoll gezeichnet hat,((Zuvor war eine Grußbotschaft von Krafft Ehrickes Tocher Krista Ehricke an die Konferenz verlesen worden.)) aus eigener Anschauung bestätigen: Er war ein un-glaublich humanistischer Mensch, enorm gebildet in der klassischen Kultur, er war ein Genie, er war so sprudelnd voller Ideen, daß es wirklich eine der Sternstunden des Lebens ist, eine solche Persönlichkeit kennenzulernen. Und ich möchte Sie alle ermuntern: Es gibt zum Glück noch einige Videopräsentationen von ihm, die im Internet zu sehen sind, und ich möchte Sie alle dazu motivieren, daß Sie sich selber mit ihm bekannt machen.((Siehe „Krafft Ehricke zum extraterrestrischen Imperativ“, https://www.youtube.com/watch?v=9UznFryY9s und „Krafft Ehricke: Lunar Industrialization & Settlement – Birth of Polyglobal Civilization“, https://www.youtube.com/watch?v=-ZuSnPgHnjs))

Ich bin auch sicher, daß Krafft Ehricke, wenn er heute hier wäre bzw. in unserer Zeit heute lebte, unglaublich optimistisch wäre, daß seine Vision, die zu seinen Lebzeiten oftmals bekämpft wurde – nicht nur seine Lebensvision, sondern überhaupt die Fortführung der Raumfahrt hatte mit großen Widersprüchen und Widerborstigkeiten zu kämpfen –, verwirklicht wird. Er würde erkennen, daß wir heute die strategische Konstellation haben, die die Realisierung seiner Vision in greifbare Nähe bringt.

Es wurde schon über das chinesische Raumfahrtprogramm gesprochen, das vielleicht jetzt schon der „Frosch“ ist,((Jacqueline Myrrhe hatte zuvor in ihrem Vortrag über die Entwicklung des chinesischen Weltraumprogramms die Frage gestellt, ob dieses eher dem Hasen oder dem Igel gleiche, und es am Ende mit dem Frosch verglichen, der sich mit großen Sprüngen seinem Ziel nähert.)) denn die Chinesen haben die Vision, Helium-3 auf dem Mond abzubauen, um es für die zukünftige Kernfusionsökonomie auf der Erde zu nutzen. Das wird zwar auch bei der ESA diskutiert, aber ich glaube, daß China die meisten Forscher und Wissenschaftler im Bereich der Raumfahrt weltweit ausbildet, und deshalb bin ich optimistisch, daß dieses „leapfrogging“, also diese Froschsprünge, durchaus weitergehen werden.

Man muß auch die Zusammenarbeit der BRICS-Staaten im Bereich der Raumfahrt sehen: Indien und seine erfolgreichen Mars-Missionen wurden bereits erwähnt, die, wie Ministerpräsident Modi sagte, nur ein Zehntel der Kosten erfordert haben, die die NASA dafür gebraucht hat. Es sind also unglaubliche Entwicklungen im Gang.

Die Idee von Krafft Ehricke, daß die Erforschung und Besiedelung des Weltraums eine evolutionäre Notwendigkeit ist, ohne die die Menschheit nicht auf Dauer existieren kann, das ist der andere Punkt. Das ist keine Option unter vielen, keine beliebige Sache, sondern wir müssen es tun, weil spätestens in zwei Milliarden Jahren die Sonne nicht mehr so gemütlich scheinen wird. Bis dahin müssen wir also andere Lösungen gefunden haben.

Aber das wichtigste an Krafft Ehricke, warum er so ungeheuer modern und ungeheuer wichtig ist: Seine Vision, und natürlich die Raumfahrt insgesamt, impliziert die Idee einer offenen Welt – daß die Welt eben kein geschlossenes System mit begrenzten Ressourcen ist, sondern ein integraler Teil des Universums, und daß die menschliche Kreativität in diesem Universum eine gestaltende, physische Kraft ist.

Epochenwechsel

Ich behaupte, daß wir gerade jetzt einen Epochenwechsel erleben, in welchem diese Idee sich durchzusetzen beginnt, d.h. es ist eine weltanschauliche Revolution im Gang. Man hat davon bestimmt noch nichts mitbekommen, wenn man nur den „Sonntags-Stammtisch“ im Bayerischen Rundfunk schaut oder die BILD-Zeitung oder den Spiegel oder die FAZ liest, das heißt aber nicht, daß die Realität nicht so ist. Meine These ist, daß wir uns im Augenblick inmitten eines Epochenwandels befinden, der nicht weniger fundamental ist als der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Man muß sich nur die Axiomatik des Mittelalters vergegenwärtigen: Diese bestand aus der Scholastik, den Peripatetikern, aus Aberglauben und ähnlichen Axiomen, die dann durch die italienische Renaissance im 15. Jahrhundert, durch Denker wie Nikolaus von Kues, Brunelleschi u. a. aufgebrochen wurden. Durch die Renaissance wurde das gesamte Platon-Werk, das 1700 Jahre in Europa total vergessen gewesen war, wiederentdeckt.

Damit entstand ein völlig neues Weltbild, in dem das Individuum, die Rolle des Menschen, vollkommen anders definiert wurde, aber auch die Grundlagen für die Entstehung der modernen Naturwissenschaft, der klassischen Kunst, des souveränen Staates und ähnlicher Entwicklungen wurden geschaffen, von denen wir in den letzten 600 Jahren gezehrt haben.

Einen solchen oder vielleicht noch dramatischeren Epochenwandel erleben wir gerade jetzt, und ich wage die Prognose, daß alle Axiome, die mit diesem alten Paradigma zu tun haben – wie die Idee der Grenzen des Wachstums, die neoliberale Idee, daß Geld das gleiche sei wie Reichtum, daß der Mensch eigentlich nur eine Belastung für die Umwelt darstellt und je weniger Menschen da sind, um so besser, die neokonservative Idee der Geopolitik, daß Außenpolitik immer ein Nullsummenspiel sein müsse, worin, wenn der eine gewinnt, der andere verliert – sehr bald in der Mülltonne der Geschichte landen und einem neuen Paradigma Platz machen werden, nämlich dem Ideal der geeinten Menschheit. Die Menschheit, zumindest in großen Teilen, ist dabei, eine gemeinsame Ebene der Vernunft zu etablieren, auf der vor den nationalen Interessen die gemeinsamen Ziele der Menschheit definiert werden.

Es gibt im Augenblick zwei wesentliche Dynamiken, in denen sich diese neue Sicht der Dinge zu verwirklichen beginnt.

Die eine ist Chinas Politik der Neuen Seidenstraße. Schon jetzt, nach dreieinhalb Jahren, ist dies das größte Infrastrukturprogramm in der Geschichte der Menschheit, das 70 Nationen und 4,5 Milliarden Menschen umfaßt. Es ist schon jetzt zwölfmal so groß wie der Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg, und es ist unbegrenzt in seinem Wachstum.

Dieses neue Paradigma der „One Belt, One Road“-Initiative oder der Neuen Seidenstraße hat schon jetzt bei vielen Völkern in der Welt einen beispiellosen Optimismus ausgelöst, z. B. in Afrika, wo die Menschen zum ersten Mal die berechtigte Hoffnung haben, daß sie mit der Hilfe Chinas ihre Unterentwicklung bald überwinden können.

Dieses neue Paradigma, das auf einer Win-Win-Kooperation basiert, bei der der eine Partner – China – zwar Vorteile hat, aber die anderen, kooperierenden Staaten ebenso, ist langfristig die Basis für einen dauerhaften Weltfrieden, eben gerade deshalb, weil es im Interesse eines jeden Staates ist, daß sich die anderen auch entwickeln, weil sonst die eigene Entwicklung gefährdet ist.

Die neue US-Präsidentschaft

Aber es gibt noch eine zweite Dynamik, die zu diesem Optimismus Anlaß gibt – und das wird jetzt einige überraschen und einige werden mir vielleicht nicht sofort zustimmen, aber ich bitte dabei um etwas Geduld, wenn ich mich jetzt einmal in die Niederungen der amerikanischen Politik begeben muß. Die zweite Dynamik ist der Wahlsieg von Donald Trump. Ich möchte Sie wirklich bitten, erst einmal alles zu vergessen, was Sie jemals in der BILD-Zeitung gelesen haben, denn alle diese Berichte dort sind psychologische Kriegführung, schwarze Propaganda, wie sie eigentlich nur in Kriegszeiten gegen den Feind angewendet wird. Die Repräsentanten des untergehenden neoliberalen Paradigmas – die Medien, die Geheimdienste und das Britische Empire – führen einen totalen Krieg gegen Präsident Trump.

Ich möchte nur einige Aspekte seiner jüngsten Reden erwähnen, die er in Detroit, in Tennessee, Kentucky und Washington gehalten hat. Darin hat er ganz emphatisch dazu aufgerufen, daß die USA zum Amerikanischen System der Ökonomie zurückkehren sollen. Insbesondere hat er den ersten republikanischen Präsidenten Lincoln zitiert, der schon 1832 mit 23 Jahren in seiner Wahlkampagne für den Kongreß für den Bau einer Eisenbahn in Amerika warb, ohne daß er jemals auch nur eine Dampfmaschine zu Gesicht bekommen hatte. 30 Jahre später hat er dann als Präsident das Gesetz für die Transkontinentale Eisenbahn unterzeichnet, die die Ostküste und die Westküste [der Vereinigten Staaten] miteinander verbinden sollte.

In ähnlicher Weise zitierte Trump auch Präsident Eisenhower, der als Offizier nach dem Ersten Weltkrieg in einem Militärkonvoi den Lincoln Highway entlang gefahren war, was einen so großen Eindruck auf ihn machte, daß er ebenfalls 30 Jahre später als Präsident das Gesetz für das Interstate Highway System unterschrieb. Und dann sagte Trump: Wir brauchen heute wieder das Amerikanische System, die Politik von George Washington, Alexander Hamilton, Henry Clay und Lincoln.

Den meisten heute ist nicht bekannt, was dieses Amerikanische System ist – es war die Gründungsidee Amerikas gegen das Britische Empire.

Trump erwähnte außerdem, daß er eine Billion Dollar in die Infrastruktur investieren, daß er keine Interventionskriege wie Bush und Obama mehr führen, daß er die Beziehungen zu Rußland und China auf Kooperation und Zusammenarbeit stellen will, und ähnliches mehr. Über Ziele wie Frieden mit Rußland und China sollte doch jeder in Deutschland eigentlich froh sein und sagen, endlich gibt es eine Hoffnung, daß die Kriegsgefahr überwunden werden kann!

Woher kommt aber dann diese unglaubliche Aufregung? Woher kommt es, daß sich das gesamte Establishment in einem Schockzustand befindet? Vier Monate nach Trumps Wahl findet immer noch ein von Hillary Clinton, von der Demokratischen Partei und von den Neocons geführter öffentlicher Krieg darüber statt, warum Hillary Clinton die Wahl verloren hat. Dabei geht es nicht darum, daß sie die Wahl verloren hat, weil sie das alte Paradigma repräsentiert, das einen Großteil der Menschen in Amerika abschreibt, und sie einfach zu arrogant war, sich zu den „Bedauerungswürdigen“ im amerikanischen Rostgürtel zu begeben. Nein, es wurde die „Narrative“ ausgegeben, daß Trump die Wahl gewann, weil Putin ihm dazu verholfen habe, daß russische Hacker die E-Mails der Demokratischen Partei manipuliert hätten.

Darüber geht natürlich verloren, was in diesen fraglichen E-Mails eigentlich stand, daß nämlich die Demokratische Partei den zweiten demokratischen Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders benachteiligt und Hillary Clinton völlig illegal bevorzugt hat. Auch die Rede, die Hillary vor den Wall-Street-Banken gehalten hat, wurde dadurch überhaupt erst bekannt.

Mir hat vor wenigen Tagen ein führender Journalist von einem öffentlich-rechtlichen Sender gesagt, daß es intern die Parole gebe, keine Sendung über Trump dürfe anmoderiert werden ohne eine abfällige Bemerkung.

Woher kommt diese ganze Dynamik? Ist es so, wie der französische Geheimdienst nach der Wahl Trumps vermutete, daß das alte Establishment Angst hat, seine Privilegien zu verlieren und damit natürlich seinen Einfluß? Oder gibt es eine tiefere Dynamik? Ich bin der zweiten Auffassung, daß es bei diesem Konflikt um das geht, was der deutsche Ökonom Friedrich List, der einige Jahre in Amerika verbracht hat, damals als die Auseinandersetzung zwischen dem „Britischen System der Ökonomie“ und dem „Amerikanischen System der Ökonomie“ bezeichnet hat.

Das englische System basiert auf Freihandel, billig Einkaufen, teuer Verkaufen, Kontrolle von Rohstoffen, möglichst billigen Arbeitskräften, möglichst wenig Sozialausgaben, Kontrolle des Handels. Demgegenüber geht das Amerikanische System, das wesentlich auf Alexander Hamilton beruht, von der Idee aus, daß die einzige Quelle des Reichtums die Kreativität der Arbeitskraft ist. Deshalb sei es notwendig, den Binnenmarkt mit protektionistischen Maßnahmen zu schützen, um die Entwicklung der eigenen Arbeitskraft zu maximieren. Dazu gehören auch die von Alexander Hamilton geschaffene Nationalbank und ein dem Gemeinwohl verpflichtetes Kreditsystem, Investitionen in die Realwirtschaft wie z.B. Infrastruktur sowie Investitionen in den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt, mit dem Ziel der Steigerung der Produktivität.

Das ist exakt die Politik, die von George Washington, Alexander Hamilton, John Quincy Adams, Lincoln und Franklin D. Roosevelt verwirklicht wurde und auf die sich Trump jetzt explizit bezieht.

Man sollte sich daran erinnern: Die Amerikanische Revolution bzw. der amerikanische Unabhängigkeitskrieg wurde ja gegen das Britische Empire geführt mit dem Ziel, sich das Recht auf die eigene Manufaktur zu sichern, was die Kolonialherren damals den neuen Kolonien verweigerten. Und das Britische Empire hat den Verlust seiner wichtigsten Kolonie, nämlich Amerika, nie verwunden, sondern hat immer mit allen Mitteln versucht, diesen Vorgang rückgängig zu machen – erst militärisch durch den Krieg von 1812, dann durch den Bürgerkrieg gegen Lincoln, bei dem England bzw. Großbritannien mit den Südstaaten alliiert war, die es auch finanzierte. General Lee etwa bezog direkt Gelder über Banken in Boston und Philadelphia.

Nachdem der Bürgerkrieg gegen Lincoln verloren war und die Kolonien nicht mehr militärisch zurückgewonnen werden konnten, verlegte sich London darauf, es jetzt mit Subversion zu versuchen oder, anders ausgedrückt, mit der „Offenen Verschwörung“, wie H. G. Wells das genannt hat. Das amerikanische Establishment mußte davon überzeugt werden, mit Großbritannien auf der Basis der „anglo-amerikanischen Sonderbeziehung“ eine unipolare Welt zu errichten – ein World Empire. Genau das war die Absprache zwischen Churchill und Truman, zwischen Bush senior und Thatcher, Blair und Bush, Cameron und Obama.

In Deutschland ist diese Thematik ebenso wenig bekannt wie die Tatsache, daß Bismarck auf der Basis des Amerikanischen Systems der Ökonomie Deutschland innerhalb weniger Jahre von einem Feudalstaat zu einer Industrienation entwickelt hat, weil er damals von den Theorien Henry C. Careys erfahren hatte. Auch der damalige Vorsitzende des deutschen Industrieverbandes (Centralverband Deutscher Industrieller), Wilhelm von Kardorff, war ein glühender Anhänger von Friedrich List und Henry Carey, und er nahm das Beispiel der amerikanischen Industrialisierung unter Lincoln zum Vorbild für die Verwandlung von Deutschland. Er schrieb damals ein kleines, aber sehr lesenswertes Buch mit dem Titel Gegen den Strom, worin die Unterschiede zwischen dem Amerikanischen und dem Britischen System sehr gut erklärt sind.

Die Neue Seidenstraße

Die Neue Seidenstraße wird die Dynamik sein, wenn Amerika zu seinen Wurzeln zurückkehrt und vor allen Dingen das Verhältnis zu Rußland und China auf eine gute Basis stellt. Dann ist im Grunde alles möglich. Das Potential dafür ist absolut da, denn die Neue Seidenstraße ist keineswegs nur eine Verbindung von Chongqing nach Duisburg oder von Yiwu nach Hamburg, sondern viel mehr ist in der Planung.

Wir selbst sind dabei kein passiver Zuschauer, sondern wir erheben schon den Anspruch, daß die Neue Seidenstraße auch unser „Baby“ ist. Denn das ist die Konzeption, die wir nach dem Kollaps der Sowjetunion 1991 vorgeschlagen haben und an der wir die letzten 26 Jahre gearbeitet haben (Abbildung 1).

Abbildung 1. Die Infrastrukturkorridore der vom Schiller-Institut vorgeschlagenen Weltlandbrücke.

Die Neue Seidenstraße wird zur Weltlandbrücke – das ist der Name einer Studie, die wir inzwischen auf Englisch, Arabisch und Chinesisch veröffentlicht haben und die sehr bald auch auf Deutsch erscheinen wird. Und wenn man sich jetzt anschaut, wie sich das Konzept, das Xi Jinping 2013 zum ersten Mal in Kasachstan als Idee und Programm präsentiert hat, in den letzten dreieinhalb Jahren explosionsartig ausbreitet, dann sieht man, welch riesige Transformation stattfindet.

Zu der Neuen Seidenstraße gehört auch die „Maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts“ (Abbildung 2) in der Tradition von Admiral Zheng He, der im 15. Jahrhundert schon Reisen nach Venedig, nach Afrika und in den asiatischen Pazifik unternommen hat. Heute verbindet die Maritime Seidenstraße die Häfen aller dieser asiatischen Staaten miteinander und führt weiter bis nach Hamburg und Rotterdam. Zur Neuen Seidenstraße gehören inzwischen sechs Wirtschaftskorridore, über 70 Nationen mit 4,4 Milliarden Menschen sind an ihr beteiligt, und insgesamt sind 21 Billionen Dollar an Investitionen geplant.

Abbildung 2. Die Korridore der Gürtel- und Straßen-Initiative zur See und auf dem Land.

Die verschiedenen Korridore wachsen mit großer Geschwindigkeit. Dies (Abbildung 3) ist ein Abkommen zwischen China, der Mongolei und Rußland; es wurde beim Treffen der Shanghai Cooperation Organization (SCO) 2016 beschlossen und umfaßt 32 Projekte. Dies (Abbildung 4) sind die inzwischen zum Teil täglich stattfindenden Seidenstraßen-Züge von verschiedenen chinesischen Städten, von Yiwu, Xi’an, Chongqing und verschiedenen anderen nach Duisburg, Lyon, Hamburg, Rotterdam. Inzwischen fährt täglich ein Zug von Chongqing nach Europa.

Abbildung 3. Der Wirtschaftskorridor China-Mongolei-Rußland.
Abbildung 4. Die bereits bestehenden Strecken der „Eisernen Seidenstraße“, auf denen regelmäßig – zum Teil täglich – Güterzüge zwischen China und Europa verkehren.
Abbildung 5. Der Wirtschaftskorridor China-Zentral- und Westasien entlang der historischen Seidenstraße.
Abbildung 6. Der Wirtschaftskorridor Bangladesh-China-Indien-Myanmar.

Dies (Abbildung 5) war die ursprüngliche Idee, China mit den zentral- und westasiatischen Staaten zu verbinden, dies (Abbildung 6) ist ein Korridor durch Bangladesch, Indien, China und Myanmar, der eine völlige Transformation dieser Region der Welt bedeutet, und dies (Abbildung 7) ist die neue Eurasische Landbrücke.

Abbildung 7. Die Neue Eurasische Landbrücke.

Für Afrika ist diese Entwicklung ein absolutes Novum, denn die Banken, die von China und den BRICS-Staaten gegründet wurden, haben das explizite Ziel, den Mangel an Infrastrukturinvestitionen, der in den letzten Jahrzehnten von IWF, Weltbank usw. verursacht worden war, zu kompensieren. Die Kredite dieser Banken dienen ausschließlich für Investitionen in Infrastruktur und nicht für Spekulationen.

Vor etwa vier Wochen wurde in Äthiopien eine erste Eisenbahnlinie – von Addis Abeba nach Dschibuti – in Betrieb genommen. Sie war eigentlich schon im letzten Herbst fertig, aber es wurden jetzt noch zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen eingebaut. Inzwischen ist eine weitere Bahnstrecke im Bau, von Ruanda nach Uganda bis zum Kongo.

Das hier (Abbildung 8) ist das Transaqua-Projekt, für das sich Lyndon LaRouche und das Schiller-Institut schon seit 40 Jahren einsetzen. Es wurde ursprünglich von italienischen Ingenieuren entwickelt und wäre geeignet, das Austrocknen des Tschadsees umzukehren. Der Tschadsee ist nämlich bis auf 10 % seiner ursprünglichen Wassermenge geschrumpft. Die Idee dabei ist, die ungenutzten Wassermengen aus der Kongoregion – nicht direkt aus dem Kongo-Fluß, sondern aus seinen Zuflüssen in etwa 500 m Höhe – durch ein Fluß- und Kanalsystem zum Tschadsee umzuleiten und damit in zwölf Anrainerstaaten die Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen zu ermöglichen, schiffbare Flußsysteme zu schaffen und so die Industrialisierung Afrikas voranzutreiben. Die Machbarkeit dieses Projekts wird jetzt erstmals durch den chinesischen Konzern Power China geprüft, die gleiche Firma, die auch den Drei-Schluchten-Damm gebaut hat. Das könnte sehr bald dazu führen, daß pro Jahr 100 Mrd. m3 Wasser in den Tschadsee fließen.

Abbildung 8. Das von dem italienischen Ingenieurbüro Bonifica ausgearbeitete Transaqua-Projekt soll das Austrocknen des Tschadsees rückgängig machen. Die Machbarkeit wird jetzt vom chinesischen Wasserbaukonzern Power China geprüft.

Abbildung 9 zeigt das Gesamtprogramm für Südamerika. Die blaue Linie ist ein Projekt, das Lyndon LaRouche schon Ende der 1970er Jahre zusammen mit Lopez Portillo, dem damaligen Präsidenten von Mexiko, besprochen hatte, das aber damals durch die Sabotage von Brasilien und Argentinien nicht vollendet wurde. Heute gehört aber diese „Biozeanische Eisenbahn“ nach Peru zum Netzwerk der Neuen Seidenstraße. Ein positiver Punkt dabei ist, daß sich auch Deutschland jetzt zum ersten Mal am Ausbau einer Bahnstrecke über Bolivien mit Investitionen beteiligen will – ein kleiner Lichtblick.

Die Gesamtkonzeption der Neuen Seidenstraße hat in den letzten sechs Monaten explosionsartig zugenommen. Am Anfang war Rußland noch sehr skeptisch gegenüber der Neuen Seidenstraße; auch die zentralasiatischen Staaten waren skeptisch oder hatten Einwände: Sollen die Bahnstrecken von West nach Ost oder von Nord nach Süd gebaut werden? Inzwischen hat sich das alles aber in Wohlgefallen aufgelöst. Am 2. und 3. September vorigen Jahres hat auf dem großen Wirtschaftsforum in Wladiwostok die Integration der Neuen Seidenstraße mit der Eurasischen Wirtschaftsunion stattgefunden; auch Japan hat sich mit riesigen Investitionen im Fernen Osten Rußlands hinzugesellt. Dieser Prozeß ging weiter auf dem G20-Gipfel in Hangzhou Anfang September 2016, und dann auf dem ASEAN-Treffen in Laos.

Abbildung 9. Die Ende der 1970er Jahre von Lyndon LaRouche vorgeschlagenen Infrastrukturkorridore für Lateinamerika (blau) und die heute von China vorgeschlagenen Projekte (rot).

China hat in diesem Prozeß die klare Führung übernommen. Schon auf dem G20-Gipfel wurde gesagt, daß China ab sofort die Weltwirtschaft auf Innovation gründen und die Entwicklungsländer an den wissenschaftlichen und technologischen Durchbrüchen beteiligen wolle, um deren Entwicklung nicht länger aufzuhalten. China hat es zur Absicht erklärt, die Armut auf dem ganzen Planeten bis zum Jahr 2025 zu überwinden.

Ein weiterer Schritt erfolgte auf dem APEC-Treffen in Lima im November letzten Jahres. Inzwischen ist sogar auch einigen (westlichen) Denkfabriken klar geworden, daß die bisherige negative Haltung nicht mehr angebracht ist. Z. B. hat PricewaterhouseCooper eine umfangreiche Studie vorgelegt, worin es heißt, daß die chinesische Wirtschaft inzwischen längst die Lokomotive der Weltwirtschaft sei und das auch so bleiben werde. Auch im Magazin Forbes sind über sieben relativ objektive Artikel über die ganzen Seidenstraßen-Projekte erschienen. Es setzt sich offenbar immer mehr die Einsicht durch, daß eine Dynamik entstanden ist, die nicht mehr aufgehalten werden kann.

Am 6.–7. April hat jetzt Präsident Trump Präsident Xi Jinping auf sein Anwesen nach Mar-a-Lago in Florida eingeladen, und alles spricht dafür, daß die Chinesen große Investitionen in den Aufbau der Infrastruktur in Amerika machen werden. Auf einer Konferenz in Hongkong haben chinesische Ökonomen mitgeteilt, der Bedarf in Amerika für Infrastruktur sei nicht eine Billion, sondern acht Billionen Dollar. Auch Japan hat schon gesagt, sich dort mit 150 Mrd. Dollar an einem Ausbau von Schnellbahnen beteiligen zu wollen. China hat mehrfach gesagt – erst kürzlich durch (die Vizeaußenministerin) Madame Fu Ying, praktisch die wichtigste Frau in China –, daß die Seidenstraße die Brücke zwischen der amerikanischen Infrastrukturentwicklung und der eurasischen Seidenstraße werden kann. Es sind also sehr, sehr hoffnungsvolle Dinge im Gang.

Eine Frage des Menschenbilds

Warum ist das so ungeheuer wichtig? Die gesamte transatlantische Welt war in den letzten Jahrzehnten vom Paradigma eines geschlossenen Systems und Nullwachstum dominiert.

Doch gehen wir noch einen Schritt zurück: In den 1950er und 1960er Jahren galt es als vollkommen selbstverständlich, daß die Armut in der Dritten Welt irgendwann einmal überwunden werden würde. Es gab damals die UN-Entwicklungsdekaden, wo man alle zehn Jahre festsetzen wollte, wieviel man erreicht hat und wieviel man in den nächsten zehn Jahren erreichen müßte, um schließlich die Armut, die Unterentwicklung auf diesem Planeten vollkommen zu eliminieren.

Diese normale, menschliche Orientierung wurde dann aber durch eine ganze Reihe von Propagandamaßnahmen unterbrochen. Die vielleicht gravierendste war die Veröffentlichung der Studie Grenzen des Wachstums 1972 durch den Club of Rome. Die Autoren Forrester und Meadows hatten darin mit einem Computermodell einfach ein erwünschtes Ergebnis festgesetzt und dann das Programm so eingerichtet, daß genau das gewünschte Ergebnis herauskam. Das war von vornherein ein völliger Schwindel, denn sie haben in ihren linearen mathematischen Gleichungen die Idee des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts und die dadurch bedingte Neubestimmung dessen, was Rohstoffe und neue Produktionsmethoden sind, vollkommen außer Acht gelassen.

Diese Studie wurde mit großem Propagandaaufwand in alle Sprachen übersetzt und in Umlauf gebracht. Die Grundidee dahinter war: Bis 1971 habe sich die Welt entwickelt, doch jetzt sei ein Gleichgewicht erreicht, dem wir uns asymptotisch annähern. Die Folge sei, man müsse jetzt „nachhaltig“ wirtschaften, d. h. man müsse sparen, vor allem Energie, und es gebe keinen technologischen Fortschritt mehr, sondern nur noch „angemessene Technologie“, was übersetzt heißt: gar keine Technologie.

Damit einher ging auch die Idee, daß wir ein erdgebundenes System seien und Überbevölkerung das größte Problem sei. Der Mensch sei eigentlich nur ein Parasit, der die Umwelt belaste, und je weniger Menschen es gebe, desto besser.

Ganz neu waren diese Ideen allerdings nicht, denn dagegen hatte sich implizit schon die Amerikanische Revolution gerichtet. Benjamin Franklin hatte 1751 ein Essay mit dem Titel „Beobachtungen bezüglich des Bevölkerungswachstums“((“Observations Concerning the Increase of Mankind, Peopling of Countries, etc.“, Philadelphia 1751.)) geschrieben, worin er argumentierte: Je mehr Menschen es gebe, desto besser, denn jeder Mensch bringe sein eigenes kreatives Potential in die menschliche Gesellschaft ein und mache die Gesellschaft deshalb insgesamt reicher.

Die Gegenseite verkörperte damals Thomas Malthus mit seinem „Bevölkerungsgesetz“((“An Essay on the Principle of Population“, London 1798.)), worin er bekanntlich behauptete, es werde immer zu viele Menschen geben, als daß man sie durch die Landwirtschaft ernähren könnte, und deshalb müsse die Bevölkerung reduziert werden. Malthus stand genau wie alle anderen britischen Ökonomen – Adam Smith, Jeremy Bentham, John Stuart Mill, David Riccardo – im Dienste der British East India Company, die bekanntermaßen ihren Reichtum durch den Sklavenhandel und den Opiumhandel weltweit verdiente.

Worum es also damals und ganz besonders heute eigentlich geht, ist das Menschenbild. Lyndon LaRouche hat darüber unendlich viel geschrieben, und ich möchte Sie alle bitten, die entsprechenden Artikel meines Ehemanns zu lesen, denn er hat im Grunde am klarsten ausgearbeitet, worin das kreative Potential des Menschen besteht. Im Unterschied zu allen anderen Lebewesen und Tieren, die zwar auch intelligent sind, ist der Mensch die einzige Gattung, die ständig die Grundlagen ihrer Existenz durch wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt erneuern kann.

LaRouche hat den Bezug hergestellt zwischen der relativen potentiellen Bevölkerungsdichte und der jeweiligen Energieflußdichte, die im Produktionsprozeß eingesetzt wird. Daran kann man deutlich ablesen, daß die Zahl der Menschen seit der Zeit der Jäger und Sammler mit einer extrem geringen Energieflußdichte – nämlich Sonnen-und Windenergie – inzwischen durch eine Erhöhung der Energieflußdichte um mehrere Größenordnungen zugenommen hat. Wir haben heute einen viel besseren Lebensstandard, eine höhere Lebenserwartung und insgesamt menschlichere Möglichkeiten. Der nächste Schritt ist jetzt schon in Reichweite, da China sein Forschungsprogramm mit dem EAST-Fusionsreaktor vorantreibt und die Idee verfolgt, sehr bald Helium-3 auf dem Mond abzubauen und als Treibstoff für die kommende Fusionsökonomie auf der Erde zu benutzen.

Krafft Ehricke und die nächste Stufe der Evolution

Was hat das alles mit Krafft Ehricke zu tun? Krafft Ehricke hat sehr klar gesagt, daß die Erschließung des Weltraums und seine Besiedelung die notwendige nächste Stufe der Evolution der Menschheit sei. Er hat sehr anschaulich dargestellt, wie sich das Leben zunächst von den Ozeanen auf die Kontinente ausgebreitet hat, wobei die Photosynthese eine wichtige Rolle gespielt hat, die er interessanterweise als die „erste industrielle Revolution“ bezeichnete. So seien die Grenzen des Wachstums durchbrochen worden, so daß sich dann in der Evolution jeweils höhere Lebewesen entwickelt konnten, deren Metabolismus eine immer höhere Energieflußdichte hatte, bis schließlich der Mensch erschien.

Dabei unterscheide sich der Mensch absolut von allen früheren Lebensformen, weil er, so Krafft Ehricke, etwas hat, was er den „Informations-Metabolismus“ nannte: die Fähigkeit des Menschen, Informationen aufzunehmen, darin verschiedene Aspekte durch Abstraktion zu differenzieren, um sie dann im Geist wie auch in Maschinen zu akkumulieren und nutzbar zu machen.

Seiner Ansicht nach gebe es keinen Zweifel daran, daß Tiere intelligent seien; sie könnten sogar unglaubliche Dinge lernen, wie z. B. den Menschen zu manipulieren, was ja eine hohe Intelligenz voraussetzt. Aber das Tier ist nicht zur Abstraktion fähig, während der Mensch jede Begrenzung überwinden kann.

Krafft Ehrickes drei Grundgesetze der Astronautik wurden heute morgen schon erwähnt: Das erste Gesetz lautet, daß unter dem Naturrecht dieses Universums nichts und niemand dem Menschen irgendwelche Beschränkungen auferlegt, außer er sich selbst.

Das ist sehr, sehr wichtig, denn dieses Menschenbild war einmal das normale Menschenbild in Europa. Es ist identisch mit dem Humanismus, mit der Klassik, mit der platonischen Philosophie und dem Christentum, das den Menschen als uneingeschränkt vervollkommnungsfähiges Wesen betrachtet. Das gilt sowohl in bezug auf seine geistigen Fähigkeiten, als auch in bezug auf seinen Charakter und in bezug auf seine Emotionen, seine ästhetische Entwicklung. Nirgendwo gibt es eine Schranke. Genau dieses Menschenbild finden Sie bei Platon, bei Augustinus, bei Nikolaus von Kues, Leibniz und Kepler.

Heute ist dies leider nicht mehr selbstverständlich, aber Krafft Ehricke sagte, der menschliche Geist könne unermüdlich Informationen metabolisieren – „vom unendlich Kleinen bis zur Unendlichkeit, der die Infrastruktur des Wissens aufbaut und seine moralischen und sozialen Hoffnungen für eine größere und bessere Welt verfolgt, gegen viele Widerstände. Durch Intelligenzen wie wir selbst bewegt sich das Universum – und wir darin – in den Mittelpunkt der Selbsterkenntnis. Metallerz verwandelt sich in informationsverarbeitende Computer, Satelliten und Raumsonden, und Atome werden verschmolzen wie in den Sternen.“ Und dann sagt er: „Ich kann mir keine düsterere, apokalyptischere Vision der Zukunft vorstellen als eine mit kosmischen Kräften ausgestattete Menschheit, die zur Isolationshaft auf einem kleinen Planeten verdammt ist.“ Das ist sehr richtig.

Inspiriert wurde Krafft als zwölfjähriger Junge, als er den Film von Fritz Lang Die Frau im Mond sah. – Der gleiche Film hat im übrigen auch meinen Ehemann ungemein inspiriert, der in Anlehnung daran eine andere Dokumentation, Die Frau auf dem Mars, produziert hat. – Faszinierend war die Idee, daß der Mensch die Erdoberfläche verlassen, ins Weltall reisen und andere Himmelskörper besiedeln könne.

Es wurde schon erwähnt, daß Krafft Ehricke später in Peenemünde mit dabei war, als am 3. Oktober 1942 – damals war er erst 25 Jahre alt – die erste Rakete erfolgreich von der Erde abhob und in den Weltraum geschickt wurde. Er war nur hundert Meter entfernt, beobachtete den Countdown, die Zündung, und wie dann diese Rakete mit einem Riesengedröhn abhob. Er sagte dazu später: „Das war ein unbeschreibliches Gefühl, das wir alle hatten, es war uns absolut bewußt, das ist der Beginn eines neuen Zeitalters, der erste Tag des Raumzeitalters, der Beginn einer völlig neuen Ära.“

Krafft Ehricke definierte den „extraterrestrischen Imperativ“ als die wahre Identität der Menschheit. Er sagte, die Besiedelung des Mondes sei der offensichtliche erste Schritt, denn der ist ganz nah, man braucht nur zwei oder drei Tage, inzwischen sogar weniger, um dahin zu kommen, und wir können quasi auf dem Mond üben, was wir später auf anderen Planeten machen. Was wir auf dem Mond machen können, können wir überall machen.

Er meinte, die Besiedelung des Mondes werde die genau umgekehrte Richtung nehmen wie die Evolution auf der Erde, wo sich erst die Biosphäre entwickelte und dann in einer späten Phase der Mensch aufgetaucht ist. Auf dem Mond werde es umgekehrt verlaufen: Zuerst die Ankunft des Menschen und dann die Entstehung der Bedingungen für seine Existenz. In der ersten Phase würde der Mensch Materialien von der Erde zum Mond mitbringen, in der zweiten Phase erfolge die Industrialisierung des Mondes unter Nutzung vorhandener Ressourcen und in der dritten Phase begännen interplanetare Reisen, auf denen neue menschliche Zivilisationen mit vollkommen anderen Charakteristika als die Zivilisation auf der Erde entstehen.

Um diesen Unterschied zu verdeutlichen, hat er als Beispiel seine eigene, wie er es nannte, „Extraeuropäisierung“ angeführt. Er sagte, er sei in Deutschland aufgewachsen und hätte in Deutschland eine wunderbare klassische Erziehung bekommen. Die europäische Kultur war das, was ihn geprägt hat, und als er dann mit seiner Ehefrau in die USA ausgewandert ist, traf er dort auf einen völlig anderen Menschenschlag – die Amerikaner. Seine Kinder seien dann schon ganz gut amerikanisiert worden, hätten aber noch Merkmale der Kultur der Eltern aus Deutschland behalten, doch schon die Enkel waren vollkommen amerikanisiert, und man habe keinen Unterschied mehr festgestellt. Und genauso sagt er, werde es bei den zukünftigen Zivilisationen im Weltraum sein: Die Bevölkerung auf dem Mond werde vollkommen andere physiologische und immunologische Charakteristika haben als die Menschen auf der Erde.

Das neue Paradigma

Worum es also geht, ist das neue Paradigma, das von der kontinuierlichen Weiterentwicklung der menschlichen Gattung ausgeht. Der chinesische Präsident Xi Jinping hat dies oftmals als „Schicksalsgemeinschaft für die Zukunft der Menschheit“ bezeichnet, worin die gemeinsamen Ziele der Menschheit zuerst stehen und danach erst das Interesse der einzelnen Nationen kommt.

Das ist genau das Prinzip der „Win-Win-Kooperation“, die jetzt zusammenwächst. Die verschiedenen Korridore haben ein Interesse daran, daß es allen partizipierenden Staaten besser geht, weil es keinen Sinn macht, eine Eisenbahn nur von einer Stadt zur anderen zu bauen, um dann aufzuhören, sondern das Ganze davon lebt, daß sich diese Systeme zum Vorteil aller integrieren. Chinas Staatsrat Yang Jiechi hat kürzlich anläßlich des Nationalen Volkskongresses in Beijing gesagt, die Neue Seidenstraße sei kein Solo für China, sondern eher vergleichbar mit einer Sinfonie, bei der alle teilnehmenden Völker und Nationen mitspielen.

Es ist meine absolute Überzeugung, daß dies zutrifft, weil ich vielleicht den Vorteil gehabt habe, 1971 zum ersten Mal in China gewesen zu sein – mitten in der Kulturrevolution, die wirklich furchtbar war und die Menschen sehr unglücklich gemacht hat. Wenn man dies mit der Lage heute vergleicht, sieht man die enorme Entwicklung, die China in den letzten 40 oder vor allem den letzten 30 Jahren genommen hat. China hat eine Entwicklung, die in den anderen Industrienationen 200 Jahre gedauert hat, in 30 Jahren repliziert. Und dieses chinesische Modell der Wirtschaft ist so erfolgreich, daß es jetzt als Neue Seidenstraße allen anderen Staaten zur Replizierung angeboten wird. Damit besteht zum ersten Mal die Chance, daß wir endlich Armut und Begrenzungen überwinden können.

Das alles basiert auf den Ideen von Konfuzius. Ich bin davon überzeugt, daß China zu 95 % konfuzianisch und vielleicht noch zu 5 % marxistisch oder kommunistisch ist. Die Wesenheit Chinas, des chinesischen Systems, sind konfuzianische Gedanken. Dazu gehört z. B. die lebenslange Vervollkommnung, das lebenslange Lernen; daß jeder Mensch das Bestreben haben sollte, ein „Shunze“ zu werden, ein Weiser, und daß die Weisen auch die Regierung stellen sollen, daß Harmonie in der Entwicklung aller stattfinden soll – in der Familie, im Staat und zwischen den Staaten.

Das sind keine Ideen, die nur chinesisch sind, sondern die auch zur besten europäischen Tradition gehören. Z. B. hatte Nikolaus von Kues, der Begründer der modernen Naturwissenschaften im 15. Jahrhundert, schon damals die Idee, daß Harmonie im Makrokosmos nur existieren könne, wenn sich alle Mikrokosmen harmonisch entwickeln, und jeder Mikrokosmos es als eigenen Vorteil ansehe, die anderen Mikrokosmen auf die bestmögliche Weise zu befördern.

Das bedeutet für heute, daß die Geopolitik überwunden werden kann, wenn die Entwicklung aller auf die Tagesordnung kommt. Ich bin davon überzeugt, daß, wenn es zwischen Trump und Xi Jinping, zwischen Trump und Putin zu einem guten Verständnis kommt – und das ist die erklärte Absicht Trumps, was auch von russischer und chinesischer Seite klar signalisiert wird –, wir uns dann in einer neuen Phase der menschlichen Gattung befinden und eine neue Ära erleben werden.

Die Rolle Deutschlands

Die Frage ist: Welche Rolle soll Deutschland in diesem Prozeß spielen?

Diejenigen von Ihnen, die in Deutschland wohnen oder leben, wissen natürlich, daß das nicht das Denken ist, das hier dominiert. Aber ich denke, die Neue Seidenstraße hat eine enorme Hebelkraft. Deutschland wird sich entweder besinnen und einklinken, oder Deutschland und die Europäer werden vollkommen belanglos werden.

Schon heute sagen etwa die Afrikaner: „Die Chinesen, die Inder, die Japaner investieren alle in Afrika, Europa hingegen kommt und hält uns Sonntagsreden und macht moralische Vorhaltungen, redet über Demokratie und Menschenrechte, aber sie investieren eben nicht in diese Projekte.“

Ich möchte an dieser Stelle dieses Bild (Abbildung 10) noch einmal in Erinnerung bringen: Die Flüchtlingskrise sollte der moralische Motor sein, daß wir uns dieser Entwicklungsperspektive anschließen. Denn nur wenn wir Afrika entwickeln – zusammen mit Rußland, China, Indien, anderen Staaten, hoffentlich Amerika –, nur wenn wir Südwestasien wirtschaftlich wiederaufbauen und zum Teil der Neuen Seidenstraße machen, haben wir irgendeine Hoffnung, die Flüchtlingskrise auf humane Weise zu lösen, und nicht durch Internierungscamps in der Türkei oder in Ägypten oder in Tunesien, wie Frau Merkel das versucht.

Abbildung 10. Flüchtlinge werden an der griechisch-makedonischen Grenze zurückgewiesen. Quelle: Öst. Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres

Die Frage ist ja auch: Will Frau Merkel tatsächlich die Führerin des „freien Westens“ sein, weil Trump jetzt in Amerika Präsident ist? Will sie die Konfrontation gegen Rußland weiterführen, wenn Trump die Aussöhnung will? Will sie weiter die Konfrontation bis an die Grenzen Rußlands vorantreiben? Will sie sich weiter an Interventionskriegen beteiligen, um „die Demokratie zu retten“? Was uns im übrigen niemand mehr glaubt. Die Länder Asiens und Afrikas glauben längst nicht mehr, daß die Demokratie, die Menschenrechte in Europa oder das Modell der EU so besonders vorzeigefähig wären.

Oder können wir nicht doch hoffen, daß Deutschland eine positive Rolle beim Ausbau der Neuen Seidenstraße übernimmt? Ich denke, daß Krafft Ehricke, das Menschenbild und die Zukunftsvision, die er repräsentiert, das beste Beispiel für die Zukunft Deutschlands sein sollte. Deutschland ist einmal das Volk der Dichter, Denker und Erfinder gewesen. Und all die vielen positiven Beiträge dieser vielen, vielen großen Denker sind eingeflossen in die deutsche Wirtschaft, in den Mittelstand, in unseren Lebensstandard, in die Kultur. Und es war diese Kultur, die Krafft Ehricke hervorgebracht hat.

Warum sollte es nicht möglich sein, daß man diese Ideen wieder lebendig macht? Die Ideen von Nikolaus von Kues, Kepler, Leibniz, Gauß, Riemann, Bach, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Lessing, Mendelssohn, Schiller, der Humboldts und die klassische Kultur, die Krafft Ehricke repräsentiert hat, müssen wiederbelebt werden! Und das gilt nicht nur für Deutschland, sondern muß zu einem Dialog der Kulturen werden, wo die jeweils schönste Ausformung, die höchste Form, in einen Dialog mit den anderen tritt. Wir haben das heute morgen durch deutsche klassische Musik und durch klassische Musik gehört. Und es gehört auch zu diesem chinesische neuen Paradigma, daß jedes Kind sehr bald die gesamte Universalgeschichte in all ihren besten Erscheinungsformen kennenlernt und dann Rassismus und Chauvinismus und Begrenztheiten aller Art für immer verschwinden.

Vielen Dank.

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