Keplers Revolution – Eine Pädagogik zur Staatskunst

Wenn Europäer an Revolution denken, so denken sie an Widerstand mit Waffengewalt gegen die Herrschenden, deren Umsturz oder gar deren Tod. Das sei das einzige Mittel, wirklich etwas zu verändern. Dieses Verständnis von Veränderung einer Gesellschaft hat in Europa eine lange, traurige Tradition, die auf die Französische Revolution zurückgeht. Wie eine bürgerliche Elite im Frankreich des Jahres 1789 einen wütenden und hungernden Mob hinter sich bringen konnte, um einen korrodierenden und korrupten Feudalapparat zu überwinden, das wird heute als Beginn der modernen Gesellschaft in Europa gefeiert. Der Masse der Bevölkerung sei es gelungen, sich von einem System der Unterdrückung „von oben“ zu befreien und eine wahrhafte, souveräne Volksvertretung aufzustellen, in welcher der Willen der Bevölkerung ihren Ausdruck findet. Daß diese Revolution und deren blutige Nachwehen den ersten Diktator der Neugeschichte hervorbrachten, wird entweder ignoriert, als unglückliche Verkettung von Zufällen entschuldigt oder sogar als Teil der politischen Revolution gewürdigt, denn es sei Napoleon gelungen, das europaweite Ultramontansystem aufzubrechen.

Als Gegenüberstellung zu diesem Geschichtsverständnis möchte ich hier einen Zeitgenossen der umwälzenden Geschehnisse am Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich zu Wort kommen lassen:

Der Versuch des französischen Volks, sich in seine heiligen Menschenrechte einzusetzen und eine politische Freiheit zu erringen, hat bloß das Unvermögen und die Unwürdigkeit desselben an den Tag gebracht, und nicht nur dieses unglückliche Volk, sondern mit ihm auch einen beträchtlichen Teil Europas, und ein ganzes Jahrhundert, in Barbarei und Knechtschaft zurückgeschleudert. Der Moment war der günstigste, aber er fand eine verderbte Generation, die ihn nicht wert war, und weder zu würdigen noch zu benutzen wusste.((Friedrich Schiller: Briefe zur Ästhetischen Erziehung des Menschen))

Friedrich Schiller schrieb diese Worte, als die häßliche Wahrheit der Stoßrichtung der Revolution in Frankreich nicht länger zu übersehen war. Geschichtlich ist eine ganz andere Sicht auf diese Entwicklungen in Europa erforderlich. Denn der Gang der Französischen Revolution muß eindeutig als eine Reaktion auf die erfolgreiche Etablierung einer unabhängigen Republik auf der anderen Seite des Atlantiks verstanden werden. Mit der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika, deren selbsterklärtes Ziel es war, das Streben nach Glückseligkeit für alle ihre Bürger sicherzustellen,((Der intellektuell gebildete Akademiker mag jetzt einwerfen, daß die erwähnte Garantie Frauen und schwarze Menschen ausschloß, jene per Definition, denn sie waren im ursprünglichen Text nominell nicht erwähnt, diese realpolitisch, denn mit dem Inkrafttreten der US-Verfassung wurde das Sklavensystem der Südstaaten nicht automatisch aufgehoben. Somit sei die Verfassung in keiner Weise für alle Menschen der neuen Republik befreiend gewesen. Wenn auch die Tinte auf dem Papier ebendies bezeugt, so sorgte der Geist dieses Dokuments doch für die Befreiung tatsächlich aller Bürger der Vereinigten Staaten: Amerikanische Bürgerrechtler, ob nun für die Rechte der Frauen oder für die Rechte der Schwarzen sprechend, bezogen sich auf die Verfassung der Vereinigten Staaten und der Unabhängigkeitserklärung und deren Absicht, die ihrer Meinung nach zu beachten sei.)) war das rückständige Sozialgefüge in Europa mit der Unterscheidung zwischen herrschenden Familien und zugehörigen Untertanen unmöglich zu halten.

Die Frage war nun: Wie würde Europa auf diese Revolution reagieren? Wie die Geschichte belegt, erfolgte eine äußerst infantile Reaktion. Zwar gelang der Umsturz der herrschenden Kaste in Frankreich, doch eine Befreiung von oligarchischen Denkmustern mißlang. Das bestialische Erbe des politischen Umgangs wurde fortgeführt. Schlimmer noch, alles geschah im Namen von Freiheit und Gleichheit. Der Aufstieg eines französischen Generals zum selbstgekrönten Kaiser Europas erscheint in diesem Licht als eine unvermeidliche Konsequenz aus der Verfehlung einer wahren Revolution.

Anders als in Frankreich war in den „Neuen Kolonien“ Nordamerikas nicht die wirtschaftliche Not der Antrieb für eine politische Revolution. Vielmehr katalysierte die wirtschaftliche Unterdrückung eine Bewegung, deren Ursprünge sich auf ein anderes Menschenbild als das ihrer Unterdrücker, des Britischen Empire, gründeten. Es ging der Amerikanischen Revolution die Überzeugung voraus, daß jeder Mensch potentiell durch seine Kreativität an der Besserung der Gesellschaft Teil haben kann. Dieses Selbstverständnis hatte den neuen englischen Kolonien in den 100 Jahren zuvor bereits zu erheblichen Wohlstand verholfen. Die Unabhängigkeitserklärung der Neuen Kolonien vom Britischen Empire 1776 drückt diese Überzeugung konsequent aus.

Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit.

Damit diese Worte nicht nur zu Rhetorik oder zu vergangener Geschichte werden, ist es an jeder Generation, dieses Selbstverständnis immer wieder neu selbst zu begreifen, was einer wahrhaften Entdeckung gleichkommt. In Zeiten der Globalisierung, deren Maxime die Verbilligung von Arbeitskraft ist, droht der Geist der Amerikanischen Revolution in der Leidenschaftslosigkeit und Mittelmäßigkeit der heutigen geistigen und politischen Elite unterzugehen und zum blanken Zynismus und Hohn zu verkommen. Besonders in Europa, wo der oligarchische Gedanke nie aus dem Kollektivbewußtsein verschwunden ist, meint man heute den Vereinigten Staaten überlegen zu sein, da sich offenbar der Glauben bestätige, daß sich ja doch nie etwas zum Positiven ändere. Wenn große Ideen Ausspruch oder Niederschrift finden, dienten sie lediglich zur Knechtschaft, so die allgemeine Überzeugung. Dieser latente Grundpessimismus hat den Europäer zeitweise zwar vor großen Enttäuschungen bewahrt, ebenso aber vor großen Taten.

Um den Geist der Amerikanischen Revolution besonders in Europa erneut zum Leben zu erwecken, bedarf es der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der wahren Natur des Menschen. Denn allein das Wissen bewegt Menschen dorthin, wo der Glaube nicht hinzutragen vermag. Jetzt, da das System der Globalisierung im Sterben begriffen ist, ist es von dringender Notwendigkeit, wahre Staatskunst begreifen zu lernen, um eine Krise in eine Chance umzumünzen. Lyndon LaRouche, renommierter Wirtschaftswissenschaftler und Universalgelehrter, richtet seine Anstrengungen zur Schaffung einer neuen Weltordnung insbesondere an die heutige Jugendgeneration, um eine Revolution zur Befreiung von diesem oligarchischen System herbeizuführen, das uns als die unvermeidbare und natürliche „Globalisierung“ verkauft wird.

Johannes Kepler 1571–1660

Um der Jugendbewegung das notwendige Rüstzeug zum Verständnis von Staatskunst mitzugeben, stellte LaRouche der LYM die Aufgabe, Johannes Keplers Entdeckung der Gravitation anhand von Keplers eigenen Schriften nachzuvollziehen. Will man Revolutionär sein, muß man zuallererst lernen, revolutionär zu denken. Wer wissen will, was Revolution einer Gesellschaft wirklich bedeutet, wird grundsätzlich an Johannes Kepler nicht vorbeikommen. Dieser Aufsatz dient vor allem dazu, klarzustellen was keine Revolution ist. Nur die Kenntnis der Unterscheidung ermöglicht es, eine erneute Revolution „französischer“ Art zu verhindern.

Ich werde im folgenden einen Einblick in die Wissenschaftsarbeit der LaRouche-Jugend geben, um den Leser an der Freude teilhaben zu lassen, die man empfindet, ein wirklicher Revolutionär zu sein. Als Beispiel soll der Begriff der mittleren Sonne dienen, der ein rückständiges Denken ausdrückt, dessen Wurzel zu beseitigen ist.

Doch zuvor eine kurze Einführung in die Astronomie.

Einführung über die Dynamik der Planetenbewegung

Daß die Bewegungen der Planeten kreisartig sind, wird dadurch bezeugt, daß sie sich beständig wiederholen. Die Vernunft, die diese Wahrheit der Erfahrung entnimmt, nimmt nun sogleich von vornherein an, daß ihre Umläufe vollkommene Kreise sind; denn unter den ebenen Figuren wird der Kreis, unter den Körpern das Himmelsgewölbe für ein vollkommendes Gebilde gehalten. Sobald aber bei aufmerksamer Beobachtung die Erfahrung etwas anderes zu lehren scheint, daß nämlich die Planeten von der einfachen Kreisbahn abweichen, entsteht höchste Verwunderung, wodurch schließlich die Menschen dazu getrieben wurden, die Ursachen hievon zu erforschen.((Johannes Kepler, Astronomia Nova (Neue Astronomie), 1609, 1. Kapitel, übersetzt ins Deutsche von Max Caspar 1929, Neuauflage v. 2005, Marix-Verlag, Wiesbaden.))

Der Grund für diese „höchste Verwunderung“ war die unregelmäßige Bewegung der Himmelskörper. Der Zeitraum, der ein von der Erde beobachteter Planet braucht, um zu einem Sternkreiszeichen zurückzukehren, ist immer verschieden. Falls der Planet vor dem Hintergrund einer bestimmten Sternenkonstellation, zum Beispiel des Tierkreiszeichens Widder, gefunden wird, ist die Zeitdauer bis zur erneuten Sicht auf die gleiche Kombination von Planet und Tierkreiszeichen nicht gleich. Umgekehrt kehrt der Planet nicht nach einem festgelegten Zeitraum zum gleichen Sternkreiszeichen zurück. Gleicht man den zu messenden Zeitraum der letzten Periode bis zur Rückkehr an, so wird man aufs neue enttäuscht, denn der Planet läßt sich demnach wieder nicht vor dem gewünschten Tierkreiszeichen auffinden. Das gleiche Phänomen betrifft auch die Bewegung der Sonne am Himmel.((Aus moderner astronomischer (Keplerscher) Sicht handelt es sich bei der Sonne streng genommen nicht um einen Planeten, da ein Planet ein wandernder Körper ist. )) Zwar ist es tagsüber schwierig festzustellen, in welchem Sternzeichen die Sonne steht, doch durch die Kenntnis der Sonnenbahn, der sogenannten Ekliptik, kann man des Nachts durch ihre Projektion auf den Sternenhimmel die vorherige (tagsüber) und die jetzige Position (nachts) der Sonne berechnen.

Das ist nicht die einzige Unregelmäßigkeit in den Bewegungen der Planeten. Auch unter ihnen findet keine gleiche Bewegung statt. Wenn sich zwei Planeten an einer Sichtlinie anordnen, so ist der Zeitraum zur nächsten Anordnung immer ungleich zu der kommenden Anordnung usw. Es findet also eine beständig unregelmäßige Verschiebung statt. Dieser Unregelmäßigkeit in der Bewegung gab man die Bezeichnung „Ungleichheit“. Die zuerst aufgeführte Ungleichheit in bezug auf die Rückkehr ins gleiche Sternenbild heißt „erste Ungleichheit“. Die Ungleichheit in bezug auf die Rückkehr einer Planetenkonstellation heißt, sofern einer der beiden Körper die Sonne ist, „zweite Ungleichheit“.((Wieso die Sonnenbewegung als Referenz zur Bestimmung der zweiten Ungleichheit in der Bewegung genommen wird, soll hier nicht erörtert werden, für gewitzte Leser wird sich der Grund aber später offenbaren.))

Interessanterweise tritt bei der Beobachtung des Planeten Mars in Opposition zur Sonne, d. h. zum Zeitpunkt der Messung der zweiten Ungleichheit eine Begleiterscheinung auf: Mars stellt seine Fortbewegung zum Zeitpunkt der Opposition ein, schreitet rückwärts, um erst dann seine alte Bewegungsrichtung wieder aufzunehmen.((Mars ist nicht der einzige Planet, der eine solche Schleifenbewegung am Himmel macht. Doch behandelt Kepler in seiner Astronomia Nova hauptsächlich die Marsbahn.)) Dies schien die Findung einer sinnvollen Erklärung für die zweite Ungleichheit zu verkomplizieren.

Die mittlere Sonne des Ptolemäus

Johannes Kepler setzte sich in der Astronomia Nova mit den Lehren von drei Astronomen auseinander: Claudius Ptolemäus, Nikolaus Kopernikus und Tycho Brahe. Alle hatten in verschiedenen Perioden der astronomischen Lehre Erklärungsmodelle (Hypothesen) für die Planetenbewegung aufgestellt. Da die Astronomen in ihrer chronologischen Abfolge die Astronomie und ihre Entwicklung von 100 n. Chr. bis ins 16. Jahrhundert hinein repräsentierten, kann man zu Recht behaupten, daß es Kepler in seinem Werk mit dem geballten Wissen der astronomischen Lehre seit dem Fall Griechenlands aufnahm.

Nach dem Verlust der altgriechischen astronomischen Arbeiten stieg das Werk des Ptolemäus mit der Zeit zur wichtigsten und größtenteils einzigen Instanz für Generationen von Astronomen auf. Es wurde geradezu zum Paradigma für gut 1500 Jahre verblendete astronomische Wissenschaft.

Claudius Ptolemäus, der zur Zeit des aufstrebenden Römischen Imperiums um 100 n. Chr. im römisch besetzten Ägypten lebte, macht in seiner Hypothese die Erde zum Weltmittelpunkt. Alle anderen Planeten, auch die Sonne, wandern auf kreisförmigen Bahnen gleichmäßig um die Erde. Die Sonnenbahn CDEF (siehe Abbildung 1), die nur die erste Ungleichheit kennt, aber als Meßinstrument für andere Planeten bei der Bestimmung des Zeitpunkts der zweiten Ungleichheit dient, bewegt sich gleichmäßig um ihren Mittelpunkt B.

Abbildung 1. Das Modell des Ptolemäus: Die Sonnenbahn CDEF mit der Erde A, die exzentrisch vom Mittelpunkt der Sonnenbahn absteht.

B ist nicht die Erde, da sonst das Planetenmodell nicht mit den Beobachtungen in Übereinstimmung zu bringen ist, sofern die Bewegung um B gleichmäßig erfolgen soll, wie von Ptolemäus postuliert.((B definiert den geometrischen Mittelpunkt der Kreisbahn, um den der Planet gleiche Bögen in gleichen Zeiten abschreitet. Zum Beispiel ist die Sonne nach Ptolemäus im Bogen DG genauso schnell wie im Bogen EH. Man kann somit den Punkt B als einen Ausgleichpunkt bezeichnen.)) A ist richtigerweise die Erde, die exzentrisch vom Mittelpunkt absteht. Durch die Exzentrizität wirkt die gleichmäßige Bewegung der Sonne, von der Erde A betrachtet, einmal schneller (im Bogen GEH) und einmal langsamer (im Bogen HCG). Da nach Ptolemäus die erste Ungleichheit lediglich deshalb entsteht, weil die Erde nicht exakt im Mittelpunkt der Sonnenbahn steht, hielt er es für legitim, eine imaginäre Planetenbahn zu schaffen, die die Eigenschaften der Sonnenbahn besitzt, aber eben die Erde im Zentrum ihrer Kreisbahn hat: Dies ist die Bahn der Abbildung 2 Die Bahn der mittleren Sonne IJKL (Abbildung 2).

Abbildung 2. Die Bahn der mittleren Sonne IJKL

Die mittlere Sonne kreist gleichförmig um die Erde A, ähnlich wie nach Ptolemäus die wahre Sonne in CDEF gleichmäßig um ihren Bahnmittelpunkt B kreist. Die Bewegung der mittleren Sonne läßt sich leicht berechnen und damit vorausbestimmen, da sie sich gleichmäßig um die Erde dreht.((Da die mittlere Sonne außerhalb der statistischen Tabellen des Ptolemäus nicht existiert, wäre ein anderer Name für die mittlere Sonne auch „virtuelle Sonne“.)) Sie wird zu einer festen Recheneinheit. Somit wäre die erste Ungleichheit der Bewegung der Sonne ausgeschaltet und die geistige Syphilis in die Welt gesetzt.((Es sei hier angemerkt, daß mit der Arbeit des Ptolemäus und ihrer Akzeptanz nicht nur die Astronomie für über 1500 Jahre, sondern implizit die gesamte Wissenschaft und ihrer Begrifflichkeit vom Menschen im Universum einen Rückschritt erlitt. Zudem ist die politische Komponente nicht zu unterschätzen: Mit der Übertragung der Erde in den Weltmittelpunkt auf Basis von reduktionistischen, geometrischen Tricksereien wurde das Römische Reich mit einem Federstrich ins Zentrum des Universums gerückt. Die Hypothese von Ptolemäus schien so „wissenschaftlich“ zu belegen, daß der Sonnengott Apollo tatsächlich auf die Erde gekommen ist und in den Personen der Dynastie der römischen Kaiser fortlebt. Das war der geschaffene Mythos für die Cäsar-Dynastie Roms, die zur Legitimation der Verwandlung des Stadtstaats Rom in ein Imperium diente. Ptolemäus wurde so zum Propagandisten der imperialen Ideologie Roms, ob nun gewollt oder nicht. Man denke in dem Zusammenhang an den Versuch der Nazis in Deutschland, die Wissenschaften auf „Parteilinie“ zu bringen, indem man sich den apollo-ähnlichen Kult der arischen Rasse „wissenschaftlich“ belegen ließ.)) Daraus ergab sich der Maßstab für die Feststellung der zweiten Ungleichheit nach Ptolemäus.

Man bedenke, daß mit der Wiederkehr der Opposition von Mars zu Erde und Sonne, also zum Zeitpunkt der Messung der zweiten Ungleichheit, eine rückwärtsgerichtete Marsbewegung am Nachthimmel eine Folgeerscheinung ist. Um diese Schleifenbewegung erklären zu können, bewegt sich nach Ptolemäus der Mars gleichmäßig auf einer Kreisbahn, dessen Mittelpunkt auf einer weiteren Kreisbahn um die Erde getragen wird. Dabei bewegt sich der auf einem Kreis getragene Kreis, oder Epizykel in derselben Geschwindigkeit wie die mittlere Sonne um die Erde. Der genannte Epizykel hat auch denselben Durchmesser der mittleren Sonnenbahn.

Wenn also die mittlere Sonne in einem Jahr eine vollständige Umdrehung um die Erde vollzogen hat, hat ebenso der Mars auf seinem Epizykel eine vollständige Rotation absolviert.((Interessanterweise haben bei Ptolemäus’ Hypothese alle weiteren Planetenepizykel auch eben jene Eigenschaft und Ausrichtung wie die Bahn der mittleren Sonne. Dreh- und Angelpunkt des Ptolemäischen Planetenmodells neben der Erde im Mittelpunkt ist die mittlere Sonne.)) Die Bahn der mittleren Sonne wird für die anderen Planetenbewegungen nicht nur zum Maßstab, sondern die Planeten richten sich nach ihrer Bewegung aus. Die mittlere Sonne wird in ihrer Wirkung reeller als die wahrhaftige Sonne. Die Erscheinung der wirklichen Sonne am Himmel wird nach Ptolemäus zu einem unnötigen und lästigen Schauspiel degradiert. Die Sonne verkommt zu einem Planeten unter vielen, die um die Erde kreisen. Die Konzeption der mittleren Sonne wird die Astronomie bis Kepler wie ein Fluch begleiten, und zwar über den Zeitraum der Existenz des römischen Imperiums hinaus.((Oft wird der Streitpunkt in der Astronomie in dem Zeitraum vom Fall des Römischen Reichs bis zu Kepler (oder teilweise darüber hinaus) so dargestellt, als wäre die Hauptfrage gewesen, um welchen Körper sich die Planeten drehen, ob um die Erde oder die Sonne. In Wahrheit bestand der Konflikt darin, ob der Mensch potentiell in der Lage sei, eine wahrhafte Entdeckung über das Universum zu machen, oder ob er für immer verdammt sei, allein an seine fünf Sinne gefesselt in ständiger Unwissenheit im Morast der Meinungen und Modelle zu wühlen. Wer glaubt, dieser Konflikt sei durch Erkenntnis der Richtigkeit des Ersteren beigelegt, der möge sich an heutigen Universitäten genauer umschauen.))

Es sollte hierbei beachtet werden, daß Imperien wie das römische nur erfolgreich erhalten werden können, wenn es gelingt, die Untertanen der herrschenden Oligarchie zu bestialischen Wesen zu degradieren, die ihren tierartigen Instinkten folgen. In solch einem Geisteszustand ist ein Volk nicht in der Lage, effizient zu rebellieren oder gar selbst die politische Führung zu übernehmen. Also müssen Doktrinen die Kultur kontrollieren, die implizit die Kreativität des Menschen als einen Faktor der Erkenntnis ausschalten. Gladiatorenkämpfe und ähnliche Spiele des Römischen Reichs dienten zur Befriedigung der Massen. Für die intellektuelle Schicht gab es zum Studium Wissenschaftswerke wie die des Ptolemäus. Es reduzierte die kognitiven Fähigkeiten der Wissenschaftler auf die sinnlichen Erkenntnisse, da scheinbar nichts anderes mit Sicherheit festzustellen ist. Ähnlich wie die gaffenden Bürger Roms im Kolosseum schuf man mit dieser Indoktrinierung eine geistige Elite, die Sklaven ihrer sinnlichen Erfahrung sind. Diese Doktrin kann man getrost als Empirismus bezeichnen.((Lyndon LaRouche, „Die Regeln zum Überleben“, Neue Solidarität Nr. 26–30/2007, in fünf Teilen.)) Auch wenn das römische Imperium letzten Endes unterging, hat dieses System an sich in verschiedenen Ausformungen überlebt und ermöglichte die Fortführung einer römischen Tradition in der Wissenschaft.

Der Käfig von Kopernikus

Nikolaus Kopernikus (1473–1543) gilt im allgemeinen Verständnis als ein Aufklärer der Astronomie, da er es wagte, gegen die damaligen Autoritäten der allmächtigen katholischen Kirche zu behaupten, unsere Welt sei nicht geozentrisch, sondern heliozentrisch.((Die Begriffe Geozentrik, d. h. die Erde befindet sich im Zentrum, und Heliozentrik, d. h. die Sonne befindet sich im Zentrum, habe ich bisher zu benutzen vermieden, da sie wissenschaftlich falsch sind, auch wenn sie sehr populär sind. Daß einer der zwei Körper sich im Mittelpunkt des Sonnensystems befinde, ist aufgrund der ersten Ungleichheit nicht haltbar, egal welcher Körper den Mittelpunkt der Welt bilden soll. Korrekterweise müßte man von Geo-Exzentrik und Helio-Exzentrik sprechen. Nur die mittlere Sonne kann die Erde in ihrem Planetenbahnmittelpunkt tragen.)) Die katholische Kirche vertrat offiziell das römische System basierend auf der Arbeit von Claudius Ptolemäus. Dem trat Kopernikus mit seiner Hypothese zur Planetenbewegung entschieden entgegen. Zumindest scheinbar. Denn nach Kopernikus drehen sich alle Planeten gleichmäßig auf Kreisbahnen um die Sonne, die den Mittelpunkt der Bahnen bildet. Die Schleifenbewegung, die der Mars am Nachthimmel nach einer Opposition zur Sonne macht, läßt sich dann als eine optische Täuschung deuten, die durch die unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Durchmesser der Planetenbahnen entsteht.

Ansonsten ist Kopernikus’ Hypothese weit weniger revolutionär, als sonst im allgemeinen der Eindruck erweckt wird.

Die Sonne Z (Abbildung 3) befindet sich in der Mitte der Erdbahn MNOP. Unter der Annahme einer gleichmäßigen Bewegung kann sich die Erde unmöglich ungleichmäßig um die Sonne Z drehen, wie es die erste Ungleichheit verlangt. Also schuf Kopernikus einen Epizykel, auf dessen kreisförmiger Bahn die Erde getragen wird, und zwar so, daß die Ausrichtung der Erde auf dem Epizykel sich nicht verändert. Durch die ständige Parallelität der Erde und ihrem Epizykelmittelpunkt läßt sich eine exzentrische Bahn QRST definieren, die die Erde trägt.((Siehe auch 2. Kapitel in Neue Astronomie von Johannes Kepler.)) Der Mittelpunkt der Bahn ist X. Da der Epizykelmittelpunkt der Erde sich nach Kopernikus gleichmäßig um die Sonne bewegt, und die Ausrichtung Erde-Epizykelmittelpunkt immer dieselbe bleibt, bewegt sich die Erde gleichmäßig um X. Punkt X ist demnach der Ausgleichpunkt der Erde, der überall gleich weit von der wahren Bahn QRST absteht. X ist nach Kopernikus die mittlere Sonne und der Maßstab zur Bestimmung von Planetenoppositionen.

Abbildung 3. Hypothese des Kopernikus: Die Sonne Z befindet sich in der Mitte der Erdbahn MNOP.

Die Erde dreht sich zwar nach Kopernikus um die Sonne, nicht umgekehrt, ansonsten ist sein Modell jedoch völlig gleichwertig zum ptolemäischen Modell. Die geistige Syphilis, die Ptolemäus in die Welt setzte, war nicht besiegt worden, und Kopernikus war wie viele Astronomen vor ihm ihr nächster Überträger.((Ptolemäus hat mit der Einführung der Konzeption der mittleren Sonne weit mehr getan als nur Beobachtungen verfälscht. Vielmehr versperrte er mit dem Postulat der mittleren Sonne zukünftigen Generationen von Astronomiestudenten die genuine Auseinandersetzung mit den ungleichmäßigen Bewegungen der Himmelskörper.)) Um die Gleichwertigkeit der Modelle sichtbar zu machen, betrachte man erneut Abbildung 2. A ist nun die Sonne, IJKL die Bahn des Epizykelmittelpunkts der Erde. CDEF ist die Erdbahn, somit ist B die mittlere Sonne. Auf gleiche Weise läßt sich die kopernikanische Hypothese in die ptolemäische umwandeln: QRST in Abbildung 3 ist nun die Sonnenbahn, die ihr parallele Bahn MNOP ist die mittlere Sonnenbahn, wobei Z die Erde ist.

Im Vergleich: Abbildung 2 (links), Abbildung 3 (rechts).

Daran wird deutlich, daß Kopernikus die Astronomie keineswegs im wahrsten Sinne des Wortes „aufklärte“, sondern lediglich eine neue Geschmacksrichtung innerhalb des römisch-bestialischen Denkkäfigs vorgab. Wenn sich alle Planeten um die Sonne drehen, wie Kopernikus es will, so tun sie das doch nur gewissermaßen aus einer Laune des Beobachters heraus. Das Gegenteil läßt sich ebenso leicht postulieren, denn die Schwäche der kopernikanischen Hypothese liegt in ihrer fehlenden Beweisführung. Der Sonne kommt keiner größere Wichtigkeit zu als im ptolemäischen System, mit Ausnahme der Behauptung, daß es nicht die Erde sei, um die sich die Planeten drehen, sondern die Sonne.((Ohne die Arbeit Johannes Keplers hätten wir in der astronomischen Lehre heute noch zwei verfeindete Lager: Ein geozentrisches und ein heliozentrisches Lager, die sich in endlosen Debatten gegenseitige Inkompetenz vorwerfen und dies mit ihren neuesten Modellen untermauern würden. Die Arbeit von Johannes Kepler führte für alle Zeiten zur Klärung dieser Frage.)) Anstatt Ptolemäus’ vorgegebene Axiomatik effektiv zu durchschauen, geht Kopernikus ihm auf den Leim.

Im Denken befindet sich Kopernikus noch im ptolemäischen Universum mit der Erde im Mittelpunkt. Die Hypothese von Kopernikus ist zwar anders, doch sie ist aus den Annahmen des ptolemäischen Systems zusammengesetzt. Von diesem Standpunkt erscheint die fortgeführte Verwendung der mittleren Sonne als Maßstab von Kopernikus nicht verwunderlich, und macht einen Rückfall in die rückständige römische Tradition des Ptolemäus leicht. Schlimmer noch, diese vermeintlich revolutionäre Ansicht läßt die alten, rückständigen Axiome von Ptolemäus in völlig neuer Pracht erscheinen, ohne noch direkt mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. Es ist so, als hätte man dem römischen Denkkäfig lediglich einen neuen, revolutionären Anstrich verpaßt.((Hier ist es sinnvoll, einen Vergleich zur Französischen Revolution zu ziehen, die ja zeitgenössischen Historikern zufolge ein Ergebnis der Aufklärungsbewegung gewesen sei. Allein mit den Worten „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, wenn diese auch noch so laut und gewaltvoll proklamiert werden, ist nicht automatisch ein besserer Staat geschaffen als unter einem despotischen Monarchen, besonders insofern die Bedeutung des Mantras sich zeitweise nur auf die liberale Benutzung des Fallbeils beschränkte. Die wichtigere Frage als: „Wer regiert?“ ist die Frage: „Was regiert?“ Ist es die Vernunft, die einen Staat beherrscht oder die Willkür? Wer meint, die Vernunft sei doch das Schlagwort der Aufklärungsbewegung gewesen und somit habe es keinen grundsätzlichen Fehler in der Vorgehensweise der französischen Revolutionäre gegeben, der möge Friedrich Schillers „Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen“ zu Rate ziehen. Ähnlich ist durch die Versetzung der Sonne in den Mittelpunkt der Welt nicht ein rückständiges Planetenmodell revolutioniert. Es bedarf in beiden Fällen einer wahrhaften Entdeckung, um ein falsches System durch ein richtiges zu ersetzen.)) Deswegen sollte man Kopernikus in den Geschichts- und Astronomiebüchern als einen Verklärer und nicht als einen Aufklärer führen.

Tycho Brahe: Der Gipfel der Beliebigkeit

Tycho Brahe, der zum Ende seines Lebens mit Kepler in Kontakt war, konnte mit Hilfe seiner Meßvorrichtung die bis dahin präzisesten Himmelsbeobachtungen aufzeichnen. Das hielt ihn aber nicht davon ab, dem ptolemäischen System hörig zu folgen. Diese Bemerkung gilt allen, die meinen, daß Entdeckung mit Messung gleichzusetzen sei. Nach Brahe steht die Erde im Weltmittelpunkt, und die Sonne kreist um sie. Alle anderen Planeten kreisen um die Sonne, während die Sonne selbst um die Erde kreist. Die Sonne trägt also eine gigantische Ansammlung von Planetenbahnen mit sich, dessen Planeten alle mit einer unterschiedlichen Geschwindigkeit ihre Kreisbahn um die Sonne, die wiederum um die Erde kreist, ziehen. Durch die Kombination der zwei Kreisbewegungen, eine um die Erde, die andere um die Sonne, beschreibt Mars erneut eine tatsächliche Schleifenbewegung.

Brahe benutzte wie seine Vorgänger die mittlere Sonne als Referenz für seine Hypothese. In Abbildung 4 kreist die Sonne CDEF exzentrisch um die Erde A. Sie bewegt sich allerdings gleichmäßig um ihren Mittelpunkt B. Die mittlere Sonne, dessen Bahn IJKL ist, bewegt sich gleichmäßig um B bei ständiger Beibehaltung der Ausrichtung von mittlerer Sonne und wahrer Sonne. DJ, CI, FL, EK sind parallel zueinander wie zuvor bei Abbildung 2. Obwohl Brahe die Kritik Keplers an dem Konzept der mittleren Sonne bekannt war, soll er sie mit der Behauptung weggewischt haben, daß kein großer Unterschied festzustellen sei, ob man die wahre Sonne oder die mittlere als Referenz nimmt.((Diese Behauptung Brahes war der Anlaß für Kepler zur Verfassung des ersten Buchs der Neuen Astronomie.))

Abbildung 4. Brahes Modell

Doch damit nicht genug. Um die Darstellung einer unregelmäßigen Bewegung des Mars um die Erde nach seiner Hypothese zu ermöglichen, mußte Brahe eine weitere Kreisbahn schaffen, die exzentrisch zur Erde ist und die den Mittelpunkt der Epizykel um die Sonne trägt! Der Punkt B in Abbildung 4 ist der Mittelpunkt der Sonnenbahn CDEF. Die Erde A ist exzentrisch zur Sonnenbahn, der Kreis IJKL beschreibt die Bahn der mittleren Sonne. Der Kreis NOPQ mit dem Mittelpunkt M trägt den Mittelpunkt aller Planeten, die um die Sonne kreisen. Die Durchmesser der drei Kreisbahnen sind gleich. Die Bewegungsrate der Punkte um die Erde sind allesamt gleich, d. h. der Winkel QJD ist gleich dem Winkel NIC, der gleich dem Winkel MAB ist. Anstatt nur einer imaginären, physisch nicht existenten Kreisbahn, die mittlere Sonnenbahn, gibt es nun zwei imaginäre Kreisbahnen, die beide nach Brahe eine wichtigere Rolle spielen als die Sonne selbst.((Es sei anzumerken, daß Tycho Brahes Modell an sich in keiner Weise eine Neuerung des ptolemäischen Systems ist, nicht einmal in Hinsicht auf die Schaffung einer zusätzlichen Kreisbahn um die Erde. Schon Ptolemäus’ Planetenmodell kennt einen anderen Mittelpunkt als die Erde für die Marsbahn. Allerdings beschreibt dieser Mittelpunkt keine Bahn, sondern ist fest.))

An sich ist Brahes Konzept eine neue Variante des Planetenmodells, es bringt aber am deutlichsten zutage, daß im ptolemäisch definierten Universum beliebig viele Modelle (oder Wahrheiten) möglich sind. Denn so verschieden bereits die angeführten Planetenmodelle in Hinsicht auf die sich bewegenden und festen Körper sind, kann sich ein Geist in der Langeweile noch mindestens tausend weitere Modelle erdenken, die die Planetenbewegungen ebenso erklären können. Für alle auftretenden Probleme lassen sich Lösungen finden, und zwar ohne mit der ptolemäischen Schule brechen zu müssen!

Alle führenden Astronomen der römischen Tradition, der Schwindler Claudius Ptolemäus, Kopernikus und Tycho Brahe, scheiterten, weil sie ihre Forschungen auf die Grenzen ihres Aberglaubens, ihre scheinbar sicheren euklidischen oder vergleichbaren aprioristischen Annahmen, beschränkten. Kepler hatte Erfolg, weil er das Gefängnis dieser Annahmen verließ. Er versuchte nicht, den Forschungsgegenstand in allgemein akzeptierten, vorgegebene Begriffe zu definieren, sondern trat aus diesen Annahmen heraus. So entdeckte Kepler ein universelles Naturprinzip außerhalb des Rahmens einer gescheiterten Wissenschaft, die sich in den Fesseln der sophistischen und romantischen Tradition gefangen halten ließ …((Lyndon LaRouche, „Dynamik und Ökonomie“, FUSION, 1/2007))

Keplers Revolution

Lyndon LaRouche, Wissenschaftler der physischen Wirtschaft und Universalgelehrter, beschreibt Keplers Arbeit als eine Rückkehr zum antiken Konzept der Sphärik.((Siehe Lyndon LaRouche, „Wernadskij und das Dirichlet-Prinzip“, FUSION, 2/2005.)) Mit Sphärik ist eine Astronomie gemeint, die sich nach den physikalischen Kräften des Universums richtet, d. h. es wird nach universellen Wirkprinzipien gesucht. Anstatt nach geometrischen Erklärungsmodellen Ausschau zu halten, gilt es bei der Sphärik, aus den Erscheinungen die ursächliche Kraft zu erkennen und zu bestimmen. Wir bewegen uns also von diesem Standpunkt in einem ganz anderen, höheren Bereich als der Geometrie, nämlich in der physischen Realität.

Keplers Kritik an seinen Vorgängern, die er demütig im erwähnten Werk die „alten Meister“ nennt, zielte deshalb weniger auf die Diskrepanz zwischen der nach den geometrischen Planetenmodellen berechneten Bewegung der Planeten und der tatsächlich beobachteten Position am Nachthimmel, obwohl er die genannte Diskrepanz zum Anlaß für die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Planetenhypothesen nahm. Vielmehr lag ihm daran, die physische Unmöglichkeit der Modelle offen zu legen.

Die Planeten bewegen sich nach den „alten Meistern“ gleichmäßig um den Mittelpunkt, wobei sich ein fester Körper exzentrisch zur Mitte befindet. Wieso ist der Körper nicht im Mittelpunkt zu finden? Wie kann der Planet sich auf seiner Bahn, wenn diese nicht fest oder vorgegeben ist, an einem lediglich geometrisch vorhandenen Punkt orientieren? Wie gelingt es ihm, den richtigen Abstand zu dem Punkt zu halten? Wie kann die Bewegung eines imaginären Punktes wie die mittlere Sonne als Orientierungshilfe für physisch existente Körper dienen?

Werden diese Fragen von dem „belehrten“ Astronomen alter Schule mit einem Schulterzucken beantwortet, also ignoriert, so kommt man der Welt der 1001 Universen gefährlich nahe. Dann scheint kein Modell zu kühn, denn wenn die physische Realität keine Rolle spielt, wird jedes Modell gleichwertig zum nächsten. Es läßt sich, um die damit eintretende Beliebigkeit deutlich hervorzuheben, ein Planetenmodell ersinnen, das entgegen den bisher dargestellten Modellen überhaupt keinen Festkörper kennt. Alle Körper wären Planeten, die sich um… nichts drehen.((Dieser Punkt läßt sich weiter verdeutlichen: Auf der Animationswebsite der amerikanischen LaRouche-Jugendbewegung [http://www.wlym. com/~animations] findet sich im ersten Abschnitt ein Modell, dessen Mittelpunkt der Mond ist.))

Solche Ansätze wären nur erträglich, wenn für ihre Rechtfertigung der Wirkungsbereich auf ein Blatt Papier beschränkt bliebe.((Durch die Reduktion der Erscheinungen auf „flache“ Geometrie wird eine virtuelle Realität erzeugt, die anscheinend ihren eigenen Gesetzen folgt und gegebenenfalls durch Ausbau derselbigen der vorhandenen Realität immer fremder wird. Man möge an Tycho Brahes Modell denken. Es entsteht so eine Art intellektueller Elfenbeinturm, der weit entfernt von der Realität sich als ein Gefängnis für den menschlichen Geist entpuppt. ))

Um dem Universum wirklich auf die Spur zu kommen, sind die Widersprüche zwischen Annahme und Beobachtung genauestens festzustellen. Mit dieser Geisteseinstellung wird die Frage nach dem Sitz des Weltmittelpunkts, ob Sonne oder Erde, erst einmal zweitrangig. Obwohl Kepler immer wieder betonte, daß er ein Anhänger der Hypothese von Kopernikus sei, ließ er diese Streitfrage offen, bis sie sich aus der dämmernden Erkenntnis heraus wie von selbst löste. Vorrangig für ihn war nicht die Frage: „Welcher Körper bewegt die Planeten?“ Die wichtigere Frage nach Kepler ist: „Welches Prinzip bewegt die Planeten?“ Auf der Suche nach den Ursachen der Bewegungen läßt Kepler die mittlere Sonne beiseite, da er bemerkt, daß die Feststellung der Opposition mit der mittleren Sonne die Hypothese für die Marsbahn verfälscht.((Siehe 6. Kapitel der Neuen Astronomie.)) Die mittlere Sonne erweist sich als ein viel zu grobes Werkzeug, um die feinen Diskrepanzen der auftretenden Ungleichheiten bei den Planetenbewegungen messen zu können. Kepler stellt statt dessen eine erste Hypothese für die erste Ungleichheit der Marsbewegung mit Hilfe der Bestimmung von wahren Oppositionen von Mars, Erde und Sonne auf. Durch die Verwendung der Beobachtungsdaten bei Oppositionszeitpunkten mit der wahren Sonne befreit er die Marsbewegung von der zweiten Ungleichheit. Mit Hilfe der ptolemäischen Axiome und den von den Störungen der Berechnungen mit der mittleren Sonne bereinigten Daten gelingt ihm die Bildung einer eigenen Hypothese, die allerdings den Beobachtungen außerhalb der akronychischen Lagen((Die Oppositionszeitpunkte von Erde und Mars mit der Sonne dazwischen. )) nicht gerecht wird. Da die Werkzeuge der „alten Meister“ hiermit erschöpft sind, ist Kepler gezwungen, auf einem genuinen Entdeckungspfad die Gesetzmäßigkeiten der Naturprinzipien des Universums zu erkunden und damit die astronomische Lehre als Ganze zu revolutionieren. Eine wahrhaft neue Astronomie!

Der Zusammenbruch eines Imperiums

Als notwendiges Nebenprodukt dieses Entdeckungsprozesses von Kepler findet die fiktive mittlere Sonne, die den Standpfeiler der imperialen astronomischen Lehre nach Ptolemäus bildete, ein jämmerliches Ende. Folgt man den „alten Meistern“ in der Logik ihrer Hypothesen, wie es Kepler sehr rigoros tut, so tritt nach vollständigen Umdrehungen des Mars eine Veränderung in der Größe der Planetenbahn auf. Die Sichtwinkel variieren leicht zur nachgerechneten Position, was apologisch als eine Variation in der Größe des Marsepizykels nach Ptolemäus, als eine Variation in der Größe der mittleren Sonnenbahn nach Brahe oder als eine Variation in der Größe der Erdbahn nach Kopernikus gedeutet wurde (siehe Kasten).

Anders beschrieben fingen nach den „alten Meistern“ die genannten Kreisbahnen in gewissen Zeitabständen an zu pulsieren, d. h. mal größer, mal kleiner zu werden.((Siehe 22. Kapitel der Neuen Astronomie.)) Kepler zeigt daraufhin, daß die mysteriöse Zu- und Abnahme der Größe der Planetenbahnen sofort aufhört, wenn die mittlere Sonnenbahn nach Ptolemäus und Brahe bzw. die Erdbahn um die mittlere Sonne nach Kopernikus exzentrisch zur Erde nach Ptolemäus und Brahe bzw. zur mittleren Sonne verschoben wird, wobei die Erde bzw. die mittlere Sonne Ausgleichpunkt der Planetenbewegung bleibt, allerdings jetzt exzentrisch zur Bahn steht. Besitzt die mittlere Sonnenbahn nach Brahe und Ptolemäus einen exzentrischen Ausgleichpunkt, trifft dasselbe für die tatsächliche Sonnenbahn zu. Denn bei der mittleren Sonnenbahn handelt es sich schließlich um eine parallele Kreisbahn zur tatsächlichen Sonnenbahn.((Siehe auch Abbildungen 2 und 4. )) Also erhält die Sonnenbahn bzw. Erdbahn konsequenterweise ebenso einen exzentrischen Ausgleichpunkt wie schon die Marsbahn zuvor bei Ptolemäus. Es wird deutlich, daß die mittlere Sonne die Achillesferse des römischen Systems ist. Mit der Widerlegung des Postulats der mittleren Sonne begründet Kepler die Schule der Astrophysik und läutet so das Ende der imperialistischen Astronomie ein, denn Kepler wies mit seiner Arbeit die Existenz einer das Universum ordnenden Kraft nach.

Mit Keplers Werk ist darüber hinaus mit Gewißheit belegt worden, daß der Mensch potentiell in der Lage ist, über seine tierähnlichen Sinne hinaus das Universum in seiner Natur zu begreifen. Die immense Wichtigkeit der Arbeit Keplers ist zweierlei: Einerseits gelingt ihm eine revolutionäre Einsicht in die Ordnungsprinzipien des Universums. Andererseits, und das möchte ich besonders hervorheben, erbrachte er den Beweis der Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Der Mensch hat schöpferische Fähigkeiten, die ihn über jedes andere Lebewesen erheben.

Mit dieser Erkenntnis im Geiste stellt sich die Frage: Was für einer Gesellschaftsform bedarf es, um jedem Menschen die Möglichkeit der Ausbildung seiner kreativen Fähigkeiten zu eröffnen? Es bedarf einer, in der die menschliche Kreativität ausdrücklich das höchste Gut einer Gesellschaftsordnung darstellt, und dieses zu schützen und zu fördern die herausragende Aufgabe eines Staates ist. Diese Geisteshaltung war es, die die Revolution Amerikas hervorbrachte und der jungen Republik und ihrer Verfassung eine eindeutige Richtung gab.

Betrachtet man die Verfassung der französischen Republik des 18. Jahrhunderts aus diesem neu gewonnenen Blickwinkel, tritt dessen humanistische Armut klar zutage. Die Gleichheit aller Menschen wird postuliert, was nominell einen Bruch mit der bestialischen gesellschaftlichen Ordnung des oligarchischen Europas markierte. Und doch ist die Gleichheit auf gewisse Weise nicht befreiend, sondern man einigte sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner: Vorher teilte sich die Gesellschaft absolut nach Herkunft und Abstammung. Adelsfamilien erklärten sich von Gott erwählt zu herrschen, während der Rest der Bevölkerung ihnen zu ihrer Ernährung und Unterhaltung dienen mußte. Menschen lebten wie Tiere. Als diese Ordnung aufgebrochen wurde, entzündete sich eine rasende Wut im Volke, die den feudalen Apparat in Frankreich niederriß und vernichtete. Spätestens mit der Köpfung des entthronten französischen Königs war klar, daß eine bestialische Ordnung, basierend auf infantiler Willkür nicht überwunden war, sondern höchstens ihr Gewand wechselte. Somit hatte man sich des tierhaften Paradigmas einer Gesellschaft nicht entledigt, sie schlummerte auch unter den Bedingungen der neuartigen Gesetze des Zusammenlebens, um unter gegebenen Umständen wieder hervorzubrechen und Zerstörung zu bringen. Diese tragische Mechanik verfolgt die politische Geschichte Europas und läßt sich bis zum heutigen Tage nachverfolgen.((Fast alle sich als „links“ oder „sozialistisch“ begreifenden politischen Bewegungen haben sich in der europäischen Geschichte hindurch der Idee von Gerechtigkeit als Gleichmachung zu jedem Preis verschrieben. Das begründet auch ihr wiederholtes Scheitern bei ihrem teilweise sogar ehrlich gemeinten Unternehmen der Verbesserung einer Gesellschaft. Doch das ist der Preis, den man zahlt, wenn man sich zum Erreichen dieses Ziels einer politischen Rückständigkeit in der Bevölkerung bedient, die der eigentliche Grund für die sozial miserable Situation der Mehrheit derselbigen ist.))

Um mit dieser europäischen, oder besser römischen, Tradition zu brechen, bedarf es einer Revolution. Denn daß der Mensch im Ebenbild des Schöpfers geschaffen ist, ist keine sentimentale Wunschvorstellung, sondern physische Realität. Sie ist beweisbar und als Idee lebensnotwendig zur Rettung der menschlichen Zivilisation zum Zeitpunkt der weltweiten Desintegration einer Finanzordnung. Wird man sich der kulturellen politischen Rückständigkeit in Europa wieder bedienen können, oder wird die Amerikanische Revolution endlich die Küsten Europas wirklich erreichen? Seien Sie auch ein Entscheidungsfaktor dieser historischen Frage. Denn das revolutionäre Potential dafür schlummert in den Hinterlassenschaften der großen Dichter und Denker Europas. Helfen Sie mit, die Samen der Amerikanische Revolution endlich hier zum Sprießen zu bringen. Das Studium von Kepler, Schiller und LaRouche wird Ihnen dabei helfen.


Variationen der Größe des Marsepizykels bei den „alten Meistern“

Nach Ptolemäus: C ist die Erde, um die sich alle Planeten drehen. Mars J, F bewegt sich auf einem Epizykel gleichmäßig um dessen Mittelpunkt F, der wiederum auf einer Kreisbahn um die Erde getragen wird. Die Kreisbahn KL ist die Bahn der mittleren Sonne, deren Bewegung ebenso gleichmäßig und in der gleichen Rate um die Erde getragen wird, wie der Mars um F rotiert. Durch die Differenz der Sichtwinkel a, b von der Erde in Richtung der Marspositionen, welche einen rechten Winkel zur mittleren Sonne bilden, scheint die Größe des Epizykels zu schwanken. Mal ist dessen Radius JF, mal FH. Dadurch, daß alle Epizykel dieselben Eigenschaften wie die Kreisbahn KL der mittleren Sonne haben, fängt konsequenterweise mit der Zu- und Abnahme des Radius des Marsepizykels auch die mittlere Sonnenbahn an zu pulsieren.

Nach Brahe: Die Erde C befindet sich im Zentrum der Welt. Die Kreisbahn KList die mittlere Sonnenbahn mit der Erde C im Zentrum. J, H sind Positionen des Mars nach ganzen Umläufen. Die Strecken JK und HL sind parallel zueinander. Da die Beobachtungswinkel a, b zu diesen Zeitpunkten unterschiedlich sind, sind die Entfernungen CL und KC verschieden. Die mittlere Sonnenbahn scheint zeitweise in ihrer Größe zu schwanken, mal hat sie den Radius KC, mal CL. Die mittlere Sonnenbahn pulsiert.

Nach Kopernikus: C ist der Mittelpunkt der Erdbahn, um den sich die Erde E, D gleichmäßig bewegt. F ist der Mars, der genau einen rechten Winkel mit der mittleren Sonne C und den jeweiligen Positionen der Erde E, D bildet. Da die Sichtwinkel Richtung Mars (a, b) nicht gleich groß sind, der Punkt der gleichen Bewegung, d. h. die mittlere Sonne C, aber im Zentrum liegt, muß die Erdkreisbahn in ihrer Größe schwanken: Einmal besitzt sie den Radius EC, das nächste Mal CD. Die Erdbahn scheint zu pulsieren.

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