Mord an Kepler im Namen der Oligarchie

Der Fall Kepler: Mord im Namen der Wissenschaft von Joshua Gilder und Anne-Lee Gilder; List Taschenbücher bei Ullstein; 318 Seiten


Das 2004 in englisch erschienene Buch von Joshua Gilder und Anne-Lee Gilder „Heavenly intrigue“ wurde in drei Auflagen zwischen 2005 und 2007 auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Der Fall Kepler“ herausgebracht. Die These des Buches lautet, Johannes Kepler sei aufgrund seines zerrütteten Elternhauses nie in der Lage gewesen, Freundschaften zu entwickeln, was letztlich dazu geführt habe, daß Kepler den Astronomen Tycho Brahe umgebracht hätte. Kepler habe sich, so behaupten die Autoren, in eine realitätsfremde Welt der Wissenschaft und des Ehrgeizes geflüchtet, in der er den unbändigen Ehrgeiz entwickelt hätte, an die Meßergebnisse seines Freundes und Forscherkollegen Tycho Brahe heranzukommen und dabei auch vor Mord nicht zurückgeschreckt sei.

Wissenschaftliche Arbeit, wie sie in der Geschichte des Buches dargestellt wird, ist das abgegriffene Konzept des Wissenschaftlers zwischen Genialität Wahnsinn, dessen Kreativität Unberechenbarkeit bedeutet und man nie weiß, was sein nächster Schritt sein wird. Genie sei angeboren, und Wahnsinn sei die zwangsläufige Konsequenz, wenn ein Genie unter nicht genialen Menschen lebt. Eine solche Vorstellung von wissenschaftlicher Arbeit reflektiert ein Menschenbild, das zutiefst pessimistisch und zerstörerisch ist – das Menschenbild der Oligarchie und des Adels. Wenn man Menschen so betrachtet, ist es in der Tat unmöglich, Wissenschaft zu verstehen oder gar selbst zu betreiben.

Dabei ist es schon fast typisch, daß die Autoren dieses Kepler-Buchs selbst keinerlei wissenschaftlichen Hintergrund haben, eigentlich das genaue Gegenteil. Ann Lee Gilder war Journalistin bei der ARD, wo sie eigentlich professionelle Recherche gelernt haben sollte, aber offenbar ist sie zum Opfer der Medienwelt geworden, in der es heißt, reißerisch ist besser als wahrheitsgemäß. Ihr Mann Joshua Gilder hat eine berufliche Laufbahn hinter sich, die gerade in Hinblick auf das Denken der Oligarchie einige Fragen aufwirft. In einem Interview äußerte er einmal, eine Lese-Rechtschreibschwäche zu haben, es aber doch geschafft zu haben, Journalist zu werden und für angesehene amerikanische Zeitungen zu schreiben. Trotz seiner Schreibprobleme wurde er dann Redenschreiber für Vizepräsident George Bush sr. und später auch für Präsident Reagan. In seiner weiteren Karriere arbeitete er mit John Rockefeller bei der Herausgabe von dessen Memoiren zusammen, und beide gründeten die Rockefeller Group. Heute arbeitet Joshua Gilder in einer Beratungsfirma für Wirtschaft. Die Frage ist, warum die beiden Gilders mit ihrem Buch und den darin enthaltenen Lügen ein oligarchisches Bild der Wissenschaft gesellschaftsfähig zu machen versuchen.

Die beiden Autoren mit diesem persönlichen Hintergrund sind entweder dumm, wenn sie so schlampig nachforschen und nicht selbst entdecken, daß sie Absurdes behaupten, oder verfolgen mit der Herausgaben ihres Buches eine ganz andere Absicht.

Seit langer Zeit gibt es den Trend, daß wirkliche Wissenschaft immer mehr reinem Aberglauben und einer medialen Sensationsgeilheit weichen muß, und der „Fall Kepler“ bedient diesen Trend im Extrem. Es wäre im Gegenteil unabdingbar, die klassische Wissenschaftstradition wiederzubeleben und die Originalwerke der größten Geister der Menschheit zu studieren, um wirklich zu verstehen, wer sie waren. Nicht das Leben ist es, das die Werke hervorbrachte, sondern die Werke eines Menschen bestimmten sein Leben, und nur von diesem Standpunkt ist eine kompetente Betrachtungsweise des Lebens historischer Persönlichkeiten möglich.

Eine andere Herangehensweise

Liest man Kepler selbst, so stellt man fest, daß seine Arbeit von der Idee getragen war, daß das Universum, in dem wir leben, nicht chaotisch ist, sondern eine harmonische Ordnung hat und der menschlichen Erkenntnis zugänglich ist. Der junge Kepler hatte in seinem Theologiestudium die Ideen des Kardinals Nikolaus von Kues kennengelernt und daraus geschlossen, daß die Welt eindeutig nicht chaotisch und daher verstehbar ist. Er folgerte daraus einfach, da die Dinge sind, wie sie sind und nicht anders, muß es eine Ursache dafür geben, daß sie genau das sind, was sie sind. Gleichzeitig war Kepler durch das Studium der cusanischen Schriften nicht so anmaßend anzunehmen, man könne alles allumfassend wissen, aber der Mensch wäre in der Lage, einzelne universell gültige Prinzipien zu entdecken; und je mehr solche Prinzipien der Mensch kennt, um so größer wird sein Verständnis von der Welt, die ihn umgibt. Auch könnte der Mensch Prinzipien entdecken, die den jetzt schon bekannten übergeordnet sind.

Auf dieser Erkenntnis basierte bereits Keplers Anfangswerk Mysterium Cosmographicum, das er mit 25 Jahren schrieb, und diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes Leben hindurch. Die Entdeckung der Gravitation als harmonisches Ordnungsprinzip im Universum basiert auf diesem fundamentalen Glauben an die Natur des Universums. Etwas neues zu entdecken und zu verstehen, erfordert einen Geist, der nicht durch Eigennutz und Egoismus verschlossen ist.

Keplers Charakter wird für jeden deutlich, der sich die Mühe macht, seine Werke selbst zur Hand zu nehmen, denn seine Schriften sind wie Notizbücher geschrieben, in denen er kontinuierlich Ideen entwickelt, prüft, verwirft oder beibehält. Das ist die Arbeitsweise eines Menschen, der weder eigennützig noch egoistisch war, sondern von der Idee getrieben wurde, die Menschheit ein Stück näher an das Verständnis der Schöpfung heranzuführen. Genau das muß auch Tycho Brahe in seinem Schüler gesehen haben, denn sonst
hätte er nicht bereits vor seinem Tod Kepler seine wichtigsten Messungen vermacht.

Die LaRouche-Jugendbewegung hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Geist der Wissenschaft, den Kepler repräsentierte, wiederzubeleben und all jenen den Kampf anzusagen, die mit scheinheiligen soziologischen Erläuterungen ohne wissenschaftliche Kenntnis des eigentlichen Themas den gesunden Menschenverstand zu verleugnen versuchen. Im „Fall Kepler“ traf es den größten Astronomen der Menschheitsgeschichte, aber das gleiche geschah auch mit den Raumfahrtprogrammen der 60er und 70er Jahre oder erst jüngst mit dem Transrapid in München. Auch die Politik muß von wissenschaftlicher Erkenntnis getragen sein, denn sonst dreht sie sich nur um bloße Meinungen, und wohin das führt, sehen wir heute deutlicher denn je.

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