Nur mit kostengünstigem, stets verfügbarem Strom wird Afrika eine produktive Zukunft haben. Die Kernenergie ist dafür unverzichtbar. Viele afrikanische Staaten sind sich dessen zunehmend bewußt – von Südafrika und Sambia bis Ägypten und Algerien, von Ghana, Nigeria und Niger bis Kenia, Uganda und anderen.
Die von den Kolonialmächten erzwungene technologische Apartheid hat dazu geführt, daß die Nuklearwissenschaft und -technologie bisher weitgehend von Afrika ferngehalten wurde. Doch trotz der massiven Anti-Atom-Propaganda wird Vielen in Afrika immer klarer, daß die Kernenergie die billigste und sicherste Stromquelle ist.1 Um die Kernenergie nutzen zu können, werden in Afrika große Anstrengungen unternommen, um das wissenschaftliche und ingenieurtechnische Personal für den Bau und Betrieb von Kernkraftwerken auszubilden. Ein Weg sind kleine Reaktoren.
Warum kleine „modulare“ Reaktoren? – Ein gewöhnliches Kraftwerk eignet sich am besten für große städtische Gebiete oder für ein Gebiet, das über ein gut ausgebautes Stromnetz und über Transportmöglichkeiten verfügt, die eine einfache Versorgung des Netzes ermöglichen. So kann das Kraftwerk seinen Strom effizient an Millionen von Verbrauchern liefern. Was aber, wenn man es mit kleineren, verstreut lebenden Bevölkerungsgruppen in Regionen zu tun hat, die kein oder nur ein sehr schlechtes Strom- oder Straßennetz haben – wie es in Afrika häufig der Fall ist? Dann ist es besser, kleinere Anlagen zu bauen, als lange Übertragungsleitungen durch unerschlossenes Land zu verlegen.
Sobald sich eine solche Region weiterentwickelt, ist es wirtschaftlicher, zusätzliche kleine Reaktoren gleicher oder sehr ähnlicher Größe und Bauart in derselben Kraftwerksanlage einzurichten, als neue Standorte für völlig neue Kraftwerke zu erschließen oder einen viel größeren Reaktor anderer Bauart am selben Standort zu errichten.
Solche Minireaktoren werden als „Modulare Kleinreaktoren“ (SMR) bezeichnet, denn eine Reihe identischer oder nahezu identischer Reaktoren teilen sich im selben Kraftwerk Infrastruktur und Personal, und ihre Teile und Betriebsprotokolle sind alle sehr ähnlich und austauschbar. Ihre geringere Größe bedeutet, daß mit der gleichen Investition in der Reaktorfertigungsanlage mehr Einheiten hergestellt werden können, was zu einer schnelleren Betriebserfahrung in allen Phasen des Reaktorlebenszyklus führt. Zudem können die Reaktorkerne (die den Brennstoff enthalten) leicht in wenigen Teilen an Orte transportiert werden, wo schwere Lastkähne und Lastwagen nicht hinkommen.
Mehrere kleine Reaktoren in einem Kraftwerk verbessern auch die Redundanz, so daß ein Reaktor zu Wartungszwecken abgeschaltet werden kann, ohne daß das lokale Netz gleich zusammenbricht. Bei SMR-Einsatz ist die Entscheidung, einen weiteren hinzuzufügen, auch weniger einschneidend, so daß es einfacher ist, das Stromangebot der Nachfrage anzupassen und auch die Stromerzeugung zu finanzieren, sofern die Wirtschaftlichkeit bei den Minireaktoren gegeben ist.
Derzeit befinden sich mehr als 80 Entwürfe für solche kleinen Kernreaktoren in der Entwicklung, vor allem in den Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien, China und Rußland. Im Jahr 2020 veröffentlichte die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) eine aktualisierte Fassung ihres SMR-Buches Advances in Small Modular Reactor Technology Developments („Entwicklungsfortschritte der Technologie kleiner modularer Reaktoren“) mit Beiträgen von Entwicklern zu mehr als 70 Konzepten.
Ein Entwurf wurde jedoch speziell mit Blick auf die Bedürfnisse der Entwicklungsländer entwickelt – der südafrikanische HTMR-100 (Abbildung 1). Dieses fertige Konzept stammt von dem privaten Unternehmen Stratek Global, dessen Gründer und Geschäftsführer der Kernphysiker und Ingenieur Dr. Kelvin Kemm ist. Bei Stratek Global arbeiten Experten mit drei Jahrzehnten Erfahrung in Entwicklung und Forschung, die zu diesem Ergebnis geführt haben. Der Entwurf des HTMR-100 wird im SMR-Buch der IAEO auf den Seiten 171-174 beschrieben. (Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lautete der Firmenname noch STL Nuclear (Pty.) Ltd.) Hier ein kurzer Abriß der Geschichte.
Der modulare Kugelhaufenreaktor PBMR
Der Vorläufer des HTMR-100 war der Kugelhaufenreaktor PBMR-400,2 ein in Südafrika entwickeltes Design für einen gasgekühlten thermischen (langsamen) Neutronenreaktor. Er basiert auf dem Reaktor AVR, der 1967 im Rahmen des deutschen Entwicklungsprogramms für Hochtemperaturreaktoren (HTR) in Jülich in Betrieb genommen wurde und 22 Jahre lang erfolgreich arbeitete.3 „Pebble bed“ („Kugelhaufen“) bezieht sich auf den Brennstoff, der in Form von billardballgroßen Kugeln (den „Pebbles“) aus glattem und glänzendem Graphit vorliegt. Im Inneren jeder Kugel befinden sich viele mohnsamengroße, speziell beschichtete Kernbrennstoffkörner.
Die Kugeln werden über ein Rohr oben in den Reaktor eingespeist; sie bleiben so lange im Reaktor, bis sie hinlänglich verbraucht sind, und werden dann unten herausgelassen, während oben neue hinzugefügt werden. Der Reaktor muß zum Nachfüllen nie abgeschaltet werden (siehe Abbildung 2).
Südafrikanische Wissenschaftler begannen sich für das Kugelhaufen-Konzept zu interessieren, als einer von ihnen, Johan Slabbert von der südafrikanischen Atomenergiebehörde – dem Vorläufer der heutigen staatlichen South African Nuclear Energy Corporation (NECSA) – 1988 Deutschland besuchte. Er und zwei andere Partner gründeten 1993 die PBMR (Pty.) Ltd. Es sei daran erinnert, daß nicht nur Südafrika, sondern auch China und Japan das HTR-Programm fortsetzten, als Deutschland 1990 daraus ausstieg – was schon damals das Ende des gesamten, einst weltweit führenden deutschen Nuklearsektors einläutete.
Der Erfinder des Hochtemperaturreaktors, Professor Rudolf Schulten, starb 1995, zwei Wochen nachdem er ein entscheidendes Abkommen mit Südafrika über die Weitergabe der HTR-Technologie (des AVR in Jülich) unterzeichnet hatte.4
Südafrikas staatliches Stromversorgungsunternehmen Eskom verpflichtete sich nach Abschluß einer detaillierten Machbarkeitsstudie im Jahr 2002 zunächst zur Installation von PBMRs mit einer Mindestleistung von 1100 MWe (Megawatt elektrisch), beginnend mit einem „Strategischen Nationalen Demonstrationsprojekt“, dessen Bau 2007 beginnen und bis 2011 abgeschlossen sein sollte. Darüber hinaus plante Eskom, mehr als 4000 MWe in Form von PBMRs und mehreren weiteren wassergekühlten Reaktoren vom Typ Koeberg zu bauen.
Diese zukunftsorientierten Projekte sind dem Menschenfeind George Soros und seiner Open Society Foundation (OSF) nicht entgangen. Sie begannen spätestens 1999 damit, das PBMR-Konzept zu hintertreiben, indem sie einen Bericht des britischen Kernkraftgegners Steve Thomas aus dem Jahr 1999 hochspielten, worin dieser behauptete, der PBMR sei nicht sicher. Thomas stützte sich dabei auf die fehlerhafte Auslegung von AVR-Daten durch den deutschen Whistleblower Rainer Moormann. Die Behauptungen von Moormann und Thomas hielten wissenschaftlicher Kritik nicht stand,5 wurden aber trotzdem weit gestreut. Jahrelang wetterte Thomas gegen den PBMR. Seine Tiraden wurden in Südafrika durch Earthlife Africa publiziert und stießen in einigen Regierungskreisen und Gewerkschaften auf offene Ohren. Soros finanzierte außerdem ein Gerichtsverfahren von Earthlife Africa gegen den PBMR.6
China kündigte seinerseits 2005 seine Absicht an, den Versuchsreaktor HTR-10 für die kommerzielle Stromerzeugung auszubauen. Die ersten beiden HTR-Module von je 250 MWt (Megawatt thermisch) sollten in der Shidao-Bucht an der Spitze der Shandong-Halbinsel installiert werden und zusammen eine Dampfturbine mit 210 MWe Leistung antreiben. Der Bau begann im Dezember 2012. Mehr über diese HTR-Module weiter unten.
Das PBMR-400-Design verwendet eine Gasturbine, bei der dasselbe Gas (Helium) sowohl durch den Kern als auch durch die Turbine zirkuliert, wobei das Gas den Kern mit einer Temperatur von bis zu 940 °C verläßt. Die Stromerzeugungskapazität liegt bei 165 MWe.
Auf einer Konferenz über Hochtemperaturreaktoren in Washington, D.C., im Jahr 2008 kam es zwischen Südafrika und China zu einer Zusammenarbeit im HTR-Bereich, um von ihren Synergien zu profitieren. Infolgedessen wurde am 26. März 2009 in Peking eine Absichtserklärung zur erleichterten Zusammenarbeit zwischen PBMR (Pty.) Ltd. und dem Institute of Nuclear and New Energy Technology (INET) der Tsinghua Universität und Chinergy Co Ltd. auf chinesischer Seite unterzeichnet.
Doch im Februar 2010 schlug auf südafrikanischer Seite der „Blitz“ ein: Die Regierung stellte alle Finanzmittel für den PBMR ein. Die weltweite Finanzkrise von 2008 zeigte ihre unheilvollen Folgen. In Pretoria gab es einen Regierungswechsel, und die von Soros finanzierte nukleare Panikmache forderte ihren Tribut. Das PBMR-Projekt wurde eingemottet, und die meisten der 2000 Beschäftigten – unter ihnen Spezialisten mit jahrelanger Erfahrung in dem Projekt – wurden entlassen.7
2016 begann dann ein staatliches Projekt zur Weiterentwicklung des PBMR-Designs als Advanced High-Temperature Reactor 100 (Fortgeschrittener Hochtemperatur-Reaktor, AHTR-100) unter der Schirmherrschaft des südafrikanischem Stromversorgers Eskom. Im Jahr 2019 wurden diese Entwicklungsarbeiten jedoch wegen fehlender Finanzierung wieder eingestellt.
Doch dabei blieb es nicht. Im Jahr 2012 hatte ein Teil des PBMR-Teams das Reaktorkonzept für ein privates Projekt unter dem Firmennamen Steenkampskraal Thorium (Pty.) Ltd., kurz STL Nuclear, aufgegriffen. Ihr Design, der HTMR-100, wurde 2022 fertiggestellt. Heute ist STL Nuclear in Dr. Kemms Unternehmen Stratek Global (Abbildung 3) integriert.
Inzwischen zeigte auch die Regierung wieder Interesse. Im Mai 2019 wechselte das Energieressort von dem Anti-Atomkraft-Minister Jeff Radebe zu dem Pro-Atomkraft-Minister Gwede Mantashe, unter dessen Führung der nationale Ressourcenplan überarbeitet wurde. Anfang Mai 2020 informierte Mantashe das Parlament, daß sein Ministerium an einem Fahrplan für die Beschaffung von 2500 MWe neuer Kernkraftwerke arbeite und daß alle Optionen, einschließlich kleiner modularer Reaktoren, geprüft würden. 2020 richtete die Regierung eine Informationsanfrage an potentielle Anbieter.
Der inhärent sichere HTMR-100
Im Jahr 2022 gründete Dr. Kemm die Firma „Stratek Global“, um mit dieser neuen Firma das gerade fertiggestellte Reaktor-Design, den HTMR-100, zu bauen, der etwa 100 MWt und 35 MWe produzieren soll. Das Helium-Kühlgas verläßt dabei den Reaktorkern bei einer relativ niedrigen Temperatur von 750 °C und zirkuliert direkt – ohne Zwischenkreislauf – durch den Dampferzeuger, um eine gängige Dampfturbine anzutreiben. Die Konstruktion des HTMR-100 hat den Vorteil, daß alle dem Reaktor nachgeschalteten Komponenten handelsüblich erhältlich sind.
Der PBMR und der HTMR-100 wurden so konzipiert, daß Korrosion, Kernschmelze, Explosions- und Feuergefahr, Kühlmittelversiegung und Radioaktivität des Primärkühlmittels ausgeschlossen sind. Nur massive Sabotage, insbesondere die Zerstörung des passiven Wärmeabfuhrsystems, könnte zu einem nennenswerten Austritt von radioaktivem Material führen, und selbst dann wäre er gering im Vergleich zu dem, was bei einer Kernschmelze in wassergekühlten Reaktoren passiert. Aufgrund dieser hohen passiven Sicherheit kann die Anlage mit sachkundigem Personal ohne Ingenieure betrieben werden.
Vier Komponenten sind für diese Sicherheit ausschlaggebend:
- Der extrem hitzebeständige TRISO-Brennstoff,8
- Helium als primäres Kühlmittel,
- Die sehr geringe Überschußreaktivität9 bei der Brennstoffbeladung, wobei es durch die thermische Ausdehnung des Brennstoffs möglich ist, ein „Durchbrennen“ ohne Steuerstäbe zu stoppen, und
- Die passive Ableitung der Nachzerfallswärme (die Wärme, die durch den natürlichen radioaktiven Zerfall eines Isotops in ein anderes entsteht) auf eine Weise, die kein Eingreifen des Betreibers und keinerlei elektrische Energie erfordert.
Die erste Komponente, der TRISO-Brennstoff, der von Professor Schulten in Deutschland für gasgekühlte Reaktoren erfunden und in Pretoria im Rahmen des PBMR-Projekts entwickelt wurde, besteht aus Partikeln mit einem Durchmesser von 0,35 bis 0,40 mm, die von Schichten aus porösem und pyrolytischem Kohlenstoff und Siliziumkarbid mit einem Durchmesser von 0,8 bis 1 mm umgeben sind. Diese werden mit Graphit zu „Kugeln“ von der Größe einer Billardkugel eingeschlossen. Der Graphit dient als Neutronenmoderator (er verlangsamt die Neutronen) und als Reflektor, leitet aber auch die Wärme in die Zwischenräume zwischen den Kugeln, durch die komprimiertes Helium geleitet wird und die Wärme effizient abführt, ohne den Brennstoff davonzutragen. Der TRISO-Brennstoff wurde in Labors in den USA und anderswo ausgiebig getestet, um seine Fähigkeit zur Aufnahme von Spaltprodukten, einschließlich flüchtiger Spaltprodukte (Siedepunkt unterhalb der Brennstofftemperatur), bei Temperaturen von bis zu 1600 °C zu überprüfen.10 Natürlich können die Brennstoffkugeln nicht unbegrenzte Mengen heißer Spaltprodukte enthalten, so daß der Umfang des Brennstoffabbrands (der Anteil der Brennstoffatome, die gespalten werden) begrenzt ist. Die Schichten aus porösem Kohlenstoff und pyrolytischem Kohlenstoff in den Kugeln bieten jedoch ein Maximum an Platz für die flüchtigen Spaltprodukte, wobei eine ausreichende Wärmeleitfähigkeit erhalten bleibt. Das Ergebnis ist, daß der Brennstoff einen dreimal höheren Abbrand erreichen kann als normaler Leichtwasserreaktorbrennstoff.
Die zweite Komponente garantiert die Verwendung von Helium als Primärkühlmittel, daß es zu keinem Brand, keiner Explosion und keiner Freisetzung von radioaktivem Primärkühlmittel kommen kann, denn Helium ist nicht nur der chemisch inerteste aller Stoffe, sondern auch der resistenteste gegen Neutronenaktivierung (Anlagerung eines Neutrons an den Atomkern), wodurch nichtradioaktive Stoffe in einem Kernreaktor radioaktiv werden können. Zwar ist Helium aufgrund seiner geringen Wärmekapazität pro Volumeneinheit und seiner geringen Wärmeleitfähigkeit nicht das effizienteste Wärmeträgermedium, aber die Wärmetoleranz des TRISO-Brennstoffs und die sehr geringe Dichte und Nichtviskosität von Helium ermöglichen einen schnellen Durchfluß des Heliums mit minimaler Pumparbeit und einen adäquaten Wärmeabtransport. Da das primäre Kühlmittel nicht radioaktiv ist, wird kein zwischengeschalteter Wärmeübertragungskreislauf benötigt; das Helium kann direkt in eine Turbine geleitet werden, die nicht für hochradioaktives Material ausgelegt ist, was natürlich kostengünstiger ist.11
Dank der gleichen Inertheit und Nicht-Radioaktivität des Primärkühlmittels können radioaktive Stoffe durch Filterung leicht aus dem Kühlmittel herausgehalten werden. Die Konstruktion sieht eine kontinuierliche und gründliche Filterung des Heliums vor, so daß im Falle einer Überhitzung des Kerns und eines Druckanstiegs nur reines Helium – ohne radioaktive Verunreinigungen – abgelassen wird, um den Druck wieder zu normalisieren.
Das einzige Containment-Gebäude, das dieser Reaktor braucht, ist einer, der geeigneten Schutz gegen Eingriffe von außen unterbindet, und selbst der muß nicht unüberwindlich sein. Wenn der Kern aufgerissen wird und die in Graphit eingeschlossenen Kugeln und der sie umgebende Graphitzylinder der Luft ausgesetzt werden, glüht der Graphit aufgrund seiner Temperatur rot auf, verbrennt aber nicht, da der Graphit mit Ausnahme der innersten Schicht, die in jedem winzigen Teilchen mit dem Brennstoff in Berührung kommt, sehr porenarm ist. Wenn sich die Brennstoffpartikel ausbreiten und nicht mehr von Graphit umgeben sind, wird der Brennstoff unterkritisch, wodurch die Spaltungskettenreaktion gestoppt wird, und er wird kühler, wenn er der Luft ausgesetzt wird.
Die dritte Komponente: Der PBMR und der HTMR-100 sind so konstruiert, daß die thermische Ausdehnung des Brennstoffs die Kettenreaktion stoppt, ohne daß ein plötzliches Einschieben von Kontrollstäben zur Absorption von Neutronen erforderlich ist, falls der Fluß des Primärkühlmittels stoppt oder die Wärmesenke verloren geht. Die extrem hohe Temperaturtoleranz des Brennstoffs, das Fehlen überschüssiger Reaktivität und die Tatsache, daß das Primärkühlmittel bereits gasförmig und inert ist, machen dies zu einer Gewißheit, da ein großer Temperaturanstieg erfolgen müßte, bevor Probleme auftreten, während nur ein geringer Anstieg erforderlich ist, um den Reaktor unterkritisch werden zu lassen und die Kettenreaktion zu stoppen, bis der Brennstoff wieder auf normale Betriebstemperatur abgekühlt ist.
Wie bei anderen nichtbrütenden Reaktoren hat der neue Brennstoff, der in diesen Reaktor eingebracht wird, eine Überschußreaktivität, bis ein Teil seines ursprünglichen Spaltstoffgehalts verbraucht ist. Der Reaktor als Ganzes weist jedoch keine Überschußreaktivität auf, da der Brennstoff automatisch oben zugeführt und unten entnommen wird – alle paar Minuten eine Kugel –, ohne daß der Reaktor angehalten werden muß. Beim HTMR-100 mit einem Brennelementeumfang von etwa 150.000 Kugeln werden pro Tag 125 bis 150 Kugeln hinzugefügt und entfernt.
Die vierte Komponente: Die passive Abfuhr der Nachzerfallswärme nach Beendigung der Spaltungskettenreaktion12 ist bei heliumgekühlten Reaktoren wesentlich weniger kostspielig als bei wassergekühlten Reaktoren, da erstere wesentlich höhere Primärkühlmitteltemperaturen tolerieren müssen. Wenn sich Wasser auch nur geringfügig überhitzt,13 verdampft es, wodurch die Wärmeabfuhr aus dem Brennstoff drastisch abnimmt, und wenn sich die Zirkonium-Brennstoffhüllen überhitzen, reagieren sie mit dem Wasserdampf exotherm (unter Freisetzung von Wärme), wobei Wasserstoffgas entsteht, das brennbar und potentiell explosiv ist.
Materie leitet Wärme mit einer Geschwindigkeit, die proportional ist zum bestehenden Temperaturgefälle oder zur Temperaturänderung pro Entfernungseinheit innerhalb der Materie, und strahlt Wärme mit einer Geschwindigkeit ab, die proportional zur vierten Potenz der absoluten Temperatur der Materie ist. So strahlt ein Reaktor, der mit einer Ausgangstemperatur von 750 °C (1023 K) betrieben wird, wie der HTMR-100, mehr als achtmal schneller ab als ein typischer Druckwasserreaktor mit 340 °C (613 K), während er Wärme 2,3-mal schneller leitet,14 wobei alle anderen Faktoren gleich bleiben.
Der HTMR-100 benötigt keine Isolierung um die Metallwand des Druckbehälters, denn dieser strahlt Wärme in einen Hohlraum ab, der passiv durch wassergefüllte vertikale Rohre gekühlt wird, die sich in dem Hohlraum befinden und an der Hohlraumwand in einiger Entfernung vom Druckbehälter befestigt sind. Wenn das Wasser in den Rohren siedet, steigt es aus dem Hohlraum zu den Kühlern außerhalb des Gebäudes auf, wo es überirdisch kondensiert und dann zu den Rohren im unterirdischen Hohlraum zurückströmt. Der Hohlraum aus vorgespanntem Beton ist ein Niederdruckbereich, der unter dem Umgebungsluftdruck liegt und dazu dient, austretendes Helium-Kühlmittel aufzufangen, bis es gefiltert werden kann, bevor es aus dem Gebäude entweicht. Der Hohlraum begrenzt den Wärmeverlust durch Leitung und Konvektion aus dem Druckbehälter, ermöglicht aber die Abstrahlung von Wärme über den Hohlraum zu den Wasserrohren.
Die Leistungsdichte (pro Volumeneinheit des aktiven Bereichs des Reaktorkerns) ist viel niedriger als bei wassergekühlten Reaktoren – etwa 19mal niedriger beim PBMR-400 und noch niedriger beim HTMR-100, da Helium ein viel schlechteres Wärmeübertragungsmedium ist als Wasser. Das bedeutet, daß ein größerer Reaktorkern benötigt wird, um die gleiche Energiemenge zu erzeugen,15 der jedoch nicht teurer im Bau oder weniger haltbar sein muß. Der Graphit schirmt die metallische Kernwand gegen Neutronenschäden und die hohen Temperaturen im aktiven Bereich ab.
Der Gasdruck im PBMR ist zwar hoch, aber immer noch viel geringer als in Druckwasserreaktoren, die mit etwa 150 Atmosphären arbeiten, so daß die Kernwand nicht so stark sein muß. Da das primäre Kühlmittel bei allen im Reaktor möglichen Temperaturen und Drücken gasförmig ist, besteht keine Gefahr, daß der Druck bei einem Stromstoß oder einem Ausfall der Kühlung durch das Sieden einer Flüssigkeit plötzlich sehr viel höher wird.16 Daher muß das Containment-Gebäude nicht viel größer sein als der Reaktor.
Die hohe Abgabetemperatur des Primärkühlmittels läßt sich wirtschaftlich als industrielle Prozeßwärme nutzen, wenn es geeignete Industrieanlagen in der Nähe gibt. Die hohe Abgabetemperatur ermöglicht auch eine effizientere Umwandlung von Wärme in Strom, wodurch der passive Wärmeverlust während des normalen Betriebs mehr als ausgeglichen wird.
Fortschritte mit dem HTMR-100
Der HTMR-100 befindet sich nicht mehr in der Entwurfsphase, Forschung und Entwicklung sind abgeschlossen. Jetzt muß er gebaut werden. Auf einer Pressekonferenz am 19. März 2024 in Pretoria, an der Vertreter von C5 Capital, der Southern African Agri Initiative (SAAI) und Dr. Kemm für Stratek Global teilnahmen, wurde ein Durchbruch zur Finanzierung für den Bau des ersten Reaktors bekannt gegeben. Die Partner erklärten:
„Die Southern African Agri Initiative (SAAI) und C5 Capital, eine Pionier-Investmentfirma mit Sitz in Washington, D.C., die sich auf fortschrittliche Kernenergielösungen spezialisiert hat, geben heute eine bahnbrechende strategische Partnerschaft bekannt. Ziel dieser Allianz ist es, die Entwicklung innovativer nuklearer Lösungen zur Förderung der Landwirtschaft und zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit in Südafrika und auf dem gesamten afrikanischen Kontinent voranzutreiben. Diese Initiative stellt nicht nur einen bedeutenden Schritt in Richtung alternativer Energielösungen für Regionen dar, die unter einer unsicheren Energieerzeugung leiden, sondern setzt auch den Maßstab für ähnliche Projekte in ganz Afrika. Die Partnerschaft beruht auf der gegenseitigen Verpflichtung, fortschrittliche Nukleartechnologie zu nutzen, um landwirtschaftliche Verfahren zu revolutionieren, natürliche Ressourcen zu erhalten und die Ernährungssicherheit zu verbessern. Im Rahmen der Zusammenarbeit soll die Anwendung modernster Nukleartechniken erforscht werden, um unter anderem die landwirtschaftliche Produktivität, das Tierwohl, die Lebensmittelsicherheit und -qualität sowie Land- und Wassermanagement zu verbessern.“
Die Partnerschaft setzt sich für das gesamte Spektrum der Nukleartechnologien ein und soll laut SAAI „den Agrarsektor durch die innovative Anwendung der Kugelhaufen-Technologie revolutionieren“.
Vermeintliche Zweifel an der Realisierbarkeit des Kugelhaufen-Designs werden weiter entkräftet, nachdem Chinas Kugelhaufenreaktor, der HTR-PM, am 6. Dezember 2023 im Kernkraftwerk Shidao Bay an der Spitze der Halbinsel Shandong offiziell den kommerziellen Betrieb aufgenommen hatte. Dort erzeugt jeder der beiden Reaktoren 250 Megawatt an Wärme, und zusammen treiben sie eine gemeinsame Dampfturbine mit einer Leistung von 210 MWe an, wie ursprünglich im Jahr 2012 geplant. Sie erreichen damit den gleichen Wirkungsgrad von 42 Prozent wie Südafrikas PBMR-Design.
Südafrikas bahnbrechender HTMR-100 wird einen wichtigen Beitrag zur Elektrifizierung Afrikas – und der Welt – leisten. Laut Dr. Kemm könnte Südafrika ihn innerhalb von fünf Jahren exportieren.
Fußnote(n)
- Die Energiedichte (Energie pro Masseneinheit) von reinem radioaktiv spaltbarem Material ist mehr als 1,6 Millionen Mal so hoch wie die von Erdgas, dem zweitdichtesten auf der Erde verfügbaren Energieträger. Brutreaktoren können Radioisotope von Uran, Thorium und transuranischen Elementen aller Art nutzen. Siehe Richard Burden: „Der „Schnelle Neutronenbrüter“ – ein wirklich kostensenkendes Kernkraftwerk“. In: FUSION, Nr. 2/2021.
Selbst bei schlechterer Nutzung von Uran haben Nicht-Brüter-Reaktoren, d. h. fast alle gegenwärtig in Betrieb befindlichen Kernreaktoren, immer noch einen enormen Vorteil gegenüber Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen in Bezug auf die Brennstoffkosten, die Größe der Brennstoff- und Abfallmengen und die Fähigkeit, ausreichend Brennstoff in der Anlage für Jahrzehnte sicher und wirtschaftlich zu lagern. Und das, obwohl die meisten Uranerze weniger als 1 Prozent Uranmasse enthalten, da nur das Uran transportiert, zu Brennstoff verarbeitet und gelagert werden muß. Dies und die chemischen Eigenschaften von Uran ermöglichen auch weniger zerstörerische Abbaumethoden wie In-situ-Verfahren und Filtration aus Meerwasser. Kohle und Kohlenwasserstoffe wiederum haben offensichtliche Vorteile gegenüber den „erneuerbaren“ Energien, denn die Verwendung ersterer gebietet sich durch den geringen Arbeitsaufwand pro Energieeinheit, während die Verwendung letzterer Energien auf umweltpolitischen Dogmen basieren, die nur zum Zweck der gesellschaftlichen Kontrolle erfunden wurden, wie EIR ausführlich dokumentiert hat.[↩] - Vgl. auch das SMR-Buch der IAEO, S. 163-166, mit einer Chronik der wichtigsten Entwicklungsschritte auf S. 166.[↩]
- Jonathan Tennenbaum: „Südafrika baut den 100 Prozent sicheren Kugelhaufenreaktor“. In: FUSION, Nr. 1/2006. Siehe auch S. Ion et al.: „Pebble Bed Modular Reactor – The First Generation IV Reactor To Be Constructed“. Nuclear Energy, 2004, Vol. 43, No. 1, S. 55.[↩]
- Einen guten Überblick über die Erfahrungen mit dem AVR und eine Widerlegung derjenigen, die den PBMR aufgrund dieser Erfahrungen als unsicher bezeichnen, bietet Gregory Murphys Artikel „Who Is Trying To Strangle the Pebble-Bed Reactor?“, in EIR, 12. Dezember 2008, in dem er über entsprechende Diskussionen auf der Tagung der American Society of Mechanical Engineers im Jahr 2008 berichtet.[↩]
- Siehe Fußnote 3.[↩]
- EIR berichtete in drei sukzessiven Artikeln ausführlich über die Angriffe auf den PBMR: 1. Dean Andromidas: „Who‘s Sabotaging the PBMR?“. 28. April 2006. 2. Marjorie Mazel Hecht: „The Nuclear Power Revolution: Modular High-Temperature Reactors Can Change the World“. 21. November 2008. 3. Gregory Murphy: „Who Is Trying To Strangle the Pebble-Bed Reactor?“ 12. Dezember 2008.[↩]
- Siehe den Abschnitt „Geschichte“ in der Broschüre von Stratek Global.[↩]
- Tri-Structural Isotropic Particle Fuel, Isotropischer Drei-Schichten-Partikel-Brennstoff[↩]
- Überschußreaktivität ist ein Reaktorzustand, bei dem die Spaltungskettenreaktion mehr als genug freie Neutronen erzeugt, um die Kettenreaktion aufrechtzuerhalten. Frischer Brennstoff, der in einen Nichtbrüter-Reaktor geladen wird, muß einen ausreichenden Spaltstoffgehalt aufweisen, um die Überschußreaktivität aufrechtzuerhalten, da sonst die Kettenreaktion aufgrund des Verbrauchs des Spaltmaterials sehr schnell wieder abbrechen würde. Ohne die Unterdrückung der Überschußreaktivität durch Steuerstäbe oder neutronenabsorbierende „Gifte“ wie Bor wächst die Population freier Neutronen, wodurch die Spaltrate exponentiell solange ansteigt, bis die thermische Ausdehnung des Brennstoffs (die den Austritt freier Neutronen erhöht) oder der Verbrauch von spaltbarem Material das Wachstum der Population freier Neutronen stoppt. Die gängige Praxis besteht darin, die Steuerstäbe langsam herauszuziehen, während der Brennstoff altert, und/oder in Abstufung „abbrennbare Gifte“ zu verwenden, die mehr Neutronen absorbieren, solange der Brennstoff frisch ist.[↩]
- Paul Demkowicz: „TRISO Fuel: Design, Manufacturing and Performance. Advanced Reactor Technologies“. Idaho National Laboratory. Schulungsmodul zur Ausbildung bei der Nuclear Regulatory Commission zum Hochtemperatur-Gasreaktor (HTGR), 16. und 17. Juli 2019. Siehe auch Office of Nuclear Energy (USA): „Advanced Gas Reactor Fuel Program‘s TRISO Particle Fuel Sets a New World Record for Irradiation Performance“. 2009.[↩]
- Wasser unterliegt nur in geringem Maße der Neutronenaktivierung, aber selbst unter normalen Betriebsbedingungen enthält es auch geringe Mengen an gelösten oder korrodierten Materialien aus dem Kern, die in stärkerem Maße neutronenaktiviert werden. Unter normalen Betriebsbedingungen enthält Helium, das durch einen Reaktor strömt, dessen Brennstoff in Graphitkugeln eingeschlossen ist, etwas neutronenaktivierten Graphitstaub – von den Brennstoffstücken, die aneinander reiben, während sie sich sehr langsam durch den Kern bewegen – sowie Spuren von ausgetretenen Spaltprodukten. Diese lassen sich jedoch leichter herausfiltern, da Helium unfähig ist, sich aufzulösen, zu korrodieren oder sich chemisch mit anderen Stoffen zu verbinden. Die PBMR- und HTMR-Konzepte sehen eine Filtration von Graphitstaub und anderen Verunreinigungen im Helium vor.[↩]
- Die Nachzerfallswärme entsteht nicht durch Kernspaltung, sondern durch den spontanen Zerfall radioaktiver Isotope. Die Nachzerfallswärme steigt mit zunehmender Nutzung des Brennstoffs, da der Bestand an langlebigen, aber noch radioaktiven Spaltprodukten und Produkten der Neutronenaktivierung zunimmt. Die Nachzerfallswärme erreicht in den meisten Reaktoren etwa 11 Prozent der erzeugten Wärme, bevor der Brennstoff entfernt wird, wobei der größte Teil dieses Wertes früh erreicht wird, da sehr kurzlebige Isotope den größten Teil der Wärme erzeugen. Wenn eine Spaltungskettenreaktion gestoppt wird, beträgt die Nachzerfallswärme weiterhin bis zu 7 Prozent der Reaktorleistung, nimmt aber ab, da sich die kurzlebigsten – und damit radioaktivsten – Isotope in längerlebige oder stabile Isotope umwandeln. Nach einer Stunde oder etwas länger beträgt die Zerfallswärme in der Regel nur noch 1 Prozent der Auslegungskapazität des Reaktors, aber danach nimmt die Zerfallswärme sehr viel langsamer ab, da die langlebigeren Isotope zur dominierenden Wärmequelle werden. Daher ist es strategisch wichtig, über eine Möglichkeit zu verfügen, diese Wärme abzuführen, falls das normale Wärmeübertragungssystem versagt, denn das bloße Stoppen der Spaltung durch Einsetzen von neutronenabsorbierenden Steuerstäben wird die Produktion von Zerfallswärme nicht stoppen.[↩]
- Wassergekühlte Reaktoren arbeiten unter extrem hohem Druck, um das Wasser flüssig oder ausreichend dicht bei Temperaturen zu halten, die für eine effiziente Stromerzeugung ausreichen. Um einen Siedepunkt von 350 °C zu erreichen, sind 163 Atmosphären Druck erforderlich; bei 300 °C sind es nur 86 Atmosphären, bei 250 °C 40, so daß ein kleiner Temperaturanstieg den Druckbedarf stark erhöht. Der Druck von Helium steigt viel weniger schnell an, und zwar gemäß dem idealen Gasgesetz in erster Potenz proportional zur absoluten Temperatur.[↩]
- Bei einer angenommenen Umgebungstemperatur von 27 °C (300 K).[↩]
- Der aktive Bereich des PBMR wurde für die Erzeugung von 4,8 MWt pro Kubikmeter ausgelegt. Siehe S. Ion, et al., S. 57 (Fußnote 3, oben). Nach Angaben der IAEO haben Druckwasserreaktoren mit durchschnittlich 90 MWt pro Kubikmeter (oder 90 kW pro Liter) die zweithöchste Leistungsdichte unter den derzeit in Betrieb befindlichen Reaktortypen.[↩]
- Siehe Fußnote 12.[↩]