China: Wie Bäume den Sand zum Rückzug zwingen

Die Zahlen sind beeindruckend. Eine Studie der chinesischen Staatlichen Forst- und Grünflächenverwaltung (NFGA) aus dem Jahr 2019 zeigt, daß trotz enormer Anstrengungen zur Landrehabilitierung seit 1978 immer noch 2,57 Millionen Quadratkilometer Chinas, also 26,81 Prozent ihrer Landfläche, Wüstengebiete sind. In den letzten 40 Jahren sind 15 Prozent der Landfläche verwüstet. Regelmäßig fegen Sandstürme von der innerchinesischen Mongolei bis nach Peking über das Land und ziehen Infrastruktur und Nahrungsmittelproduktion in Mitleidenschaft. Wüstenbildung und Bodendegradation gehören zu den größten Bedrohungen für China, wovon mehr als 400 Millionen Menschen betroffen sind.

Sandsturm in Peking
Sandablagerung auf einem Auto nach einem Sandsturm in Peking. Bild: Wikipedia/Shizhao

Und das ist nicht alles. China muß 22 Prozent der Weltbevölkerung mit nur 10 Prozent der weltweiten Anbaufläche ernähren. Trotz steigender Ernteerträge pro Hektar und höherer Produktivität in der Viehzucht stiegen die jährlichen Lebensmittelimporte des Landes von 49 Milliarden Dollar im Jahr 2013 auf 139 Milliarden im Jahr 2022, was einer jährlichen Wachstumsrate von 12,3 Prozent entspricht. Selbst wenn man dies um die Inflation und fallweise Importe zur Verbesserung der Ernährungslage bereinigt, ist China immer noch von importierten Lebensmitteln abhängig. Daher sind die Umwandlung von Wüsten in Ackerland und die Verhinderung von Sandstürmen eine existenzielle Herausforderung: Die „Wüstenbekämpfung“ steht ganz oben auf der Tagesordnung.

In diesem Jahr hat China einen wichtigen Wendepunkt erreicht. Am 17. Juni, dem 30. Welttag gegen Wüstenbildung und Dürre und dem 30. Jahrestag der Verabschiedung der UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung, konnte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Lin Jian, stolz verkünden, China sei das erste Land der Welt, das eine Netto-Null-Degradation von Land erreicht und sowohl die Wüstenbildung als auch die „Sandifikation“ reduziert hat, was einen wichtigen Beitrag dazu leistet, das globale UN-Ziel einer Netto-Null-Degradation von Land bis 2030 zu erreichen.

Zwischen 2009 und 2019 ist die Wüstenbildung in China unter dem Strich um 50.000 Quadratkilometer zurückgegangen, was eine erhebliche Veränderung gegenüber der jährlichen Ausdehnung von 3400 Quadratkilometern am Ende des letzten Jahrhunderts darstellt. Nach Angaben der NFGA wurde die Wald- und Graslandvegetation in den wichtigsten Projektgebieten nach einer langen Periode der Bewirtschaftung effektiv wiederhergestellt, und in den wichtigsten Projektgebieten wurde eine historische Transformation von „Sand, der den Menschen zum Rückzug zwingt“ zu „Bäumen, die den Sand zum Rückzug zwingen“ erreicht. Aus einem Feind wurde ein Verbündeter, so daß die landwirtschaftliche und wirtschaftliche Expansion in diesen Gebieten inzwischen als „Sandförderung“ bezeichnet wird.

Wie war das möglich? Der heutige Erfolg ist das Ergebnis eines langen Kampfes. Im November 1978 beschlossen das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas und der Staatsrat ein auf 72 Jahre (1978-2050) angelegtes Projekt zur Bekämpfung der Wüstenbildung, das sogenannte Drei-Nord-Schutzgürtel-Programm (TNSP). Die Grundidee bestand darin, um die Chinesische Mauer herum eine Reihe von Windschutzstreifen (Schutzgürtel) anzulegen, die diesmal nicht die Mongolen, sondern die Ausbreitung der Wüste Gobi aufhalten und die lokale Bevölkerung mit Brennholz versorgen sollten. Die Gobi, was soviel wie „ohne Wasser“ bedeutet, ist die größte Wüste Asiens und die fünftgrößte der Welt. In ihr kann es sehr heiß und extrem kalt werden. Man schätzt, daß sie nur zu 5 Prozent aus Sand besteht, der Rest ist harter Fels mit einigen kargen Steppen, Grassteppen und hohen Schlammfelsen.

Gobi
Die Wüste Gobi, was soviel wie „ohne Wasser“ bedeutet. Im Bild: Lage, Begrenzung und Einteilung in Großregionen. Bild: Wikipedia/WeHaKa

Hinzu kommt im Tarimbecken von Xinjiang ein weiteres Ungetüm, die Taklamakan-Wüste, die zweitgrößte „Wander-Sandwüste“ der Welt. Ihr Sand ist in ständiger Bewegung wie die Wellen des Ozeans. Sie wird „Wüste des Todes“ genannt, was soviel bedeutet wie „Betritt man sie, kommt man nie wieder heraus.“

Die Gesamtlänge der von Deng Xiaoping 1988 so bezeichneten „Großen Grünen Mauer“ soll einmal 4500 km erreichen. Das Programm umfaßt 551 Landkreise in 13 Provinzen und erstreckt sich über eine Gesamtfläche von 4 Millionen Quadratkilometern (mehr als 40 Prozent des chinesischen Staatsgebiets). In den letzten 30 Jahren wurden mit Hilfe Tausender Forstbeamter und mit Unterstützung von Bürger- und Privatinitiativen Millionen Hektar Windschutzstreifen und Dünenwälder angelegt, um mehr als 10 Millionen Hektar Grasland und Weiden vor Winderosion und Verschlammung zu schützen.

Jedes Jahr am 12. März machen sich die Chinesen auf, Bäume zu pflanzen. Hunderttausende Quadratkilometer versandeten Landes wurden so kultiviert und in Ackerland, Obstplantagen und Weideland umgewandelt. Eine Studie schätzt, daß Windschutzstreifen um Ackerland zu einer Steigerung der Getreideproduktion um 15 bis 20 Prozent geführt haben, was einem Mehrprodukt von 1,88 Milliarden Kilogramm pro Jahr entspricht. Der Getreideertrag in den wiederhergestellten Flächen liegt nun bei über 300 kg/mu (0,66 ha), gegenüber 100 kg/mu vor Beginn des Programms.

Kreativität und Innovation sind der Schlüssel

Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, hat China im Laufe der Jahrzehnte immer wieder neue Technologien und innovative Methoden erforscht:

  • Aussaat aus der Luft in Halbwüstengebieten
  • Engmaschige Satellitenüberwachung der Wüstenbewegung
  • Strohschachbrett-Technik: Stroh wird quadratisch in die feste Wüstenoberfläche eingetragen, um die weitere Bewegung des Sandes zu minder
  • Wüstenbodenanreicherung: Eine Paste aus pflanzlicher Zellulose und Sand wird auf die Wüstenoberfläche aufgetragen wird, damit der Boden Wasser, Luft und Dünger aufnimmt
  • Verwendung von „Flüssigem Nano-Ton“, einer Mischung aus Wasser und Nanopartikeln aus Ton, die trockenes und sandiges Land in wasserhaltigen Ackerboden verwandeln kann
  • Cyanobakterien aus Laborkulturen zur Bildung von biologischen Bodenkrusten auf der Sandoberfläche, wodurch die Zeit für die Krustenbildung von 10 Jahren auf nur ein Jahr verkürzt werden kann
  • Tröpfchen- und unterirdische Tropfbewässerung und Fertigation
  • KI-gesteuerte automatische Sämaschinen
  • Nachlaufende Pflanzmaschinen, um Strohnetze effizienter zu „pflanzen“
  • Präzise Sandkontrollen, wie zum Beispiel die Anpassung der Pflanzdichte an die Kapazität der lokalen Wasserressourcen, um das Absterben junger und mittelgroßer Bäume zu verhindern

Bis heute wurden im Rahmen des TNSP insgesamt 320.000 km2 aufgeforstet und 0,85 Mrd. km2 degradiertes Grasland behandelt, so daß die Waldbedeckung von 5,05 % im Jahr 1978 auf fast 14 % gestiegen ist. Damit hat China heute mit 211 Mio. ha die fünftgrößte Waldfläche der Welt, obwohl sie nur 22,1 % der gesamten Landfläche ausmacht.

Aufforstung
Aufforstung der Kubuqi-Wüste in China. Bild: Wikipedia/FreyGruppe

Aus Fehlern lernen

Das Programm hat sich unbestreitbar bei der Wiederherstellung von Land bewährt, aber seine Umsetzung war mit Fehlern und Rückschlägen behaftet. Aus den Hindernissen, die im Laufe der Jahrzehnte überwunden werden mußten, konnten eine Reihe von Lehren gezogen werden, die den chinesischen Erfahrungen zugute kommen. So mußten zum Beispiel die Wahl des Vegetationstyps (insbesondere in Bezug auf die Durchwurzelungstiefe), die Auswahl der Arten (einheimische oder eingeführte), ihre Vielfalt, die Dichte der Vegetation usw. an die lokalen ökologischen Bedingungen und die Art der spezifischen Niederschlags- oder Bodenwasserressourcen angepaßt werden.

China hat viel aus seinen Fehlern gelernt, aber wie es so schön heißt: Wer nichts tut, lernt auch nichts Neues. Sehr schnell wurde klar, daß eine „Gesamtlösung“ der falsche Ansatz war und daß eine Politik des Ausprobierens nicht nur akzeptiert werden mußte, sondern für den Erfolg unerläßlich war.

So wurden in der Anfangsphase Millionen von Pappeln gepflanzt, weil sie schnell Holzbrennstoff lieferten. Viele von ihnen haben aber nicht lange überdauert, denn Pappeln benötigen viel Wasser. Eine andere Geschichte stammt aus einem Dorf in der Inneren Mongolei, wo Baumsetzlinge gepflanzt wurden, die am nächsten Tag vom Winde weggeweht waren. „Wir konnten einige Setzlinge retten, aber wegen der Dürre und des fehlenden Regens konnten viele davon kein zweites Jahr überstehen“, berichtete ein lokaler Beamter. Nach mehreren solchen Fehlschlägen stellte man fest, daß die in den kargen Bergen wachsenden wilden Aprikosenbäume Wind und Sand am besten die Stirn boten. „Die Bergaprikose ist trockenheits- und kälteresistent und sehr anpassungsfähig. Sie ist eine hervorragende einheimische Baumart, um Sand zu binden und Wasser zu speichern. Die Menschen können sich im Frühjahr an den Blüten und im Sommer an den Früchten erfreuen, was sie auch wirtschaftlich wertvoll macht“, war sein Fazit. 2012 wurden unter Anleitung seines Dorfes mehr als 60.000 Bergaprikosenbäume gepflanzt. Nach Jahren der Pflege schützen die Bäume das Dorf jetzt vor Sandstürmen.

Zusammenhang von Wasser, Energie und Nahrung

Natürlich spielen effizientes Wassermanagement und moderne Bewässerungstechniken eine Schlüsselrolle bei der Zurückdrängung der Wüste. Wasser, Energie und Nahrung sind so eng miteinander verknüpft, daß es nicht möglich ist, bei einem dieser Faktoren nachhaltige Fortschritte zu erzielen, ohne die anderen zu fördern. Der chinesische Wasserexperte Professor Yungang Bai, Vizepräsident der Akademie der Wasserwissenschaften von Xinjiang, gab in seinem Vortrag auf einer Konferenz des Schiller-Instituts in Paris zum Thema „Wasser für den Frieden“ am 9. Januar 2024 einen beeindruckenden Statusbericht über die neuesten Errungenschaften wassersparender Technologien in der Trockenregion Xinjiang.

Nach seiner Darstellung hätten chinesische Wissenschaftler 2015 entdeckt, daß unter dem Tarim-Becken eine „erschreckend große Menge“ Wasser, sogar „ein Ozean“ verborgen sein könnte, dessen Ausmaße dem Zehnfachen aller fünf Großen Seen in Nordamerika entspricht. Dennoch bleibe unklar, wie dieses Wasser gefördert werden könnte. Derzeit machten die gesamten Wasserressourcen in Xinjiang nur 3 Prozent der gesamten Wasserressourcen Chinas aus, und die landwirtschaftliche Wassernutzung mache mehr als 91 Prozent des gesamten verfügbaren Wassers aus.

Wassersparende Techniken seien in dieser Region natürlich nichts Neues. Wie in der israelischen Negev-Wüste würden traditionelle Bewässerungstechniken wie Flutung und Beregnung immer mehr durch oberirdische und, noch besser, unterirdische Tropfenbewässerung und Fertigation ersetzt. Professor Yungang Bai meint dazu:

„Mit der groß angelegten Förderung und Anwendung der Wasser-Dünger-Integrationstechnologie wurde der Anwendungsbereich schrittweise von Baumwolle, Mais und Weizen auf Waldfrüchte, Gemüse, Melonen und andere Kulturen ausgeweitet. Die Vorteile der Wasser-Dünger-Integrationstechnologie spiegeln sich vor allem in ,Drei Einsparungen, eine Steigerung‘ wider, nämlich Wassereinsparung, Düngereinsparung, Flächeneinsparung und Ertragssteigerung.“

Im Vergleich zu herkömmlichen Methoden erhöhe diese Technologie „die Wassernutzungsrate um 40 bis 60 Prozent, die Düngernutzungsrate um 30 bis 50 Prozent, die Landnutzungsrate um 5 bis 7 Prozent, die Bewässerungssicherheit um mehr als 15 Prozent und den Getreideertrag um 20 bis 50 Prozent“, so der Professor.

die Wälder in Kekeya
Dieses Kombinationsfoto zeigt Freiwillige und Förster beim Pflanzen von Bäumen in Kekeya im Jahr 2006 (oben) und einen Blick auf die Wälder in Kekeya (unten vom 30. August 2023) in der Präfektur Aksu in der nordwestchinesischen autonomen Region Xinjiang. Bild: Xinhua/Li Xiang

Eine bessere Wasserverfügbarkeit hängt natürlich auch von einer besseren Verfügbarkeit billiger und sicherer Energie ab. In abgelegenen Gebieten, in denen der Anschluß an das Stromnetz schwierig ist, kann die Solarenergie eine positive Rolle spielen, aber ihre geringe Dichte und ihre Unregelmäßigkeit machen sie unzuverlässig, wenn sie nicht durch Wasserkraft ergänzt wird. Mit der Entwicklung kleiner modularer Kernreaktoren der vierten Generation wird China bald neue Rekorde in seinem mutigen Kampf gegen die Wüstenbildung aufstellen, da diese Technologie die Entsalzung bisher ungenutzter Wasserressourcen ermöglicht und Land, das derzeit für die Produktion als ungeeignet gilt, in wertvolles Ackerland verwandelt. Unter vielen Wüsten gibt es tiefe Grundwasservorkommen, deren Wasser zu salzig ist, um es in seiner natürlichen Form zu nutzen. Der Bau von kleinen Kernreaktoren in der Wüste zur Wasserentsalzung kann hier Abhilfe schaffen.

Friedensförderung

China hat in den letzten Jahrzehnten eine Vorreiterrolle bei der Bekämpfung der Wüstenbildung eingenommen und sich intensiv um internationalen Austausch und Kooperation bemüht, um seine Erfahrungen mit Ländern zu teilen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, insbesondere in Afrika. Seit 2005 geben Forscher des Xinjiang-Instituts für Ökologie and Geographie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften ausgereifte Technologien zur Wüstenbekämpfung in Workshops und Feldversuchen an Zentralasien und Afrika weiter. In Zentralasien arbeiten usbekische Wissenschaftler seit langem mit chinesischen Wissenschaftlern zusammen, um Lösungen für den Aralsee zu finden, der einst der viertgrößte See der Welt war und durch schlechtes Bewässerungsmanagement schrumpfte. Im Laufe der Jahre haben Wissenschaftler beider Seiten mehrere Demonstrationszonen für wassersparende Felder eingerichtet und verschiedene wassersparende Technologien in der Region eingeführt.

China ist seinen Verpflichtungen im Rahmen des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Desertifikation (UNCCD) aktiv nachgekommen und hat im Dezember 2019 in Ningxia ein Internationales Zentrum für Wissensmanagement zur Bekämpfung der Wüstenbildung eingerichtet, das Chinas Wissen und Erfahrung im Kampf gegen die Wüstenbildung mit anderen Ländern auf der ganzen Welt teilen soll.

Die chinesischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Wüstenbildung verdienen daher höchsten Respekt, denn sie schaffen nicht nur die Voraussetzungen für ein prosperierendes China, sondern auch für den Weltfrieden.