Deutschland baut Fahrradwege, China den Transrapid

Möglicherweise steckte ja keine Absicht dahinter, aber das Bild, das Bundesverkehrsminister Bodewig unmittelbar nach seiner Rückkehr aus China Ende Mai bot, war doch bezeichnend für die deutsche Politik: Am Vortag hatte Bodewig noch von neuen Transrapid-Trassen in China geredet, jetzt saß er mediengerecht auf dem Fahrrad, um für das neueste Regierungsprogramm zum Bau von 300 Kilometern Fahrradwegen zu werben. Nichts gegen den Ausbau von Fahrradwegen, aber eine kommerzielle, richtig große Magnetbahnstrecke in Deutschland, das wäre genau das, was Deutschland eigentlich brauchte.

Zwar setzt sich der Verein Deutscher Ingenieure seit Wochen für die Wiederbelebung des im Februar 2000 eingemotteten Projekts Hamburg-Berlin ein, auch die Handelskammern der beiden Städte tun es. Unter den Politikern aber ist höchstens der agile Jürgen Möllemann zu erwähnen, denn der hat als einziger am 5. März in Berlin einmal von einem großen, durch ganz Deutschland führenden Transrapid-Ring gesprochen – von Hamburg aus nach Berlin und weiter nach München über Leipzig, von München dann in einem kühnen Bogen durch den Rhein-Main-Ballungsraum ins Ruhrgebiet, schließlich von dort nach Hamburg. Das ist etwa der Entwurf, von dem bis vor 10 Jahren die Magnetbahnverfechter noch redeten, ehe die Bundesregierung und die Banken sich für ebenjene Trasse Hamburg-Berlin entschlossen, die dann doch nicht gebaut wurde.

Vor 10 Jahren gab es noch einige Politiker, wie den damaligen thüringischen Ministerpräsidenten Josef Duchac, der eine große Magnetbahntrasse von Berlin nach Frankfurt/Main über Leipzig und Erfurt forderte; oder wie den Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der eine Verbindung Bonn-Berlin empfahl. Das immerhin von den beiden Landesregierungen in Hessen und Rheinland-Pfalz in die Diskussion gebrachte Projekt Frankfurt-Mainz-Hahn ist mit seinen 110 Kilometern Länge das größte, das derzeit öffentlich erwähnt wird, aber es wurde von der Bundesregierung genauso abgelehnt wie alle anderen Vorschläge. Die Regierung bleibt auch nach Bodewigs China-Besuch bei ihrem Plan, erst im Jahr 2002 (möglicherweise erst nach der Bundestagswahl) über eine von zwei Kleinstrecken zu entscheiden – eine 30–40 Kilometer lange Flughafenmagnetbahn im Ruhrgebiet oder in München. Sollte die Regierung dann tatsächlich schnell entscheiden, käme der Entschluß zu einem Zeitpunkt, wo die 32 Kilometer lange Transrapid-Trasse zwischen Shanghai und dem Flughafen Pudong kurz vor der Fertigstellung stünde. Eine Sternstunde deutscher Verkehrspolitik ist vorerst von einer deutschen Bundesregierung nicht zu erwarten, das 21. Jahrhundert hat für das deutsche Bahnwesen noch nicht begonnen.

Anschluß verpaßt

Während die Chinesen schon fleißig bauen, sind die deutschen Zipfelmützenträger dabei, erneut eine große Chance für die deutsche Verkehrstechnologie zu verschlafen. Denn gerade jetzt, wo sich die russische Regierung offiziell für den Bau transkontinentaler, eurasischer Transportkorridore einsetzt, steht die wichtige Entscheidung darüber an, auf welcher technischen Grundlage diese Korridore von Wladiwostok nach Rotterdam, vom Indischen Ozean an die Ostsee, von Ostchina nach Westeuropa über Zentralasien errichtet werden sollen. Sinn machen diese Pläne nur, wenn die verschiedenen Spurweiten der russischen und europäischen (das sind auch die chinesischen) Bahnen zugunsten eines einheitlichen Systems abgelöst werden. Die ideale, für beide Seiten akzeptable Alternative ist der Umstieg auf die „Spurweite“ der Magnetschwebebahn, die außerdem entgleisungssicher und schneller ist als die heutigen „Spitzenreiter“ im Rad-Schiene-System, TGV, ICE und Shinkansen.

Wer einmal 9–10 Stunden im Zug von Berlin nach Krakau oder gar drei Tage von der Westgrenze Kasachstans bis zur Ostgrenze gereist ist, wird die Vorteile einer Magnetbahnverbindung, mit der die Reisezeit auf jeweils ein Viertel oder noch weniger davon gesenkt werden kann, sofort erkennen. Bundespolitiker fliegen ja lieber, vor allem jener Hans Eichel, der für den Transrapid keine Mark extra geben will. Die Bahn hat bei Bundespolitikern keine gute Lobby. Vielleicht hätte man den Bundesaußenminister auf seiner jüngsten Zentralasienreise in die Bahn setzen sollen, da hätte er eine Vorstellung erhalten vom Sinn eines deutschen Angebots an Länder wie Kasachstan und Usbekistan, für ihre geplanten Neubaustrecken entlang der historischen „Seidenstraße“ den Transrapid zu wählen. Ohnehin ist die Magnetschwebetechnik in gebirgigen Regionen wie denen Zentralasiens um ein Mehrfaches leistungsfähiger als die Rad-Schiene-Technik. Ein Transrapid käme im kirgisischen Gebirge vielleicht „nur“ auf Tempo 100, in den Ebenen und Tälern aber käme er auf Tempo 400–500. Und wenn sich heute LKWs bei Höhe 5.000 mit Tempo 20 über den Karakorum-Paß quälen, wäre ein Güter-Transrapid dort fünfmal schneller, und was den Energieverbrauch anbelangte, viel sparsamer als die Brummis.

Aber zurück nach Deutschland. Es braucht nicht erst die Proteste von Anwohnern gegen Ausbaupläne der Flughäfen in Berlin und Frankfurt, um die Grenzen des Flugverkehrs im europäischen Raum zu erkennen. Die Flugrouten rücken immer dichter zusammen, und die Lärmbelastung entlang der Routen nimmt trotz modernerer Flugzeugturbinen zu. Der Transrapid ist wesentlich geräuschärmer.

Wird es in der Luft schon für den Passagierverkehr eng, liegt für den Güterverkehr im großen Stil dort erst recht keine Zukunft. Und der Güterverkehr auf der Straße verlangt nach neuen Kapazitäten – entweder durch massive Neubauten und Erweiterungen von Autobahnen oder durch Sonntagsverkehr (wie von der EU-Kommission gefordert). Das Schienennetz im Haupttransitland Europas, Deutschland, für mehr Gütertransporte per Bahn sichtbar zu erweitern, würde etliche tausend Quadratkilometer an zusätzlicher Fläche erfordern. Der Bau von Transrapid-Trassen kommt mit wesentlich weniger Flächenverbrauch aus.

Ein anderer Ausweg wäre natürlich die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße und der Schiene auf die Binnenschiffe, aber Schiffahrt ist notwendigerweise langsam und empfiehlt sich eigentlich eher für den Transport von sehr schweren Maschinen wie Großgeneratoren oder Fabrikteilen. Wer große Gütervolumen im Container schnell transportieren will, braucht künftig ein Verkehrsmittel wie den Container-Transrapid, der bis zu Tempo 300 oder 360 erreichen kann: von Hamburg nach Warschau in vier Stunden, von Rotterdam nach Moskau in 10 Stunden, von Köln nach Dresden in zweieinhalb Stunden.

Wenn die Politiker es ernst meinen mit ihren wiederholten Forderungen nach sparsamerem Energieverbrauch, reduziertem Lärm, sparsamerem Verbrauch von Fläche und schnellerer Kommunikation, so spricht das alles für den Transrapid – nicht nur für eine Strecke von München nach Erding oder von Köln nach Düsseldorf, sondern für alle denkbaren Hauptverkehrsstrecken.

Wer den Verkehr des 21. Jahrhunderts erleben will, muß für die nächste Zukunft aber erst einmal nach Shanghai fahren, denn München-Erding wäre vor dem Jahr 2008 ohnehin nicht fertig. Wer eine Regierungsentscheidung über eine richtige Transrapid-Großstrecke erleben will, muß erst einmal nach Beijing fahren, denn dort wird eine solche Entscheidung vermutlich schon im Frühjahr 2003 mit der nächsten Stufe des nationalen Ausbauplans für die Verkehrswege fallen. Immerhin wird, wenn Hans Eichel das Geld dafür gibt, Deutschland im Frühjahr 2003 die von Bodewig versprochenen 300 Kilometer neuer Radwege haben. Für die derzeitigen deutschen Verhältnisse fast ein Durchbruch…

Wir empfehlen unseren Lesern, sich selbst ein Bild von den strategischen Überlegungen in China über die Zukunft des Verkehrswesens zu machen. Dafür ist der Beitrag von Prof. Yan Luguang über die Transrapid-Demonstrationsstrecke in Shanghai auf Seite 15 ff. ein lehrreiches Beispiel.

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