BSE-, Börsen- und andere Panik

Es scheint, daß sich viele der Warnungen, die wir in FUSION in der letzten Zeit geäußert haben, jetzt tatsächlich zu bewahrheiten beginnen. Die Börsen weltweit, vor allem die sogenannten „Neuen Märkte“, sacken in sich zusammen, mit dem begonnenen Ausstieg aus der Kernenergie hat sich Deutschland schon jetzt in ein fatales energiepolitisches Abseits manövriert, und neue Seuchen wie HIV/AIDS breiten sich ungehindert weiter aus, weil niemand ernsthaft eingreift. Hätte es noch eines Beweises dafür bedurft, daß hinter all diesen Entwicklungen die unheilvollen Exzesse des „freien Marktes“ stehen, so zeigt uns das jetzt entstandene Desaster um BSE-verseuchtes Rindfleisch unzweideutig, wohin uns der Paradigmawandel von realwirtschaftlichem zu rein finanzspekulativem Denken geführt hat.

Angesichts dieser Lage ist Panik durchaus angebracht – allerdings nicht so sehr wegen des BSE-Erregers als solchem und der neuen Variante der tödlichen Creutzfeld-Jakob-Krankheit (nvCJK), deren weitere Verbreitung durch geeignete Maßnahmen schnell unter Kontrolle zu bringen wäre. Wovor die Menschen wirklich das Grauen packen sollte, ist die Politik von Globalisierung und Deregulierung, die weltweit die Bedingungen für ein explosives Wachstum neuer und alter Seuchen geschaffen hat.

Es grassieren bereits durch antibiotikaresistente Keime verursachte Seuchen von Tuberkulose, Malaria, Cholera und HIV/AIDS – und das vor allem in jenen Ländern Afrikas, Südamerikas und der ehemaligen Sowjetunion, die erbarmungslos von der Schocktherapie des IWF heimgesucht worden sind.

Jetzt taucht das gleiche Problem auch in den sogenannten reichen Ländern auf, und der BSE-Skandal ist nur der Anfang eines epidemiologischen Alptraums, der durch „freimarktwirtschaftliche“ Deregulierung und rücksichtslose Kostenreduzierung in wichtigen landwirtschaftlichen und gesundheitlichen Bereichen erzeugt wurde.

Trotz erheblicher Anstrengungen, die unternommen wurden, um die Hintergründe von BSE und nvCJK zu klären, sind noch viele Fragen über Ursprung, Art und Übertragungsweg des Erregers offen. Viele der gesicherten Erkenntnisse lassen allerdings auf gröbste kriminelle Fahrlässigkeit – oder Schlimmeres – auf seiten der britischen Behörden und der EU-Bürokratie schließen.

Das Auftreten der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE) in England Mitte der 80er Jahre war mit ziemlicher Sicherheit die Folge eines künstlich induzierten Artensprungs einer Schafskrankheit („Scrapie“) auf das Rind. Ganz abgesehen davon, ob diese Entwicklung vorsätzlich herbeigeführt wurde, die Umstände, unter denen sich dieser Prozeß vollzog, war eindeutig die Folge der radikalen neoliberalen Wirtschaftsideologie.

In Großbritannien kamen Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre mindestens drei Faktoren zusammen, die fast zwangsläufig eine Infektionskette in Gang setzten, welche letztlich in der menschlichen Nahrungskette endete.

  1. Die verbreitete Verfütterung von belastetem Tiermehl bei der Rinderzucht. Dazu wurden kontaminierte Schlachtabfälle und vor allem auch Schafskadaver samt Kopf und Gehirn verarbeitet, wo die höchste Konzentration von Scrapie-Erregern vorkommt.
  2. Die hohe Zahl von Scrapie-Fällen unter Schafen in England infolge der massiven Scrapie-Epidemie in den 70er Jahren. An Scrapie eingegangene Schafe wurden bevorzugt dadurch „entsorgt“, daß man sie zu Tiermehl für Rinder verarbeitete.
  3. Die Temperatur bei der Herstellung von Tiermehl wurde willkürlich herabgesetzt – offenbar aus Kostengründen. Das hatte zur Folge, daß der Scrapie-Erreger, der höchst widerstandsfähig gegen Wärme-, Strahlungs- und chemische Behandlung ist, nicht inaktiviert wurde.

Hinzu kam eine völlig inadäquate Politik, als in Großbritannien die Zahl BSE-kranker Rinder in die Tausende stieg. Über drei Jahre lang weigerte sich die britische Regierung, BSE überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Erst im Juni 1989, als die BSE-Seuche auf 70.000 Fälle pro Jahr angewachsen war und Panik auszubrechen drohte, wurde schließlich die Verwendung von Tiermehl für Wiederkäuer verboten – allerdings nur in Großbritannien selbst. Der Export des kontaminierten Futters in alle Welt ging unvermindert weiter.

Die EU-Kommission wartete sogar noch fünf weitere Jahre, bis endlich im Juni 1994 die Verwendung von Tiermehl als Eiweißzusatz bei der Rindermast verboten wurde. In der Zwischenzeit hatte sich die Zahl der BSE-Fälle in England verfünffacht, und erste Berichte tauchten auf, daß junge Erwachsene an einer atypischen Variante von CJK gestorben waren.

Inzwischen herrscht BSE-Panik auch in Frankreich und Deutschland, und die Hauptleidtragenden sind die Landwirte.

Sehenden Auges in den Crash

Die Panik über den ersten „deutschen“ BSE-Fall Ende November kam zur gleichen Zeit wie der erneute Absturz der Finanzmärkte. Allerdings hatte der Crash bei den Technologieaktien hat schon im März 2000 eingesetzt. Nach einer ersten Schockwelle in den Monaten März und April ließ eine zweite, seit Anfang September bis heute anhaltende, Schockwelle mit noch größerer Wucht als im Frühling die Börsen erzittern. Insgesamt büßte der US-Freiverkehrsmarkt Nasdaq dabei 45 % seines Wertes ein. Und in Deutschland stürzte der Nemax-50-Index der 50 größten Unternehmen des „Neuen Marktes“ von seinem Frühlingshoch von 9.665 Punkten auf gerade noch etwas mehr als 3.000 Punkte zusammen. Für Hunderttausende deutsche Kleinanleger, die um den März 2000 herum in Aktien des „Neuen Marktes“ eingestiegen sind, bedeutet dies einen Verlust von zwei Dritteln des eingesetzten Vermögens.

Wer dem genannten Personenkreis angehört, hat aus verständlichen Gründen zum jetzigen Zeitpunkt wenig Neigung, sich irgendwelche Besserwissereien anzuhören. Trotzdem muß die Frage gestellt werden: Hätte man wissen können, daß der Kurssturz von März/April nicht einfach eine kleine Delle beim Aufwärtsmarsch der Technologieaktien darstellt oder daß die vielfach angekündigten Sommer-Rallies, Herbst-Rallies und US-Präsidentenwahlentscheidungs-Rallies niemals stattfinden würden und im Nachhinein betrachtet nur für trügerische Durchhalteparolen herhalten mußten? Hätte man wissen können, daß – wie sich jetzt anhand drastisch abgewerteter Gewinnprognosen herausstellt – die sogenannte „Neue Ökonomie“ in den USA nur ein ausgemachter Schwindel war, mit dem an den Börsen vorübergehend ein gigantischer Kaufrausch entfacht wurde? Die Antwort auf alle gestellten Fragen lautet eindeutig: Man hätte.

Auch in FUSION haben wir wiederholt auf die bizarr überblähte Finanzblase hingewiesen, die jederzeit zu platzen drohte. Jetzt hat der Crash begonnen und ist noch lange nicht zu Ende.

Dieses Urteil beruht vor allem auf der kolossalen Schieflage des amerikanischen Wirtschafts- und Finanzsystems. Angesichts der beispiellosen Überschuldung der amerikanischen Privathaushalte und Unternehmen, dem vollständigen Zusammenbruch der Ersparnisbildung und der neuen schockierenden Zahlen über das US-Handelsdefizit für den Monat September in Höhe von 34,3 Milliarden Dollar – dem höchsten jemals festgestellten Monatswert – muß jeder neue Tag, an dem der US-Dollar nicht in die Tiefe stürzt, beinahe als Wunder aufgefaßt werden. Clintons ehemaliger Arbeitsminister Robert Reich sieht gute Chancen dafür, daß der nächste US-Präsident mit einer schweren Rezession zu kämpfen haben wird. Und wenn der neue Präsident Gore oder Bush heiße, fügte Reich hinzu, dann werde dies schon in allernächster Zeit eintreten.

Genauso wie es bei BSE darauf ankommt, bewährte seuchenpolitische Maßnahmen zu ergreifen, um das Problem einzudämmen, muß man sich auch im Wirtschafts- und Finanzbereich auf bewährte Konzepte der Vergangenheit zurückbesinnen, wie es etwa das Bretton-Woods-System der Nachkriegszeit darstellte.

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