„Kleiner Tabubruch“ mit folgenschwerer Wirkung

Was seit einiger Zeit abzusehen war, ist jetzt eingetreten: Der Bundestag hat am 30. Januar dem Import im Ausland hergestellter embryonaler Stammzellen (wenn auch unter Auflagen) zugestimmt. Dieser „kleine Tabubruch“ mit dem menschlichen Leben, vor dem wir auch in FUSION in aller Schärfe gewarnt haben, ist in Wirklichkeit ein Blankoscheck für die „verbrauchende Embryonenforschung“ und letztlich für eine kannibalistische Medizin, bei der Menschen als „Ersatzteillager“ zum Ausschlachten gezüchtet werden.

Die bittere Ironie bei der Abstimmung lag darin, daß die Inszenierung mit den drei verschiedenen Anträgen zwangsläufig dazu führen mußte, daß sich der faule Kompromiß mit großer Wahrscheinlichkeit durchsetzte. Ohne die üblichen Geschäftsordnungtricks wäre die Abstimmung mit einer Mehrheit von immerhin fast 43 Prozent zugunsten einer Ablehnung des Imports von ES-Zellen ausgegangen. Erst im zweiten Wahlgang kam es dann zu einer Koalition der „extremen“ und „moderaten“ Befürworter. Die von vielen Seiten so hochgelobte „historische Bundestagsdebatte“ entpuppte sich so als geschickt inszenierte Schauveranstaltung mit vorher feststehendem Ergebnis – und die jetzt erforderlichen Gesetze lagen längst in der Schublade und werden jetzt im Schnellverfahren umgesetzt.

Keiner der Bundestagsabgeordneten, die das Importverbot wollten, hat erkannt, in welche Falle man da hineingetappt ist. Zumindest hat niemand etwas Wirksames unternommen, um das übliche „demokratische“ Spielchen mit Position, Gegenposition und vorher vereinbartem faulen Kompromiß zu durchkreuzen. Wenn es schon um Wahrheitsfindung in einer so zentralen Grundsatzfrage ging, hätte man darauf bestehen müssen, nur eine Entscheidung zwischen einem klaren Ja und einem klaren Nein zuzulassen. So kann jetzt der „kleine Tabubruch“ als „faire demokratische Abstimmung“ hingestellt werden, obwohl er in Wahrheit das entscheidende Einfallstor in die bald unkontrollierbare Instrumentalisierung menschlichen Lebens darstellt.

Die Abstimmung war kaum vorüber, da begann sofort eine vehemente Debatte über schnellstmöglich einzurichtende „Bio-Banken“, Patentregelungen, „Forschungswettbewerb“ und Gelder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Und am Tag vor der Abstimmung hatte bereits die Financial Times Deutschland frohlockend getitelt: „Egal wie die Politiker abstimmen: Wissenschaftler, Kranke und Biotech-Industrie werden bald weit großzügigere Regelungen durchsetzen“.

Genauso wird es wohl auch kommen. Was dagegen sehr schnell in den Hintergrund treten wird, ist die Perspektive, mit der Forschung an embryonalen Stammzellen Heilungsmethoden für schwere Krankheiten zu entwickeln. Dieses Argument war nie mehr als eine Nebelkerze, um die ganz anderen Ziele der biotechnischen Forschung zu verschleiern. Eine Aussage darüber, ob mit embryonalen Stammzellen überhaupt je eine Krankheit geheilt werden kann, ist mehr als zweifelhaft, und wenn zur Klärung dieser Frage die Menschenwürde aufgeopfert werden soll, dann ist das ein zu hoher Preis, der dafür bezahlt werden muß.

Und noch ein Aspekt, der in der Debatte um die embryonalen Stammzellen und bei der Frage, wann menschliches Leben überhaupt beginnt, wenig beachtet wurde. Mit großer Regelmäßigkeit wird und wurde behauptet, in einer befruchteten Eizelle oder dem „Zellklumpen“ namens Blastozyste, dem die embryonalen Stammzellen entnommen werden sollen, könne man selbst unter dem Mikroskop nichts „Menschliches“ entdecken. Eine solche Auffassung hat Konsequenzen. Wenn jemand nämlich so wenig Abstraktionsvermögen besitzt, daß er nur das für real ansieht, was er sieht, hört oder riecht, ist schwerlich zu erwarten, daß er bei dementen oder anderweitig behinderten Menschen, etwa Komapatienten, Menschenwürde entdecken wird. Haben dann solche Menschen genauso wenig Lebensrecht wie die Blastozyste, aus der die embryonalen Stammzellen abgesaugt werden?

Die Konsequenzen der Bundestagsentscheidung sind leider nur zu offensichtlich. Der absolute Wert der Menschenwürde wurde relativiert. Im Wissen darum hätten die Abgeordneten besser keine „ruhige und ernste“, sondern eine leidenschaftliche und herausfordernde Debatte führen sollen, bei der kein Hintertürchen offen bleibt. Mehr Polemik in der Frage um die embryonalen Stammzellen wäre entscheidend gewesen, um eine größere Klarheit zu erreichen. Vielleicht hätte es bei einigen Abgeordneten etwas bewegt, wenn im Parlament Kardinal Ratzinger mit einer Äußerung zu Wort gekommen wäre, die er in einem Gespräch mit Peter Seewald (als Buch „Gott und die Welt“ erschienen) gemacht hat: „Wir wissen nicht, was in diesem Bereich [der Biotechnik] in Zukunft alles geschehen wird, aber davon können wir überzeugt sein: Gott wird einem letzten Frevel, einer letzten frevlerischen Selbstzerstörung des Menschen entgegentreten. Er wird der Erniedrigung des Menschen durch die Züchtung von Sklavenmenschen entgegentreten. Es gibt letzte Grenzen, die wir nicht überschreiten können, ohne zu Zerstörern der Schöpfung selbst zu werden, ohne damit über den ersten Sündenfall und seine negativen Folgen weit hinaus zu gehen.“

Wem diese Warnung eines führenden Kirchenmannes zu „religiös“ klingt, kann es auch anders sehen: Die Forschung an embryonalen Stammzellen und der Versuch, Menschenzucht in irgendeiner Form zu betreiben, wird an der Realität biologischer Prozesse scheitern, die eben nicht so reduktionistisch simpel sind, wie sich das viele heutige Forscher vorstellen. Allein die kürzliche Aussage einer Reproduktionsbiologin über die Klonergebnisse bei Primaten – selbst normal wirkende Zellen hätten sich bei genauerer Untersuchung als „Horrorkabinett“ entpuppt – sollte jeden ernsthaften Forscher davon überzeugen, lieber die Finger von solchen Menschenexperimenten zu lassen.

In diesem Zusammenhang erinnerte Prof. Otto Hornstein, der der ersten reproduktionsmedizinischen Schwerpunktkommission der DFG angehörte, den derzeitigen DFG-Präsidenten Winnacker in einem offenen Brief (FAZ vom 30. Januar) an das Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes von 1948, worin es heißt: „Ich will mit höchster Ehrfurcht das menschliche Leben erhalten von der Zeit der Empfängnis an.“ Es sei nicht nur befremdlich, wenn Winnacker behaupte, entscheidende Fortschritte der Medizin seien schon immer mit Tabubrüchen verbunden gewesen. Man brauche sich nur an nationalsozialistische Kampagne zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ zu erinnern. „Ich wage mir nicht vorzustellen, zu welchen Exzessen die braunen Machthaber fähig gewesen wäre, hätten ihnen schon damals die biotechnologischen Möglichkeiten der modernen Molekulargenetik zur Verfügung gestanden“, schrieb Hornstein.

Anstatt Zeit und Energie mit den umstrittenen embryonalen Zellen zu verschwenden, muß statt dessen die Forschung mit den adulten Stammzellen, die dem Patienten entnommen werden können, massiv verstärkt werden. Es gibt schon jetzt konkrete Hinweise darauf, daß sich diese Zellen so beeinflussen lassen, daß sie nicht nur Krankheiten heilen, sondern auch als Grundlage für die Erforschung der frühesten Lebensvorgänge dienen können.

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