Ein neues Blatt in der Klimawissenschaft

Unerwartete Ergebnisse fossiler Blattuntersuchungen stellen Annahmen über das Kohlendioxid in der Atmosphäre und den Klimawandel in Frage.


Eine Birke, die in den flachen holländischen Horizont ragt, durchlöchert auch die vorherrschenden Meinungen über die Menge von Kohlendioxid in der Atmosphäre. Wissenschaftler, die sich den Kopf über die Verbindung zwischen Kohlendioxid und Klimawandel zerbrechen, müssen nun entscheiden, was der bessere Indikator von Kohlendioxidkonzentrationen in der Vergangenheit ist: Aus Eisbohrkernen der Antarktis gewonnene Luftbläschen oder die Blätter von gewöhnlichen Birkenbäumen. Die Frage ist, ob das Kohlendioxid das Klima kontrolliert oder umgekehrt.

Der 50jährige Baum mit Namen Große Betty steht in einem Torfmoor 30 km östlich von Eindhoven in den Niederlanden. In jedem Herbst wirft er seine Blätter ab, die dann eine neue Moorschicht bilden. Die Blätter sind damit praktisch eine Zeitmaschine, mit der man den sich ändernden CO2-Gehalt der Atmosphäre untersuchen kann.

Bäume sind schlau. Wenn es reichlich Kohlendioxid gibt, brauchen ihre Blätter weniger Atmungsöffnungen (oder Stomata), um das für ihr Wachstum benötigte Gas aufzunehmen. Beispielsweise nahm die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zwischen 1952 und 1995 von 312 auf 359 ppm zu. Im gleichen Zeitraum sank der Stoma-Index, der die Zahl der Atmungsöffnungen angibt, bei Bettys Blättern von zehn auf sieben.

Aus den Daten der Eisluftbläschen geht hervor, daß das atmosphärische Kohlendioxid bis zur Industriellen Revolution bei 270–280 ppm relativ stabil geblieben sei. Die Birkenblätter besagen jedoch etwas ganz anderes. Als Wissenschaftler die Blätter der Großen Betty mit 11.000 Jahre alten fossilen Birkenblättern von einem anderen Standort in Holland verglichen, stellten sie große Ähnlichkeiten fest. Dies war überraschend, denn die Blätter des lebenden Baumes hatten sich an den in den letzten Jahren gestiegenen CO2-Gehalt angepaßt.

Im Juni 1999 berichteten Friederike Wagner von der Universität Utrecht und ein Team aus Utrecht, Amsterdam und Gainesville (Florida) in Science, daß der Kohlendioxid-Gehalt in der Luft nach dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 11.000 Jahren steil angestiegen ist.1 Der Stoma-Index von Birken sank von 13 auf 8, was eine Zunahme der CO2-Konzentration von etwa 260 auf etwa 348 ppm anzeigt. Nach der verbreiteten, auf Eisbläschen beruhenden Auffassung soll der Gehalt bis ins 20. Jahrhundert unter 300 ppm geblieben sein.((Wagner, F., Science, 1999, 284, 1971.))

Zeit zum Umdenken?

Milde gesagt hat der Wagner-Bericht explosive Implikationen. In einer Zeit, als es nur wenige Menschen gab, die als Jäger und Sammler lebten, kam es aus natürlichen Ursachen zu einer drastischen Änderung des CO2-Gehalts. Diese Entdeckung untergräbt eine Annahme der sogenannten Treibhaustheorie, wonach nur die Aktivitäten des modernen Menschen die CO2-Konzentrationen seit der Eiszeit nennenswert verändert haben. „Wir müssen noch einmal über die Ursachen der Kohlendioxidänderungen und ihre Verbindung zu Änderungen des Erdklimas nachdenken“, sagt Wagner.

Für die Klimawissenschaft steht viel auf dem Spiel, so daß Beobachter nach Erscheinen von Wagners Aufsatz auf einen Aufschrei seitens der Anhänger der gängigen Meinung warteten. Sechs Monate verstrichen, bis Kritiken der Birkenblatt-Ergebnisse zu erscheinen begannen.2

Unter den Einwänden gegen Wagners Methode ist die gewichtigste Frage, ob man einem einzelnen Baum trauen könne. „Messungen von einem im Torfmoor wachsenden Baum können irreführend sein“, machten Wissenschaftler von der Universität Bergen in Norwegen geltend. Im Gegenteil, meinen die Anhänger der Großen Betty. Ihrer Auffassung nach ist das jährliche Laub eines einzelnen Baumes in einem noch wachsenden Torf weitaus verläßlicher als eine Sammlung von Blättern aus verschiedenen Quellen ungewisserer Herkunft und Datierung.

Hilary Birks und andere von der Universität Bergen behaupteten außerdem, eine Analyse skandinavischer Birkenblätter ergäbe keine klare Korrelation zwischen Stoma-Index und CO2-Gehalt. Aber Wagner und ihre Kollegen widersprachen; sie hätten ihre Methode überall von den Niederlanden bis nach Nordskandinavien überprüft. Sie funktioniere, bekräftigen sie, allerdings hänge die genaue Reaktion von Blättern auf sich ändernde CO2-Konzentrationen von der Breite und der Tageslänge des Standortes ab, wo die Bäume wachsen. Dies könnte die Ergebnisse von zufälligen Standorten in Skandinavien beeinflußt haben, meinen sie. Und sie bestreiten den Einwand, daß Silberbirken und Waldbirken unterschiedlich auf CO2-Änderungen reagieren.

Forscher in Sheffield und Bergen führten auch eine Untersuchung fossiler Blätter der Zwergweide durch. Danach ergaben sich geringere Werte für Kohlendioxid in besserer Übereinstimmung mit den Eisbläschen-Ergebnissen.2 Aber diese Gruppe benutzte Blätter von weit verstreuten Gegenden und berechneten die Stomata nach Blattfläche, wohingegen Wagner und Kollegen das Verhältnis zwischen der Dichte von Stoma- und Oberflächenzellen der Blätter verwendeten. Dieser Index ist ihrer Ansicht nach viel empfindlicher für Änderungen im Kohlendioxidgehalt.

Andreas Indermühle von der Universität Bern und andere Schweizer und französische Eisexperten schließen sich der Kritik an Wagners Birkenblatt-Bericht an. Nach Indermühle sind die jüngsten Ergebnisse von Taylor Dome (Antarktis) die „verläßlichste und genaueste Rekonstruktion des atmosphärischen Kohlendioxids“.((Indermühle, A. et al., Birks, H. H. et al., und Wagner, F. et al., Science, 1999, 286, 1815. Der volle Text ist verfügbar unter http://www.sciencemag.org/cgi/content/full/286/5446/1815a.))

Kühlperioden

Wagner und Kollegen behaupten, fossile Birkenblätter aus Dänemark bestätigen die umstrittenen holländischen Ergebnisse für die Periode unmittelbar nach der Eiszeit. Eine Analyse der dänischen Fossilblätter ergibt auch spätere Änderungen in der CO2-Konzentration. Insbesondere zeigt sie deutliche Rückgänge des Kohlendioxids vor etwa 8.200 und 2.700 Jahren, was mit Zeitabschnitten übereinstimmt, wo die Erde kälter wurde.

Henk Visscher, der das Labor an der Universität Utrecht leitet, von wo Wagner und andere ihre Suche nach fossilen Blättern antreten, machte sich daran, mit Hilfe hochauflösender Stoma-Analysen die Schwankungen des Kohlendioxids seit der letzten großen Eiszeit aufzuzeichnen. Sein Vorhaben zeigt nun erstaunliche Ergebnisse. Die CO2-Konzentrationen sind danach wiederholt angestiegen und abgefallen, im scharfen Gegensatz zu dem flachen Verlauf von den Eisbläschen. Auf einem Treffen von Geophysikern in San Franzisko im Dezember 1999 berichtete Visscher, daß der jüngste große Rückgang des atmosphärischen Kohlendioxids der kleinen Eiszeit entsprach, einer Abkühlungszeit mit einem Höhepunkt vor 300 Jahren.((Visscher, H., Paper B41B-08, American Geophysical Union Fall Meeting, 16. Dezember 1999.))

Erklärung der Unterschiede

Wenn die Große Betty und die fossilen Birkenblätter die Wahrheit über CO2-Konzentrationen der Vergangenheit sagen, muß das Rätsel gelöst werden, warum die Eisbläschen-Analyse andere Ergebnisse erbringt. Riesige internationale Anstrengungen wurden unternommen, Bohrungen in der Antarktis und in Grönland durchzuführen und Luft aus vielen Eisproben zu gewinnen, um das Kohlendioxid zu messen.

Bei der Eisbläschen-Methode wird gewöhnlich Eis gemahlen oder geschabt, so daß die in Blasen gefangene Luft entweichen und für Analysezwecke gesammelt werden kann. Vor zwei Jahren berichteten jedoch Alexander Wilson und Austin Long von der Universität von Arizona, daß sich andere und höhere CO2-Konzentrationen ergeben, wenn man das Kohlendioxid durch Verdunstung aus dem Eis abtrennt.((Wilson, A. T., und Long, A. J., J. Geophys. Res., 1997, 102(C12), 26601.)) Die Unterschiede waren am deutlichsten bei älterem Eis aus den Tiefen des Eispanzers, der aus vergleichsweise warmen glazialen Perioden stammte.

Die Erklärung hierfür sei, daß Kohlendioxid aus den Luftbläschen in das feste Eis übergetreten ist, von wo es nur durch Verdunstung wiedergewonnen werden könne. „Kohlendioxid ist in Eis löslich“, sagte Wilson. „Je tiefer man in den Eiskern eindringt, nehmen Zeit und Druck zu, und dies führt zu einem deutlichen Übertritt von Kohlendioxid ins Eis.“

Eine andere Frage ist, warum die von den Birken reflektierte CO2-Konzentration so stark schwankte. Sjoerd Bohncke und Bas van Geel aus Amsterdam untersuchten die im Wagner-Bericht benutzten fossilen Blätter im Zusammenhang mit Informationen über fossilen Blütenstaub, der am gleichen Ort gesammelt wurde. Indem man herausfindet, welche Pflanzen gedeihten oder verkümmerten, geben die Pollenzählungen Hinweise auf Klimaveränderungen. Sie zeigen, daß Gräser und Kräuter von Birken verdrängt wurden, als sich das Klima vor rund 11.000 Jahren erwärmte.1

„Wir haben Belege, die darauf schließen lassen, daß der Anstieg des Kohlendioxids die Folge steigender Temperaturen, nicht deren Ursache gewesen ist“, sagte van Geel. „Wir brauchen zwar weitere Daten, um ganz sicher zu sein, aber es scheint, als wenn der Temperaturanstieg etwas früher als der Kohlendioxidanstieg einsetzte. Die wärmeren Meere könnten die Quelle des Kohlendioxids gewesen sein.“

In diesem Jahr wird das International Panel on Climate Change (IPCC) einen neuen Bericht über die Wissenschaft der globalen Erwärmung vorlegen. In ihren ersten Vorbereitungsschritten schenkten die beteiligten Wissenschaftler Wagners Birkenblättern oder den von ihnen aufgeworfenen heiklen Fragen keine Aufmerksamkeit. Aber nach dem jüngsten Meinungsaustausch werden sie darüber wohl erneut nachdenken müssen.


Nigel Calder, früherer Editor des New Scientist ist Wissenschaftsjournalist und Buchautor. Sein Buch „Die launische Sonne widerlegt Klimatheorien“ ist 1997 im Böttiger-Verlag erschienen.

Der vorliegende Artikel erschien in englischer Sprache in Chemistry & Industry (24. Januar 2000), herausgegeben von der Society of Chemical Industry. Deutscher Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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