Was uns China voraus hat

Die Strategie, die China seit 30 Jahren verfolgt, um das eigene Land aufzubauen und gleichzeitig mit der Belt and Road Initiative der ganzen Welt und insbesondere dem Globalen Süden eine Entwicklungsperspektive anzubieten, scheint sich jetzt voll auszuzahlen. Denn nicht nur in China, sondern weltweit ergibt sich durch den Bau und die Planung großer Infrastrukturprojekte eine ganz neue Perspektive, um uns auf einen Kurs zu einem neuen Paradigma zu bringen. Einige dieser wichtigen Projekte werden in dieser Ausgabe vorgestellt.

Es ist bewundernswürdig, mit welch großen Anstrengungen China technologische Megaprojekte verwirklicht, die das Land in vielen Bereichen an die Weltspitze gebracht hat. Um nur einige zu nennen: Ein 47.000 km langes Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz, der Drei-Schluchten-Damm, die Megacity Chongqing, die Erweiterung des riesigen Guangzhou-Flughafens, der Mega-Staudamm im Himalaya, die Raumstation und nicht zuletzt die Huajiang-Grand-Canyon-Brücke, die höchste und längste Hängebrücke der Welt.

Im Westen dagegen herrscht Stagnation und Rückschritt. Wir können unsere grundlegende Infrastruktur nicht erhalten, bauen unsere produktive Wirtschaft ab und versinken in einem gesellschaftlichen Pessimismus, der sich insbesondere in Deutschland immer verheerender zeigt. Das ist der Nährboden für eine immer aggressivere Aufrüstungspolitik, die sich genau gegen die Länder richtet, die sich entschlossen haben, in eine ganz andere Richtung zu gehen: Russland und China.

Konfuzius und Leibniz

China kann auf eine Jahrtausend lange Geschichte zurückblicken, die dem Land heute hilft, ganz in der Tradition von Konfuzius eine neue wirtschaftliche und kulturelle Blüte einzuleiten.

Warum können wir uns diese Anschauung nicht zum Vorbild nehmen – so wie es eigentlich ganz in unserem eigenen Interesse liegt? Eine Rückbesinnung auf den Kampf, den Leibniz im 17. Jahrhundert führte, um Europa aus der Zerstörung durch irrationale Kriege herauszuführen und die „Dämonen des religiösen Fanatismus“ zu vertreiben, könnte helfen, wieder die Bedingungen für Frieden und Entwicklung auf dem gesamten eurasischen Kontinent zu schaffen.

Leibniz‘ großer Plan war ein Bündnis zwischen Europa und China, den entwickeltsten Gebieten der damaligen Welt, um auch dem dazwischen gelegenen Russland durch kulturellen und wirtschaftlichen Austausch auf die Beine zu helfen. Zwar sind die Beziehungen zwischen den Nationen heute nicht die gleichen, aber das Prinzip ist dasselbe.

Seinen Entwurf präsentierte Leibniz im Vorwort zu seinem Werk Novissima Sinica – Neuigkeiten aus China –, in dem er schreibt:

„Durch einzigartige Entscheidung des Schicksals, wie ich glaube, ist es dahin gekommen, dass die höchste Kultur und die höchste technische Zivilisation der Menschheit heute gleichsam gesammelt sind an zwei äußersten Enden unseres Kontinents, in Europa und China, das gleichsam wie ein Europa des Ostens das entgegengesetzte Ende der Erde ziert. Vielleicht verfolgt die höchste Vorsehung dabei das Ziel – während die zivilisierten und gleichzeitig am weitesten voneinander entfernten Völker sich die Arme entgegenstrecken – alles, was sich dazwischen befindet, allmählich zu einem vernunftgemäßen Leben zu führen.“

Leibniz hatte das große Glück, dass sich damals sowohl Zar Peter der Große als auch der chinesische Kaiser Kangxi für Europa öffneten und einen „großen Eifer zeigten, ihren Ländern die Kenntnis der Wissenschaften und der europäischen Kultur zu bringen.“ Er traf dreimal (1711, 1712, 1716) mit Peter dem Großen zusammen und wurde dessen Berater. Zu Kangxi hatte er keine direkten Beziehungen, aber er stand in Verbindung mit einer Gruppe jesuitischer Missionare, die seit 100 Jahren in China wirkten und denen es dank ihrer wissenschaftlichen Kenntnisse gelungen war, das Vertrauen der Kaiser und insbesondere Kangxis zu gewinnen, der damals regierte. Leibniz stand in Briefkontakt mit vielen dieser Jesuiten und regte selbst die Mission von fünf jesuitischen Missionaren an, die 1685 nach China aufbrachen, um mit Kangxi zusammenzuarbeiten.

Tatsächlich wären heute China wie auch Russland bereit, sofort in eine umfassende Kooperation mit Europa einzutreten, sobald im Westen ein positiver Sinneswandel und die Bereitschaft erkennbar wären, vom eigenen hohen Ross abzusteigen, d. h. die irrationale und gefährliche Geopolitik von Konfrontation und Krieg aufzugeben.

Wir sollten einfach wieder unsere Augen öffnen und uns mit offenem Sinn in der Welt umschauen. So wie Leibniz es zu seiner Zeit gemacht hat. Er schreibt:

„Aber wer hätte einst geglaubt, es möchte auf Erden ein Volk geben, das uns, die wir meinen, unsere Verfeinerung bis zur höchsten Gesittung getrieben zu haben, dennoch überträfe durch seine Regeln für ein Leben, das noch stärker im Dienste der Gemeinschaft stünde? Ein solches Volk lernen wir nun aber in den Chinesen kennen, seit wir mit ihnen näher bekannt geworden sind… Wir sind wir ihnen doch – man schämt sich fast, es zu sagen – in der praktischen Philosophie unterlegen, das heißt in den auf Leben und Bedürfnisse der Menschen zugeschnittenen Ordnungen… Die größten Übel schaffen die Menschen ja sich selbst und verursachen sie sich gegenseitig; mit nur zu großem Recht hat man gesagt, der Mensch sei dem Menschen ein Wolf: in unserer, ja einer ganz allgemein verbreiteten Dummheit und obwohl wir so vielen Unbilden der Natur ausgesetzt sind, vergrössern wir selbst noch unser Elend, als wüssten wir nicht, woher wir es sonst nehmen sollten.“

Wie trefflich beschreibt Leibniz unser Elend heute, das wir durch eigene Dummheit über uns gebracht haben. Dabei sind es gerade die Tugenden, die Deutschland einmal ausgezeichnet und zu größten Leistungen befähigt haben, die wir bei den Chinesen heute wiederentdecken. Leibniz hat genau verstanden, was das Problem dabei ist:

„Wenn denn je ein Volk ein Mittel gegen dieses Übel [die sich der Mensch selbst beibringt] beigesteuert hat, dann sind es die Chinesen, die vor allen anderen einer besseren Orientierung nahegekommen sind und die in einer riesigen Gesellschaft fast mehr bewirkt haben als bei uns die Ordensstifter in ihren Gemeinschaften. So groß ist der Gehorsam vor Höherstehenden, so groß die Ehrfurcht vor Älteren, so schon beinahe fromm die Verehrung der Kinder für ihre Eltern, dass eine Handgreiflichkeit, ja nur ein heftiges Wort [unter diesen Verhältnissen] von den Chinesen als fast unerhört und – wie bei uns ein Vatermord – nahezu als entehrendes Vergehen angesehen wird. Unter gleichen wiederum oder solchen, zwischen denen eine weniger starke Bindung besteht, herrschen eine erstaunliche Ehrerbietung und eine vorgeschriebene Form der Höflichkeit, die für unsereins etwas Unterwürfiges haben, sind wir es doch kaum gewohnt, Rücksichten zu nehmen und Regeln zu befolgen… Bei uns halten ein gewisser Respekt und die Wahrung der Formen kaum während der ersten Tage einer neuen Bekanntschaft, wenn überhaupt, dann lässt man mit zunehmender Vertrautheit die Vorsicht fallen, angeblich zugunsten eines liebenswerten Freimuts, aus dem aber doch alsbald Verachtung, bissige Worte, Zornesausbrüche und schließlich Feindseligkeiten erwachsen…“

Leibniz war über die Korruption im damaligen Europa so verzweifelt, dass er vorschlug, „dass man Missionare der Chinesen zu uns schickt, die uns Anwendung und Praxis einer natürlichen Theologie lehren könnten.“

Anders gesagt heißt das, damit wir mit unserer aggressiven Aufrüstungsrhetorik nicht schlafwandlerisch im dritten Weltkrieg enden, sollten wir dringend unsere Politik ändern. Denn „hat [ein Volk]… keinen festen Lebensunterhalt, so verliert es auch die Festigkeit des Herzens. Ohne Festigkeit des Herzens aber kommt es zu Zuchtlosigkeit, Gemeinheit, Schlechtigkeit und Leidenschaften aller Art.“ Was Leibniz schon wusste, trifft für heute allemal zu. Und deshalb sind Chinas Anstrengungen zum Aufbau der Infrastruktur und zur Hebung des Lebensstandards der Bevölkerung der beste Weg, Frieden auf der Welt zu schaffen.

FUSION
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