Johannes Kepler, ein großer Mensch und Wissenschaftler

Wir können heute von Johannes Kepler, dem Begründer der Wissenschaft der Astrophysik, viel mehr lernen, als wichtige Wissenschaftsergebnisse. Keplers besonderer Schatz für uns „moderne Menschen“ ist seine Methode der Hypothesenbildung, die er uns völlig offen darlegt. Denn er sagte in seiner Astronomia Nova: „Mir kommen die Wege, auf denen die Menschen zur Erkenntnis der himmlischen Dinge gelangen, fast ebenso bewunderungswürdig vor wie die Natur dieser Dinge selber. Daher zeige ich diese Wege mit Sorgfalt auf.“ Sein ganzes Leben spürte Kepler dem Weltenaufbau und den dem menschlichen Denken zugrundeliegenden harmonischen Gesetze nach: „Was ist die Welt, aus welchem Grund, nach welchem Plan ist sie von Gott geschaffen?“

Und im Gegensatz zu modernen Wissenschaftspessimisten wußte Kepler, daß der Mensch die Welt erkennen kann: „Für Gott liegen in der ganzen Körperwelt körperliche Gesetze, Zahlen und Verhältnisse vor, und zwar höchst erlesene und auf das beste geordnete Gesetze… Jene Gesetze liegen innerhalb des Fassungsvermögens des menschlichen Geistes; Gott wollte sie uns erkennen lassen, als er uns nach seinem Ebenbild erschuf, damit wir Anteil bekämen an seinem eigenen Gedanken. Denn was steckt im Geiste des Menschen außer Zahlen und Größen?“ (Brief an Herwart, 1599).

Die Welt zu Keplers Zeit: Krieg und Fanatismus

Johannes Kepler wurde 1571 in Weil der Stadt geboren. Sein Vater war Landsknecht, „ein lasterhafter, schroffer und händelsüchtiger Mensch“, der als Abenteurer in die Niederlande zog, um auf der Seite des Herzogs Alba den Freiheitskampf der Niederlande niederzuschlagen. Seine Mutter, „streitsüchtig und von unguter Art“, kümmerte sich nicht viel um die Kinder. Die Familie zog ruhelos umher, und der kleine Johannes konnte die Schule nicht regelmäßig besuchen. Erst mit 13 Jahren trat er in die Klosterschule Adelsberg ein. Ab 1589 konnte er in Tübingen Theologie, Mathematik und Astronomie studieren.

Es wüteten die Schrecken der Reformation und Gegenreformation, und alles verdichtete sich schon zu dem schrecklichen Dreißigjährigen Krieg, der 1618 die Hälfte der europäischen Bevölkerung direkt oder indirekt hinwegraffte. Die Religionskriege hatten den Glauben an einen rationalen Gott begraben. 1517 hatte Luther seine Thesen angeschlagen, 1532 Calvin seine Prädestinationslehre veröffentlicht und 1534 Loyola den Jesuitenorden gegründet, zur gleichen Zeit setzte Papst Paul III. die Inquisition ein. Lutheranismus, Kalvinismus und Jesuitentum lieferten das moralische Deckmäntelchen, andersdenkende blutig auszurotten, wenn es in die politischen Karten paßte, ähnlich wie heute in Bosnien und im Kaukasus.

Genau wie auf religiösem, so wütete auch auf erkenntnistheoretischem Gebiet der Kampf. Mit dem Ende der Renaissance zog der scholastische Aristotelismus wieder in die Wissenschaften ein. In der Astronomie wird die Rigidität des Aristotelismus besonders deutlich: Aristoteles geht von einem absoluten Raum aus. In diesem Raum ist ein Punkt ausgezeichnet, nämlich die Mitte. Und da der Mittelpunkt des Raumes die Eigenschaft hat, Ziel alles Schweren zu sein, ist die „schwere“ Erde dort festgenagelt. Ptolemäus hatte 150 n. Chr. im Almagest dieses Weltbild für alle Zeiten festgeschmiedet. Himmel und Erde waren strikt getrennte Bereiche. Erst 1543 rückte Kopernikus in seiner Schrift Von den Umdrehungen der Himmelssphären die Sonne, wie zuvor schon bei dem Griechen Aristarch, ins Zentrum der Welt.

Das Weltgeheimnis

Kepler lernte schon in seiner Jugend die kopernikanischen Ideen kennen, die an der Universität Tübingen „unter dem Ladentisch“ gehandelt wurden. In einem Brief an Maestlin 1595 schrieb er: „Die Lehren des Kopernikus widersprechen der Natur der Dinge nicht nur nicht, sie dienen ihr vielmehr als Stütze. Die Natur liebt die Einfachheit, sie liebt die Einheit. Nichts ist in ihr je untätig oder überflüssig… Ich dagegen möchte in der Natur nicht ohne weiteres das Axiom preisgeben,… daß Gott in der Regel durch kleinste Mittel Größtes erreicht hat“. Hier klingt schon das später von Leibniz geprägte Gesetz der kleinsten Wirkung an.

Im Februar 1596, vor 400 Jahren, wurde Keplers wissenschaftliches Erstlingswerk Vorbote einer allgemeinen Weltbeschreibung: das Weltgeheimnis veröffentlicht. Kepler war zutiefst davon überzeugt, daß die Welt eine „beste geordnete Schöpfung“ sei (Brief an Maestlin, 1595).

„Drei Dinge waren es vor allem, deren Ursache, warum sie so und nicht anders sind, ich unablässig erforschte, nämlich die Zahl, Größe und Bewegung der Bahnen der Wandelsterne“ (Vorwort zum Weltgeheimnis). Diese Frage ist für Kepler die Frage danach, wie Gott die Welt geschaffen hat, d. h. nach dem Entwicklungsprinzip des Universums. Und Kepler beschreibt im Weltgeheimnis, welche Wege er gegangen ist, um hier eine Gesetzmäßigkeit herauszufinden, um den „physikalischen Gründen“ des Aufbaus der Welt und der Bewegung der Planeten auf die Schliche zu kommen. Zuerst versucht er, direkt zwischen den Bahnabständen der Planeten harmonische Verhältnisse zu entdecken, dann zwischen den Umlaufzeiten, schließlich versucht er, regelmäßige Flächen in die verschiedenen Bahnradien einzufügen. Kepler verwirft all dies und findet schließlich die gesuchte Harmonie in einer vollkommeneren Weise, als er sie ursprünglich vermutet hatte.

Er beschreibt, wie ihm am 19. Juli 1595, mitten in einer Schulstunde (noch vor den Abschlußprüfungen seines Studiums war Kepler von den Universitätsvorgesetzten in Tübingen als Lehrer und Landschaftsmathematiker 1594 nach Graz in Oberösterreich geschickt worden), nach langem, vergeblichem Bemühen der folgende Gedanke aufblitzte: „Die Erde ist das Maß für alle anderen Bahnen. Ihr umschreibe ein Dodekaeder; die diesen umspannende Sphäre ist der Mars. Der Marsbahn umschreibe ein Tetraeder, die diesen umspannende Sphäre ist der Jupiter. Der Jupiter umschreibe einen Würfel; die diesen umspannende Sphäre ist der Saturn. Nun lege in die Erdbahn ein Ikosaeder; diesem umschriebene Sphäre ist die Venus. In die Venus lege ein Oktaeder; die diesem einbeschriebene Sphäre ist der Merkur.“

Dies ist kein fixes Modell im Sinne heutiger physikalischer Modelle, sondern bringt den harmonischen Entwicklungsprozeß des Universums zum Ausdruck. Kepler war davon so begeistert („Die hohe Freude, die ich über meine Entdeckung empfand, werde ich niemals in Worte fassen können“), daß er Herzog Friedrich von Württemberg aufforderte, nach seinen Angaben einen kostbaren Trinkbecher aus Gold und Edelsteinen zu erstellen, „ein recht eigentlich Ebenbild der Welt und Muster der Erschaffung“.

Die fünf Platonischen Körper sind Begrenzungen in der sichtbaren Welt, und Gott hat die Welt nach einheitlichen Gesetzen geschaffen. Die Platonischen Körper drücken eine charakteristische Begrenzung des visuellen Raumes aus, wie Platon es sagt. Wie das verknöcherte Schneckenhaus, das wir am Strande finden, ein Abdruck des Wachstums einer lebendigen Schnecke ist (und die spezifische Spiralform eben dadurch erhält, daß die gesamte Schnecke auf dem Rücken ihres vorherigen Wachstumszyklus wächst), so sind die Platonischen Körper ein Ausdruck des Schöpfungsprozesses. Sie sind kein Symbol der Schöpfungsordnung, sondern wie das erwähnte Schneckenhaus bringen sie das wesentliche harmonische Charakteristikum des Schöpfungsprozesses zum Ausdruck, wie Gott die Welt komponiert hat. Und dieses stimmt eben genau mit dem schöpferischen Denken des Menschen überein. Was Kepler von Symbolismus hält, sagt er 1608 in einem Brief an Tanckius: „Denn mit Symbolen wird nichts bewiesen; es wird in der Naturphilosophie durch geometrische Symbole nichts Verborgenes enthüllt, vielmehr nur vorher schon bekannte Dinge zusammengefügt.“

Von Graz nach Prag

Der selbständig und undogmatisch denkende Kepler macht natürlich keine normale akademische Karriere. Er wurde oft verleumdet und bekämpft. Wegen seines Glaubens wird er dreimal vertrieben, er hat immer Geldsorgen, obwohl er als kaiserlicher Hofmathematiker eigentlich einen Spitzenjob hatte (bei seinem Tod schuldete das Kaiserreich ihm 12.000 Gulden), und er steht in seiner wissenschaftlichen Arbeit ganz alleine da.

Seit 1594 arbeitet Kepler in Graz als Lehrer und Landschaftsmathematiker und erstellt in dieser Position Kalender, in der sich seine politische Weitsicht niederschlägt und er Türkeneinfälle und Bauernaufstände voraussagt – diese Voraussagen liest er bestimmt nicht von den Sternenabläufen ab.

1597 heiratet er Barbara Müller, eine Witwe, mit einem Töchterchen Regina. Dem Paar werden in Graz zwei Kinder geboren, die nach kurzer Zeit sterben. Kepler selbst ist kränklich und befürchtet, von der Pest, die Graz heimsucht, befallen zu werden. 1598 läßt Erzherzog Ferdinand II. alle protestantischen Schulen in Graz schließen, und alle evangelischen Lehrer und Prediger müssen innerhalb einer kurzen Zeit konvertieren oder ausreisen. Kepler darf nach einem Monat wieder zurückkommen – er hat starke Fürsprecher. 1600 nimmt er eine Einladung Tycho Brahes nach Prag an. Brahe ist ein bedeutender dänischer Astronom, der über die genauesten Beobachtungsdaten seiner Zeit verfügt, diese aber sehr eifersüchtig bewacht. Kepler ist brennend interessiert an den Beobachtungsdaten Brahes, denn, so schreibt er an Herwart im Juli 1600: „Einer der wichtigsten Gründe, warum ich Tycho besuchte, war ja mein Wunsch, von ihm richtigere Werte zu erfahren… Denn es dürfen diese Spekulationen a priori nicht gegen die offenkundige Erfahrung verstoßen, sie müssen vielmehr mit ihr in Übereinstimmung gebracht werden.“

Einen Monat, nachdem Kepler in die Steiermark zurückkommt, werden jedoch alle Protestanten, die nicht unmittelbar zum Katholizismus konvertieren wollen, endgültig aus Graz ausgewiesen. Das betrifft auch Kepler. Verfolgt und mittellos wendet er sich an seine Heimat, doch auch in Tübingen ist er nicht erwünscht, weil er das dort herrschende lutherische Dogma, die Konkordienformel, nicht unterschreiben kann. Er sitzt als denkender und seinem Gewissen verpflichteter Mensch zwischen allen Stühlen. Und sein Lehrer Maestlin, an den er sich immer wieder verzweifelt wendet, schreibt, er könne nur für ihn beten, und läßt dann fünf Jahre lang kein Wort mehr von sich hören. Schließlich ruft Tycho Brahe Kepler nach Prag und sorgt für eine Anstellung Keplers am kaiserlichen Hof.

1601 stirbt Brahe, und Kepler wird als kaiserlicher Hofastronom sein Nachfolger in Prag. Doch hören die Drangsale nicht auf. Die Erben Brahes sitzen kleinlich auf den Daten, und die kaiserlichen Taschen sind leer. „Ich stehe ganze Tage in der Hofkammer und bin für Studien nichts. Ich stärke mich jedoch mit dem Gedanken, daß ich nicht dem Kaiser allein, sondern dem ganzen menschlichen Geschlechte diene, daß ich nicht bloß für die gegenwärtige Generation, sondern auch für die Nachwelt arbeite.“

Oft kann Kepler seine Familie nur ernähren, indem „die Dirne Astrologie die Mutter Astronomie unterstützt.“ Im Prognosticum auf das Jahr 1602 schreibt Kepler: „Wir benützen die ungeordneten und verderblichen (astrologischen) Begierden der Menge, um ihr als Heilmittel geeignete Mahnungen unter der Form von Prognostiken verhüllt einzuträufeln, Mahnungen, die zur Beseitigung dieser Krankheit beitragen und die wir auf andere Weise kaum einbringen können.“ Kepler benutzt also bewußt den Glauben an die Astrologie zur Erziehung.

1608 tritt Wallenstein zum ersten Mal an Kepler heran und läßt sich ein Horoskop erstellen. Kepler hält Wallenstein einen ungeschminkten Spiegel vors Gesicht. Er sieht zwar harmonische Zusammenhänge zwischen dem Universum und dem Menschen, doch nicht in Form der primitiven Astrologie. „Ich denke ja nicht daran, den Sternen die Bestimmung des Ausgangs unserer Pläne zuzuschreiben, die Gottes Werk ist“ (Brief an Strahlendorf, 1613).

Was Astrologie bei Kepler wirklich bedeutet, wird klar, wenn man sieht, daß er in der Weltharmonik dem vierten Buch, welches sich mit Astrologie beschäftigt, einen politischen Exkurs voranstellt. In diesem politischen Exkurs versucht zu ergründen, wie ein harmonisches Staatswesen geordnet sein müsse. Das, was in diesem vierten Buch die Astrologie wissenschaftlich zu ergründen versucht, nämlich wie die Harmonie des einzelnen Menschen mit seiner Umgebung und dem Universum insgesamt ermöglicht wird, bezeichnen wir heute als Politologie, Psychologie und Soziologie.

Kepler in Linz

1611 wird Kaiser Rudolf II. von seinem Bruder Matthias und den böhmischen Ständen gestürzt. Im gleichen Jahr sterben Keplers Frau und sein jüngster Sohn kurz hintereinander. Keplers Lage in Prag wird gänzlich unsicher. 1612 stirbt Rudolf, und Matthias wird zum Kaiser gewählt.

In einem Brief an Crüger, März 1615, beschreibt Kepler die schreckliche Lage: „Das Jahr 1611 war durchaus ein Jahr der Trauer und des Unheils. Zunächst erhielt ich vom Hof keinerlei Bezahlung. Meine Frau… erkrankte schließlich 1610 aufs schwerste an ungarischem Fieber und Epilepsie und wurde geistesgestört. Kaum erholte sie sich wieder, als drei meiner Kinder im Januar 1611 von den Pocken ergriffen wurden und alle gleichzeitig aufs schwerste darniederlagen. Inzwischen besetzte Leopold mit einem Heer den Teil der Stadt jenseits des Flusses. Gerade zu gleicher Zeit starb schließlich der liebste meiner Söhne… Den anderen Stadtteil diesseits des Flusses, in dem ich wohnte, beunruhigten böhmische Heerhaufen, aus Bauern zusammengelesen und eine drohende Haltung einnehmend. Schließlich kamen die österreichischen Haufen dazu und brachten ansteckende Krankheiten mit. Ich begab mich nach Österreich, um mich nach dem Ort umzusehen, an dem ich mich jetzt befinde. Im Juni zurückgekehrt fand ich meine Frau… im ersten Stadium der Ansteckung. Am 11. Tag nach meiner Rückkehr verlor ich sie.“

Kepler sieht keine Zukunft mehr in Prag und geht mit seinen zwei kleinen Kindern nach Linz, wo er die Stelle eines Landschaftsmathematikers annimmt und 1613 die junge Susanne Reutinger heiratet. Hier kann er zwar 14 Jahre lang leben und sein Lebenswerk, die Weltharmonik, herausbringen, aber der Druck auf ihn wird immer härter.

Gleich in den ersten Tagen seiner Ankunft in Linz versetzen ihm die Lutheraner von Württemberg einen Schlag, der nur Auftakt ist zu weiteren Schikanen und Verfolgungen. Weil Kepler immer noch nicht die sogenannte Konkordienformel unterschreiben will, schließt Pastor Daniel Hitzler Kepler vom Abendmahl aus, was einer gesellschaftlichen Verbannung gleichkommt. Das Tübinger Konsistorium beschreibt ihn als „Schwindelhirnlein“ und empfiehlt: „Trauet eurem guten Ingenio nicht zu viel und sehet zu, daß euer Glaub nicht auf Menschen Weisheit, sondern auf Gottes Kraft bestehe.“

Auch bei einer weiteren Intrige laufen die Fäden in Tübingen zusammen. Seine Mutter wird als Hexe angeklagt, und ihr droht der Scheiterhaufen, eine damals nicht unübliche Form der Altersversorgung. An den Herzog von Württemberg schreibt Kepler: „Da dann sonderlich diejenigen herhalten müssen, die der jungen heranwachsenden schnöden Welt zu lang gelebt und wegen ihres Alters verdrießlich geworden sind, nach dem allzugemeinen unchristlichen Sprichwort: Nur auf den Scheiterhaufen mit den alten Weibern“. Kepler muß sechs Jahre lang immer wieder seine Arbeiten verlassen und in den demütigenden Prozeß eingreifen, bis schließlich 1521 das Urteil verkündet wird, daß seine Mutter nicht hingerichtet wird, sondern nur mit dem Anblick der Folterwerkzeuge konfrontiert werden soll. Kurz nach ihrer Entlassung stirbt sie.

Weltharmonik

Genau zu dem Zeitpunkt, an dem in Deutschland ein Krieg ausbricht, der ganz Europa erfassen und später der Dreißigjährige Krieg genannt werden wird, vollendet Kepler die Weltharmonik, eine konsequente Fortsetzung des Mysterium Cosmographicum, des Weltgeheimnisses.

Die Weltharmonik besteht aus fünf Büchern. Die beiden ersten Bücher beschäftigen sich mit den harmonischen Verhältnissen in der Geometrie; daraus werden im dritten Buch die musikalischen Harmonien abgeleitet; im vierten Buch werden Metaphysik, Psychologisches und Astrologisches behandelt, und das fünfte Buch behandelt die Gesamtharmonie der Entwicklung des Universums – „Astronomisches und Metaphysisches Buch, die vollkommensten Harmonien der Himmelsbewegungen und der Ursprung der Exzentrizitäten aus den harmonischen Proportionen.“

Wie schon beim Weltgeheimnis beschreibt er genau, wann und wie er die Gesamtharmonie der Planeten entdeckte: „Am 8. März dieses Jahres 1618 ist sie in meinem Kopf aufgetaucht… Schließlich kam sie am 15. Mai wieder und besiegte in einem neuen Anlauf die Finsternis meines Geistes, wobei sich zwischen meiner 17jährigen Arbeit an den tychonischen Beobachtungen und meiner gegenwärtigen Überlegung eine so treffliche Übereinstimmung ergab, daß ich zuerst glaubte, ich hätte geträumt und das Gesuchte in den Beweisunterlagen vorausgesetzt. Allein es ist ganz sicher und stimmt vollkommen, daß die Proportionen, die zwischen den Umlaufzeiten irgend zweier Planeten besteht, genau das Anderthalbe der Proportion der mittleren Abstände, d. h. der Bahnen selber ist.“

Das ist das sog. dritte Keplersche Gesetz. In ihm stehen die Planeten untereinander in harmonischer Beziehung. Newton hat dies von den Füßen auf den Kopf gestellt, indem er den Harmoniegedanken (der ja für Kepler gerade die Grundlage der Erkennbarkeit des Universums durch den Menschen ist) verwirft und alles auf Fernwirkung zwischen jeweils zwei Objekten im absoluten Raum reduziert und für diese Bewegung algebraisch das dritte Keplersche Gesetz umformuliert. Newton hat also seine Hypothese des absoluten Raumes Keplers Forschungsergebnissen untergeschoben und dabei den wesentlichen erkenntnistheoretischen Inhalt von Keplers Werk negiert.

In der Weltharmonik erklärt Kepler nicht nur die Planetenbewegungen, wie wir das heute in der Schulphysik mit dem Newtonschen Formalismus tun, sondern er begründet, warum die Planetenbahnen genau die erkennbare harmonische Ordnung haben. Das ist eine Frage, die im Rahmen der heutigen Schulphysik überhaupt nicht mehr sinnvoll gestellt werden kann.

Worin geht nun aber Kepler in der Weltharmonik über das Mysterium Cosmographicum hinaus? Kepler wußte, daß das Universum in einem kontinuierlichen Schöpfungsprozeß begriffen ist. Deshalb hatte er im Mysterium Cosmographicum die Gesetzmäßigkeit dieses Zeugungsprozesses in harmonischen Verhältnissen gesucht. Doch Kepler hatte diese Verhältnisse allein zwischen den Planetensphären, den „toten“ Dingen (siehe Schneckenschalen) gesucht, und die lebendige Aktion vernachlässigt. In der Weltharmonik erkennt er, daß die Harmonie zwischen den Relationen der „lebendigen“ Umlaufgeschwindigkeit der Planeten besteht, und zwar gemessen an den Winkelgeschwindigkeiten, wie sie einem Beobachter von der Sonne aus erscheinen.

„Ich hatte eben an diesem Haus der Welt nichts als Steine gesucht, zwar solche von gefälliger Form, aber eben doch nur von einer Form, wie sie Steine haben. Ich wußte nicht, daß der Weltbaumeister die Steine nach dem wohlgegliederten Bild der belebten Körper gestaltet hatte… Die Harmonie ist gewissermaßen ein Band der Vereinigung. Es liegt aber eine weitergehende Vereinigung vor, wenn die Planeten alle miteinander eine Harmonie bilden.“

Ganz im Kontrast dazu wurde die Harmonie in der politischen und gesellschaftlichen Welt immer mehr zerstört. Im gleichen Monat Mai geschieht der Fenstersturz zu Prag, der als offizieller Beginn des Dreißigjährigen Krieges gilt, welcher die Hälfte der Bevölkerung Zentraleuropas auslöschen wird. Kepler stirbt verarmt im November 1630 in Regensburg, sein Grab wird später verwüstet und wissenschaftlich wird er geächtet.

Als Johannes Kepler seine Weltharmonik niederschrieb, tat er dies zu Ehren der göttlichen Wahrheit, ganz unabhängig vom Wissen und Meinen der Menschen seiner Zeit. Er sagte: „Wohlan, ich werfe den Würfel und schreibe ein Buch für die Gegenwart oder die Nachwelt, mir ist es gleich, es mag 100 Jahre seines Lesers harren.“ Die 100 Jahre sind längst vergangen.

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