Wissenschaft versus HIV-Phänomen

Ein Artikel über die Immunschwächeseuche AIDS, der 1994 in FUSION erschien1, schlägt immer noch hohe Wellen. Vor allem nach dem Erscheinen einer englischsprachigen Version dieses Artikels in unserem amerikanischen Schwestermagazin 21st Century Science & Technology (Sommer-Ausgabe 1995) sah sich die darin angesprochene Fangemeinde des umstrittenen Virologen und AIDS-Forschers Peter Duesberg veranlaßt, Stellungnahmen und „Widerlegungen“ abzugeben, die wir teilweise auch in FUSION wiedergegeben haben.2 Ziel unserer Darstellung war es, die verdrehten Thesen Peter Duesbergs zu widerlegen, der behauptet, das Humane Immunschwächevirus HIV sei nicht der ursächliche Auslöser von AIDS, sondern die Ursache dafür sei vielmehr eine Vielzahl von Einwirkungen, darunter das AIDS-Medikament AZT, Drogenkonsum und andere Einflüsse, die das Immunsystem des Menschen schwächen.

Nun ist im Dezember 1996 bei der Redaktion von 21st Century ein von dem australischen Journalisten Gary R. Robertson verfaßter Aufsatz eingegangen, der im Namen von Peter Duesberg eine „offizielle“ Widerlegung meines ursprünglichen FUSION-Artikels vornimmt. Wir möchten auf einen vollständigen Abdruck des Textes in FUSION verzichten und unseren Lesern nur einige Auszüge der dort vorgetragenen gängigen Duesberg-Argumente zumuten, da sie in den einschlägigen Publikationen ohnehin leicht nachzulesen sind. Im Anschluß daran folgen zwei Beiträge des angesprochenen Autors und von Dr. Jonathan Tennenbaum, die von faktischer wie methodischer Seite die Duesberg-Frage abschließend behandeln.


Anmerkungen

1. Lillge, Wolfgang, „Zahlentricks und die große AIDS-Lüge“, FUSION, 15. Jg, Nr. 3, 1994, S. 23ff.
2. Hogan, James, „AIDS und die Duesberg-Theorie“, Leserforum, FUSION, 16. Jg, Nr. 3, 1995, S. 8.


 

Wissenschaft versus HIV-Phänomen

21st Century/FUSION deckt Propaganda und Betrug in der Wissenschaft auf – eine Funktion, die analytische Strenge und ein hohes Maß an Unparteilichkeit erfordert. Dr. Wolfgang Lillge zeigt jedoch in seiner Beurteilung der Meinungsverschiedenheiten über die die Ursache von AIDS einen erheblichen Mangel an kritischem Urteilsvermögen. „Zahlentricks und die große AIDS-Lüge“ ist ein höchst selektiver und voreingenommener Kommentar über ein Papier, das bereits zuvor in der wissenschaftlichen Literatur widerlegt worden ist.1 Darüber hinaus ist der Artikel feindlich und enthält ungerechtfertigte Behauptungen.

Probleme mit der „Korrelation zwischen AIDS und HIV“

Lillge meint, es gebe „eine eindeutige Beziehung zwischen Infektion mit HIV und dem Auftreten von ,AIDS'“. Diese Ansicht ist jedoch wegen folgendem unbegründet.

  1. AIDS neigt zu einer Korrelation mit HIV, weil AIDS als Krankheiten definiert ist, die in der Gegenwart von HIV-Antikörpern auftreten. Somit ist die „eindeutige“ Korrelation zwischen AIDS und HIV ein Artefakt der Definition selbst. Darüber hinaus besteht diese „Korrelation“ zwischen AIDS und HIV-Antikörpern – nicht HIV.
  2. Die meisten AIDS-Tests bestimmen nicht HIV, sondern nur HIV-Antikörper. Folglich ist nicht bekannt, wie viele AIDS-Fälle HIV-antikörperpositiv, aber virusnegativ gewesen sind. Deshalb kann ein Teil von AIDS-Fällen HIV-Antikörper, aber kein HIV aufweisen – ein Phänomen, das auf eine erfolgreiche Immunantwort hinweist.
  3. Die Diagnose AIDS gründet sich großenteils auf Vermutungen:
  1. Nur etwa 75% der amerikanischen AIDS-Patienten sind auf HIV-Antikörper getestet; bei dem Rest wurde die Diagnose aufgrund der Krankheitssymptome vermutet.2
  2. In Afrika soll HIV die Ursache fast aller AIDS-Fälle sein, da Schätzungen der Zahl HIV-positiver Afrikaner Extrapolationen von Antikörpertests kleiner Bevölkerungsgruppen sind.3 (…)

4. Es ist nicht bekannt, wie viele HIV-negative AIDS-Fälle es gibt, da die Centers for Disease Control (CDC) keine HIV-freien AIDS-Fälle berichten.2 Trotzdem wurden fast 5000 AIDS-Kranke als HIV-antikörpernegativ dokumentiert.

Wegen dieser Faktoren ist der Umfang der Korrelation zwischen HIV und AIDS weitgehend unbekannt. Somit ist Lillges Behauptung, die „Beziehung“ zwischen den beiden sei eindeutig, ohne Basis. Ähnlich ist Prof. Eigens Berechnung, die angeblich eine „100%ige“ Korrelation zwischen „der jährlichen Inzidenz von AIDS-Fällen“ und „dem jährlichen Auftreten von HIV-seropositiven Personen vor etwa 6-8 Jahren“ zeigt, ohne Aussage, weil nicht bekannt ist, wie viele HIV-freie AIDS-Fälle es gibt, noch wie viele Fälle HIV-Seropositivität jährlich wirklich antikörper- oder virusnegativ sind.

Korrelation genügt nicht, um die Ätiologie zu beweisen

(…) In bezug auf die Ätiologie (Krankheitsursachen) von AIDS ist „die wichtigste zu klärende Frage“ nicht, ob eine eindeutige epidemiologische Beziehung zwischen HIV und AIDS besteht, sondern ob HIV den Standardkriterien zur Begründung von Ätiologien für Infektionskrankheiten genügt. Da HIV diesen Kriterien nicht genügt,4, 5 müßte das Virus AIDS mittels Mechanismen entstehen lassen, die der Virologie bisher unbekannt sind. Weil AIDS den Kriterien einer Infektionskrankheit nicht genügt, wird AIDS höchstwahrscheinlich von nichtinfektiösen Erregern hervorgerufen (was erklärt, warum AIDS trotz apokalyptischer Vorhersagen auf die ursprünglichen Risikogruppen beschränkt bleibt4). Deswegen sollten andere Hypothesen in Betracht gezogen werden6 und entsprechende epidemiologische Studien angefertigt werden, um die bestehenden Beweise für die HIV-Hypothese zu testen.

Die Ursachen HIV-freien AIDS (ideopathische CD4+ T-Lymphozytopenie) sind nicht bekannt. Aber wenn immunsupprimierende Nicht-HIV-Erreger in HIV-negativen Menschen AIDS hervorrufen können, können sie AIDS auch in HIV-positiven Menschen hervorrufen. Somit könnte AIDS in einigen oder allen Fällen durch immunsupprimierende Erreger oder Zustände hervorgerufen werden, die HIV-freies AIDS erzeugen, und HIV wäre lediglich eine erstaunliche Variable.

Im Gegensatz zu HIV ist Drogenkonsum eindeutig mit AIDS in Amerika und Europa korreliert.4, 7 Fast alle Fälle haben etwas mit folgendem zu tun: langfristiger, gewohnheitsmäßiger Gebrauch von „Freizeitdrogen“; langfristige Exposition mit Eiweißverunreinigungen in Blutgerinnungsfaktoren oder Bluttransfusionen; oder kurzfristige Exposition mit Chemotherapien wie AZT.7 Wenn Lillge eindeutigen Beziehungen bei der Bestimmung von Ätiologien soviel Bedeutung beimißt, fragen wir uns, warum er die HIV-Hypothese der Drogen-AIDS-Hypothese vorzieht. Weiterhin wurden in Afrika HIV-Antikörper nur in etwa 50 Prozent aller AIDS-Fälle festgestellt,2, 4 wohingegen Unterernährung – die Hauptursache von Immunschwäche auf der Welt8 – zu nahezu 100 Prozent mit AIDS korreliert ist.4

Es sei auch angemerkt, daß Eigen in seinem Artikel in Naturwissenschaften warnt, daß epidemiologische Studien zwar eine Korrelation zwischen HIV und AIDS zeigten, doch die Ursache von AIDS „ungelöst bleibt“.9

Kurz, eine „eindeutige Beziehung“ ist nicht ausreichend, um die Ätiologie zu beweisen. Tatsächlich hat sogar die epidemiologische Korrelierung als einzigem Kriterium der Ätiologie zu einer der spektakulärsten Fehldiagnosen in der Virologie geführt.10 (…)

Strategien der Krankheitsbekämpfung

Lillge fordert die weltweite Umsetzung wirksamer öffentlicher Gesundheitsmaßnahmen, die ausschließlich darauf abzielen, die Ausbreitung von AIDS zu kontrollieren. Wir fragen uns, warum die öffentlichen Gesundheitssysteme einzig auf präventive „Maßnahmen“ abgestellt werden sollen, basierend auf einer inkohärenten Hypothese, welche nur durch indirekte Beweise und Anekdoten gestützt wird.4 Sich auf ein so begrenztes Vorhaben zu verlegen, ist nicht nur ungerechtfertigt, sondern unverantwortlich.

Wir meinen, die AIDS-Forscher sollten sich dafür einsetzen, die erwiesene Ursache von AIDS aufzuzeigen, um so den Gesundheitsdiensten eine tragbare Grundlage zu verschaffen, von der aus sie wirksame öffentliche Gesundheitsstrategien entwerfen und umsetzen können. Heute, 15 Jahre nach der offiziellen Diagnose der ersten AIDS-Fälle, können die Gesundheitsdienste nicht beweisen, daß sie mit ihren Bemühungen auch nur ein einziges Menschenleben gerettet haben. (…)

Wenn man HIV als synonym mit AIDS betrachtet, wie es Lillge tut, übersieht man immunschwächende Nicht-HIV-Faktoren wie jene, die HIV-freies AIDS hervorrufen. Wir meinen, daß ein solcher Tunnelblick „eine öffentliche Gefahr“ darstellt. (…)

Immunschwächevirus des Affen

Lillge meint, daß die Entwicklung „AIDS-ähnlicher Symptome“ in Affen, die mit dem Affen-Immunschwächevirus (SIV) infiziert wurden, Beweis für die HIV-These sei. Wir können diese Beziehung jedoch nicht nachvollziehen.

Zu den hypothetischen Kennzeichen der HIV-Pathogenese gehört eine lange Latenzzeit, die Erschöpfung der T-Zellen, die Entwicklung von AIDS nur in der Gegenwart antiviraler Antikörper und die Entwicklung bestimmter Krankheiten wie Kaposi-Sarkom und Demenz. Keiner dieser Parameter ist auf die Pathogenese von SIV anwendbar. Wenn außerdem die Parameter der SIV-Infektion den Parameters der HIV-Infektion völlig analog wären, würde dies nur beweisen, daß andere Retroviren unter analogen Bedingungen Krankheiten in Tieren hervorrufen können.4

Wir stimmen zu, daß ein vermeintlicher ätiologischer Erreger wie HIV Kochs drittes Postulat erfüllt, wenn er bei Einbringung in einen entsprechenden Wirt eine Krankheit reproduziert. SIV ist jedoch nicht HIV und die Immunschwächekrankheit des Affen entspricht nicht AIDS. Kochs drittes Postulat bleibt unerfüllt, da in den dreizehn Jahren, seit man Schimpansen HIV injiziert hat, kein Schimpanse AIDS entwickelt hat.4 (…)

Lillge erklärt: „Ernsthafte Forschung lebt von Hypothesen und Experimenten“. Wir meinen zusätzlich, daß sorgfältige Interpretationen von Forschungsexperimenten von logischem und unvoreingenommenen Denken und Beobachten leben. Im Falle von HIV und AIDS ist die vorherrschende Interpretation der Versuchsergebnisse alles andere als logisch und unvoreingenommen.

Wenn Erkenntnisse darauf hinweisen, daß eine Hypothese ungültig ist, wäre es das Ehrlichste und Logischste, die Hypothese aufzugeben und eine neue zu formulieren, die mit den Tatschen übereinstimmt. HIV wundersame Eigenschaften zuzuschreiben, so daß es mit den erwiesenen virologischen Tatsachen übereinstimmt, bedeutet die Manipulation von Daten im Interesse des Forschers.


Anmerkungen

1. Duesberg, Peter H., „Responding to ‚The AIDS Debate'“, in Naturwissenschaften, Vol. 77, 1990, S. 97–102.

2. Duesberg, Peter H., „The HIV Gap in National AIDS Statistics“, in Bio/Technology, Vol. 11, 1993, S. 955f.

3. Johnson, Phillip E., „HIV and AIDS: The Present State of the Controversy“, Reappraising AIDS, Dezember 1994, S. 1-4.

4. Duesberg, Peter H., „AIDS Acquired by Drug Consumption and Other Noncontagious Risk Factors“, in Pharmacology and Therapeutics, Vol 55, 1992, S. 201–277.

5. Root-Bernstein, Robert S., Rethinking AIDS: The Tragic Cost of Premature Consensus, The Free Press, New York, 1993, S. 94–98.

6. Beispielsweise die Drogen-AIDS-Hypothese, die alle Paradoxe der HIV-Hypothese auflöst und epidemiologisch und experimentell nachprüfbar ist. Tatsächlich war die Drogen-AIDS-Hypothese die erste AIDS-Hypothese, die die CDC vorschlug (obgleich sie damals „Lifestyle“-Hypothese hieß).

7. Duesberg, Peter H., „How Much Longer Can we Afford the AIDS Virus Monopoly?“, in Duesberg, Peter H., Hr., AIDS: Virus- or Drug-Induced?, Kluwer Academic, Dordrecht, 1996, S. 241–270.

8. Seligmann, M., u.a., „AIDS – An Immunologic Reevaluation“, in New England Journal of Medicine, Vol 311, 1984, S. 1286–1292.

9. Eigen, Manfred, „The AIDS Debate“, in Naturwissenschaften, Vol. 76, 1989, S. 341–350.

10. Duesberg, Peter H., „Human Immunodeficiency Virus and Acquired Immunodeficiency Syndrome: Correlation But Not Causation“, in Proceedings of the National Academy of Sciences, USA, Vol. 86, 1989, S. 755–764.

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